Krisenbekämpfung 2009: Cosi fan tutte?


 In den letzten Monaten haben vor allem die Industrieländer und einige aufstrebende Volkswirtschaften mit riesigen, bis dato in ihrer Höhe unvorstellbaren Konjunkturpaketen auf die sich verschärfende Krise reagiert: die neue amerikanische Regierung spricht von bis zu 1 Billion $, die sie (zusätzlich zum Bankenprogramm) in die Wirtschaft pumpen will, Frankreich von mehr als 26 Milliarden €, Kasachstan von 21 Mrd $ (20 Prozent des BIP!!!), Deutschland 50 Mrd €, Japan von mehr als 100 Mrd $, China von fast 500 Mrd $, Österreich von 5 Mrd €, und so fort. Der Internationale Währungsfonds verlangt von den Europäern, über die angekündigten 200 Mrd € hinauszugehen und Konjunkturstützungsprogramme im Ausmaß von 3% des BIP (das sind 50% bis 100% mehr als bisher angekündigt) aufzulegen.

Grundsätzlich haben die Länder folgende Notwendigkeiten (unterschiedlich je nach Land):

–        aufgrund der Krise müssen sie ihre Vermögenswerte massiv abwerten und brauchen neues Kapital: ein Teil der Bankenpakete dient ihrer Rekapitalisierung durch den Staat, manchmal in Form tatsächlicher Verstaatlichung, manchmal in Form eigenkapitalähnlicher Instrumente der Staaten, mit dem Ziel, die Kreditgewährung an die Realwirtschaft wieder in Gang zu bringen, ohne die Banken durch  massive Staatseingriffe zu verschrecken.

–        Liquiditätshilfen für die Banken, vor allem um den Interbankenmarkt wieder in Schwung zu bringen und – im Verein mit den Rekapitalisierungen – die Finanzierungsfunktion für die Realwirtschaft (Investitionen, ebenso wie Betriebskapital und Löhne) wiederzubeleben.

–        Konjunkturstimulierung: um die in vielen Ländern stagnierende oder zurückgehende Nachfrage der Haushalte und Unternehmen zu beleben, sind die Staaten plötzlich alle – vor einem Jahr noch horribile dictu – zu keynesianischer Nachfragepolitik bereit. So erzkonservative und neoklassisch orthodoxe Institutionen wie die Europäische Zentralbank, der Internationale Währungsfonds, die EU-Kommission, die Bundesbank rufen (fast) unisono nach massiver Erhöhung der öffentlichen Defizite, um eine schwere Weltwirtschaftskrise zu vermeiden. Dabei sind besonders rasch wirkende Ausgaben gefragt, da es darum gehe, hier und jetzt die Nachfrage anzukurbeln.

–        Strukturpakete: viele Staaten benötigen massive Finanzierungen, um lang anstehende Probleme zu lösen: Armutsbekämpfung, Gesundheitsversorgung, Pensionsvorsorge aufgrund der Alterung, Ausbildung, Forschung und Entwicklung, lange vernachlässigte Infrastruktur, Milderung der Effekte des Klimawandels und Reduktion von klimaschädlichen Emissionen, und vieles andere mehr. Viele dieser Probleme sind entstanden, weil in den letzten Jahrzehnten dogmatisch die Ideologie von „mehr privat, weniger Staat” gepeitscht wurde – und durch Zurückdrängung des Staates zugunsten des Privatsektors Investitionen in diese Bereiche vernachlässigt wurden.

 

Nun gibt es eine Reihe von „neuen” Dogmatikern, die diese vier Einzelprojekte streng voneinander trennen wollen. So hat etwa Wolfgang Münchau kürzlich in der FT all jene gerügt, welche die Konjunkturstimulierung mit den Strukturnotwendigkeiten verbinden wollen. Hier scheint sich eine neue Dogmatik anzubahnen: Konjunkturprogramme für Konjunkturbelebung, Strukturprogramme für Strukturprobleme. Aber, wie die gelernte Österreicherin weiss: Geld hat kein Mascherl, es ist fungibel. Daher sind die besten öffentlichen Interventionen jene, die mit einem Streich mehrere Zwecke erreichen. Ähnlich sinnlos wäre es, strikt zwischen Rekapitalisierng von Banken und Liquiditätshilfen trennen zu wollen. Die Einmaligkeit der derzeitigen Lage erfordert Pragmatismus, und nicht Dogmatik. Gut ist, was funktioniert und hilft.

 

Die angeführten Notwendigkeiten schaffen eine ganze Reihe von neuen Problemen für die Wirtschafts- und Finanzpolitik, so z.B.

–        Woher nimmt „der Staat” das know-how, um entscheidende Funktionen in den von ihm rekapitalisierten Banken auszuüben? Zieht er dazu Manager aus dem Finanzbereich heran (die vielleicht die Krise mitverursacht haben), oder nimmt er dazu Beamte (woher sollen die eine Bank führen können) oder Menschen aus der Finanzmarktaufsicht (dito)? Dasselbe trifft auf die Notenbanken zu, die zunehmend gedrängt werden (und es in einigen Ländern, wie den USA und UK bereits tun), selbst Ausleihfunktionen wahrzunehmen..

–        Der riesige Finanzierungsbedarf der Staaten, welche jetzt ihre Defizite hinauftreiben, sowie jener Banken, die Staatsgarantien erhalten haben, treibt die Zinsen hoch und führt zu einer riesigen Überschussnachfrage nach AAA-Krediten; damit werden die Finanzierungskosten auch für erstklassige Schuldner höher, bzw. werden nicht ganz so erstklassige aus dem Markt gedrängt – und damit die ursprüngliche Absicht konterkariert

–        Werden die Bürger und Unternehmen – geschockt durch die Krise und deren Beschwörung als Wiederholung von 1929-33 – wirklich kurzfristig mehr konsumieren und investieren wollen? Werden die Haushalte nicht für eine unsichere Zukunft sparen und die Unternehmen nicht ihre hohen Verschuldensgrade abbauen und ihre Bilanzen verbessern wollen, anstatt zu konsumieren und zu investieren? Dann gibt es eine mögliche Erholung erst dann, wenn die Überkapazitäten, die durch die billige und leichte Verschuldung der Vergangenheit ermöglicht wurden, abgebaut sind. Es heisst, dass die globale Autoindustrie mindestens 25% Überkapazitäten aufweist, änhliches dürfte für die Bauindustrie in vielen Ländern gelten.

–        In den nächsten Jahren werden die öffentlichen Schuldendienste gewaltig ansteigen: damit werden Steuererhöhungen oder Ausgabenkürzungen fällig, und es werden vor allem „produktive” öffentliche Ausgaben verdrängt, die künftiges Wachstum absichern und soziale Härten verringern sollen –  eine politische Zeitbombe für die Regierenden.

–        Aus dem Ausland können wir keine Hilfe erwarten: auch die bisher sehr rasch wachsenden Schwellenländer (China, Türkei, Indien, Brasilien, etc.) und die osteuropäischen Länder sind von der Konjunkturkrise erfasst worden und wachsen langsamer: sie werden jedenfalls nicht die Nachfrageausfälle der westlichen Industriestaaten kompensieren können. Derzeit setzen auch sie – soweit sie wie die asiatischen Länder die dafür notwendigen Geldmittel haben – auf Konsumbelebung, aber: in Ländern ohne soziale Absicherung, ohne Pensionssystem, mit Schulgebühren und privat zu finanzierender Krankenversorgung werden die Sparraten noch weiter steigen, anstatt dass konsumiert wird. Erst wenn sich die Bürgerinnen halbwegs vor exitenzieller Bedrohung gesichert fühlen, werden sie zusätzliches Einkommen für private Bedürfnisse ausgeben anstatt noch mehr zu sparen.

–        Und, am wichtigsten von allem: wie können wir eine tragefähigere Wirtschaftsordnung schaffen, wie das Finanzsystem wieder auf seine ureigensten Aufgaben zurückführen, um ein sozial gerechteres, stabileres, Umwelt und Ressourcen schonendes Wirtschaftssystem, das nicht soziale und politische Konflike produziert, zu schaffen?

 

Die derzeitige Wirtschaftslage zeigt einmal mehr, dass es kaum globale Wirtschaftspolitik gibt. Trotz der löblichen Versuche der G-20, der EU und des IMF agieren Nationalstaaten in der Krise mehr denn je „national” und konzentrieren sich vornehmlich auf ihre Staatsbürger. Sie wissen zwar, dass globale Lösungen nötig wären, dass ihre je eigenen Anstrengungen in der globalisierten Wirtschaft weitgehend verpuffen müssen – aber sie sind im Dilemma, ihren „eigenen” Bürgerinnen zeigen zu müssen, dass sie für sie handlungsfähig sind. Die Innenpolitik dominiert die globale Politik, die nationale Politik steckt im sog. „Gefangenendilemma”.

Zwar deklarieren sich heute alle als „Keynesianer” – und meinen damit doch nur, mehr oder wenig populistisch Füllhörner über ihre jeweilige Klientel ausschütten zu müssen – anstatt gemeinsam und gezielt vorzugehen. John Maynard Keyes würde sich im Grabe umdrehen, wenn er wüsste, wer sich alles mit seinem Namen brüstet – und vor allem, welche einfältigen Aktivitäten mit seinem Namen „geadelt werden”.  Keynes wusste, dass der Finanzsektor kein Wirtschaftssektor wie jeder andere ist  und daher strikt reguliert werden muss; Keynes wusste, dass für globales gedeihliches Wirtschaften Leistungsbilanzüberschüsse genauso schädlich sind wie Defizite; Keynes wusste, dass nationale Alleingänge auf Kosten anderer Länder (beggar-thy-neighbor) nicht tragfähig sind, er wusste, dass es keine nationale „Weltwährung” geben sollte, die es jenem Land ermöglicht, sich ohne Wechselkursrisiko weltweite Ersparnisse zu holen. Viele dieser Lektionen haben die neuen „we are all Keynesians” entweder nie gelernt, oder vergessen.

 

Hier einige (unvollständige) Vorschläge, was zu tun wäre:

  1. auf nationaler Ebene

–        Ja, es ist richtig, kurzfristig Budgetdefizite in Kauf zu nehmen, um einen starken Konjunktureinbruch zu verhindern. Dafür soll aber eher in Offentlichen Konsum und Investitionen (vor allem in Armutsbekämpfung, in Ausbildung, Forschung und Entwicklung, kommunale Infrastruktur, Klimavorsorge) investiert werden, als dass privater Konsm angekurbelt wird. So wird sichergestellt, dass diese Gelder tatsächlich verausgabt und nicht gespart werden.
– Diese Konjunkturprogramme müssen auf Wachstums- und Arbeitsplatzwirkung abgestimmt werden – und nicht auf die Stärke der Lobbygruppen. Sie müssen mit langfristigen Zielsetzungen kombiniert werden. Die Konjunkturpakete müssen jedoch zeitlich befristet sein, während dessen sie die effektive Gesamtnachfrage stützen. Sie dürfen daher während der nächsten ein, zwei Jahre nicht durch Ausgabenkürzungen kompensiert werden, danach muss es jedoch Steuererhöhungen und/oder Ausgabenkürzungen zum Defizitabbau geben.
– Die Bankenpakete sind notwendig, allerdings muss der Staat dafür Sorge tragen, dass damit auch Verhaltensänderungen bei den Banken erreicht werden; daher müssen diese Kredite, bzw. Beteiligungen mit ernsthaften Bedingungen, bzw. Aufsichtspaketen verbunden sein. Es kann keinesfalls darum gehen, dass Banken nach der Krise wie vor der Krise agieren.
– Bei den Paketen für die Finanz- und die Realwirtschaft müssen die Weichen für tragfähiges Wachstum gestellt werden: die Krise zeigt, dass eine auf überbordender Verschuldung aufbauende Wirtschaft – sowohl bei den privaten Haushalten, den Unternehmen und dem Staat selbst – nicht tragfähig ist und krisenverstärkend wirkt. Es kann nicht Ziel der Wirtschaftspolitik sein, laufend zwischen 3% und 5% des BIP zur Tilgung alter Staatsschulden zu verwenden. Damit werden sozial- und wirtschaftspolitisch wichtige Aufgaben unfinanzierbar.
– Die mit dem vergangenen Boom einhergegangene massive Verschlechterung der Einkommensverteilung und damit die neu entstandene Armut bei immer höherem Nationalprodukt muss durch offentliche Regelung wieder auf ein sozial und wirtschaftlich vertretbares Mass verbessert werden: ebenso obszön wie die Einkommen der Spitzenmanager und Investoren ist die neue Armut – sowohl innerhalb der reichen Staaten als auch in der Welt ingesamt. Auch diese Einkommensverteilung hat sich als nicht tragfähig erwiesen.

 

  1. auf globaler Ebene

–        Es muss einen ernsthaften Versuch geben, die durch die Globalisierung und die neoklassische Dogmatik verlorengegangene Regulierungskraft der Nationalstaaten durch eine neue „globale Governance-Struktur” zu ersetzen. Diese muss der Wahrung globaler Gleichgewichte, der globalen Armutsbekämpfung, der Abschaffung von Steuer- und Regulierungs- und Transparenz-Oasen, der Arbeitsbedingungen, der Bekämpfung des Klimawandels, der weltweiten Bekämpfung illegaler Aktivitäten – und anderer Bereiche – Raum und Durchsetzung verschaffen. In solche Bemühungen sind (direkt oder indirekt) alle Staaten der Welt einzubeziehen, nicht nur die G-7 oder G-20. Ohne globales öffentliches Gewaltmonopol („Weltregierung”) können internationale Regeln nur durchgesetzt werden, wenn alle (Arten von) Staaten an ihrer Gestaltung und Aushandlung beteiligt sind. 

–        Die ungleichen Ausgangsbedingungen der einzelnen Länder im internationalen Wettbewerb müssen durch Entwicklungszusammenarbeit, internationale Investitions-, Handels- und Wettbewerbsregeln, welche „infant industry”-Argumente akzeptieren, zur Kenntnis genommen werden.

–        Die Verantwortlichkeiten von „home and host” countries, vor allem bei grenzüberschreitenden Finanzinvestitionen, aber auch realen Direktinvestitionen sind international auszuhandeln. Derzeit gibt es hier eine für das globale Finanzsystem äußerst schädliche Abwartehaltung, in welcher jedes Land die Verantwortung auf den jeweils anderen abzuschieben gedenkt.

–        Das weltweite Finanzsystem muss von seiner hypertrophen Ausrichtung auf kurzfristige, weit unproportionale Renditenerwartungen („25% mindestens”) und Umsatzgenerierung (die jeweils Provisionen und Boni schafft), sowie Herdentriebverhalten („besser als Indizes und die anderen”, computergenerierte Handelsmodelle) gelöst werden. Es wäre ernsthaft zu überlegen,  Sekundärhandel auf den Börsen, der keinerlei volkswirtschaftlichen Wert, aber riesigie Spekulationsgewinne/verluste beschert, einzustellen. Jetzt wäre die Zeit, über eine Finanztransaktionssteuer kurzfristig orientierte, spekulativ motivierte Finanzbewegungen zu verteuern und damit zu verringern.

–        Die Wirtschafts- und Finanzkrise darf nicht die langfristigen Ansätze, weiteren Klimawandel zu verhindern, zu Fall bringen. Energieeffizienzmassnahmen, Forcierung alternativer Energien (Renaissance der Atomenergie nicht vor Lösung der Endlagerunsproblematik), Bevorzugung von Massenverkehrsmitteln, Siedlungsmuster, bauliche Massnahmen, und andere sind weiter bevorzugt zu forcieren.

–        Die vielen, in den letzten Jahren zunehmenden bilateralen und regionalen Abkommen sind wieder in ein gesamthaftes globales, multilaterales Rahmenwerk einzubinden. Nur so kann Fairness und Gleichbehandlung sichergestellt werden, die so wichtig für globalen Frieden sind. Innerhalb globaler Abkommen soll es Gruppierungen von „Gleichgesinnten (like-minded)” geben können, welche für sich weitergehende Regeln vereinbaren können.

 

Die derzeitige Krise ist noch nicht vorüber, die Wahrscheinlichkeit, dass sie noch viel tiefer und stärker wird, ist hoch. Deshalb ist auch keine Zeit zu verlieren. Diese notwendige Eile darf jedoch nicht dazu benutzt werden, um einseitige, unwirksame, teure und längerfristig gegenproduktive Aktivitäten durchzuführen, nur um den eigenen Bürgerinnen und Bürgern Aktivität vorzutäuschen. Die oben genannten Prinzipien der Krisen- und Strukturlösungen sind relativ einfach im Konzept, aber schwierig in der Umsetzung. Wir sollten sie dennoch beachten und unsere Politiker daran messen.

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