Japan und die Medien: eine Schelte


Die grauenhaften Verwüstungen durch Erdbeben; Vulkanausbruch und Tusnami wurden uns in den letzten Tagen im Fernsehen mit gnadenloser Frequenz vorgeführt. Dazu versuchten elektronische und Printmedien, die Zeit mit immer neuen Kommentaren von selbsternannten oder auch tatsächlichen Fachleuten und von Augenzeugen, Betroffenen und Überlebenden zu füllen. Diese hysterisierende Erregung von Aufmerksamkeit führte dazu, daß während sich die mögliche Nuklearkatastrophe noch entwickelte und die japanischen Katastrophenhelfer mehr oder weniger verzweifelt versuchten, unter Einsatz ihrer eigenen Gesundheit, das schrecklichst Mögliche zu verhindern, ausländische Kommentatoren bereits den Super-GAU ausriefen, Kosten schätzten, den Weltuntergang vorhersagten – oder auch kategorisch Gefahren für die Weltbevölkerung ausschlossen. Der selbst auferlegte Zwang der Medien, „zeitnah“ dezidierte Aussagen treffen zu wollen, wurde zur Selbstentlarvung der Medien und überführte sie – hoffentlich bei möglichst vielen Menschen – der peinlichsten Geschwätzigkeit. Die absolute Spitze einer zynischen Selbstgerechtigkeit wurde aber vom profil-Herausgeber Christian Rainer in seinem „leitartikel“ Stromab am 21. März erreicht. Unter dem Untertitel „Mehr Hysterie als Schaden? Ja“ zieht er folgende Rechnung auf. Bei einer (viel zu frühen, daher vollkommen ungenügenden) Schätzung des materiellen Schadens von 130 Mrd. Dollar erreicht dieser „nur“ zweieinhalb Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung Japans, was – laut Rainer – weniger als dem Wirtschaftswachstums eines Jahres entspreche. Daher sein Schluß: „Die Wahrheit: Ein Prozent der Insel ist zerstört worden. Das ist Hysterie, erzeugt durch Fantasie“. Und dieses grandiose Argument weitet er dann auch noch auf die „Nuklearkatastrophe“, aus, die in seiner obigen „Rechnung“ bereits enthalten sei. Bisher waren es die Ökonomen, die wegen ihrer vom Mainstream nicht vorausgesagten Finanzkrise unter Verschiß waren – vielfach zu Recht. Jetzt sind es die Journalisten, denen man aufgrund ihrer unablässigen Geschwätzigkeit und gnadenlosen Bequatschung der japanischen Katastrophe den Mund verbieten sollte. Ein Moaratorium (copyright Angela Merkel) wäre das mindeste. Rainers „Rechnung“ und vor allem seine Einschätzung sind an Zynismus nicht zu überbieten: Fehlt nur noch, daß er dazuschreibt, daß die Bewältigung der Katastrophe wahrscheinlich sogar das japanische Wirtschaftswachstum der nächsten Jahre um mehr erhöhen werden als die Zerstörungen der materiellen Werte gekostet haben. Dann müßte er konsequent schließen, daß diese Weltkatastrophe sogar ein Segen war. Die Gesamteinschätzung einer solchen Naturkatastrophe, verstärkt durch Menschenhand, auf eine schlechte Schätzung materieller Kosten einzuschränken, verdiente einen Zeitausschluß auf mindestens ein Jahr. Vielleicht sollte profil Herrn Rainer in eines der Auffanglager für Obdachlose schicken, damit er dort die Hysterie entlarven kann. Den Medien haben sich die Politiker angeschlossen: nach der verhängnisvollen Laufzeitverlängerung alter deutscher Atomkraftwerke im Vorjahr, legt Kanzlerin Merkel nun vorübergehend (werden sehen!) 7 alte Werke auf 3 Monate still. Sind sie plötzlich unsicherer oder risikoreicher geworden? Österreichs Kanzler verlangt gleich eine europaweite Volksabstimmung über Kernkraft, und der sonst so weise deutsche Ex-Kanzler Schmidt verweist darauf, daß Energiepolitik und die Diskussion um die Pros und Kontras der Kernkraft durch Wissenschaftler so kompliziert sei, daß die Politik sie nicht verstehen könnte. Ist der Schluß daraus, daß wir diese Entscheidungen der Kernkraftlobby überantworten sollen – die Milliarden an Gewinnen durch die deutsche Laufzeitverlängerung erhalten hat? Die Politik hat die Entscheidungen über eine tragfähige Energiepolitik verschlampt, bzw. sich von der Energielobby überzeugen lassen: es klingt wie „Kommunismus ist Sowjetmacht plus Elektrifizierung“ (Lenin), auf „marktwirtschaftlich“: Wohlstand ist größtmögliche Energieerzeugung. Dabei weisen Wissenschafter seit vielen Jahren auf die riesigen Möglichkeiten „nachfrageseitiger„ Energiepolitik hin, mit der das Dilemma Kernkraft – Klimawandel durch CO2-Ausstoß – Nahrungsmittelknappheit durch Biotreibstoffe – hohe Kosten der Photovoltaik – Fastausschöpfung der Wasserkraftressourcen fast aufgelöst werden könnte und trotz Nachholbedarf vieler Entwicklungsländer die Primärerzeugung von Energie auf der Welt für viele Jahre auf heutigem Niveau verharren könnte. Man müßte von der Energieverbrauchsseite ausgehen und dort die Effizienzen heben, das heißt den Transportbedarf durch neue Bebauungsordnungen und Siedlungsformen verringern, den Wärme/Kältebedarf in Gebäuden durch Isolierung und Niedrigenergiehäuser drosseln, den industriellen Prozeß-Bedarf durch Eigenerzeugung, Recycling und Optimierungen reduzieren – und den BürgerInnenin Erinnerung rufen (und durch Energietarife helfen), daß bei Elektrogeräten es zumutbar ist, auf einen Knopf zu drücken statt stand-by-Mechanismen zu aktivieren, daß Straßenbeleuchtung reduziert werden kann, daß städtische Mobilität durch Menschenkraft „in“ ist, daß ein Pullover in der Wohnung im Winter zumutbar ist, daß die unsägliche Beduselung mit „Musik“ im Supermarkt störend ist, kurz daß „gutes Leben“ auch mit deutlich weniger Energieverbrauch möglich ist. Die geheiligte Konsumentensouveränität muß ja nicht bis zur Selbstvernichtung der Spezies Mensch getrieben werden, Verhaltensänderungen sind absolut zumutbar. Ein weitverbreiteter Wissenschaftszweig befaßt sich seit Jahrzehnten mit Risikoforschung, darunter auch mit solcher von industriellen Großanlagen. Die Politik hat Risikominimierung noch nicht in ihr Aktivitätsprofil aufgenommen: lieber suggeriert sie, daß bestimmte Lösungen risikofrei seien – was meist nicht stimmt. Man sollte die unterschiedlichen Risiken, und deren Verteilung, breit diskutieren und so das Bewußtsein in der Bevölkerung schaffen, daß jede Lösung unterschiedliche Risiken mit sich bringt. Dabei ist es wahrscheinlich, daß nicht eine einzige Lösung für alle gleich gut ist, sondern einzelne Bevölkerungsschichten, einzelne Personen, deutlich unterschiedliche Risikobereitschaft haben. Die besten Politiklösungen sind dann jene, bei denen entweder mehrere Lösungen möglich sind, bzw. die Kompromisse und Abtäusche sichtbar für alle gemacht werden und die Betroffenen dies auch akzeptieren. Dazu aber ist es nötig, die Bevölkerungen früh in die Politikprozesse einzubeziehen, deren Haltungen zu erforschen und eventuell durch Diskussion zu verändern, statt ihnen Sand in die Augen zu streuen. Dies wäre auch eine Aufgabe für seriöse Medien!

8 Comments

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8 responses to “Japan und die Medien: eine Schelte

  1. Renate Traxler

    Wegen Problemen mit dem PC erst jetzt eine Antwort:
    Ich stimme dir vollkommen zu. Wenn man schon vor Jahren vor den Risken der Kernenergie gewarnt hat und ein Umsteigen auf erneuerbare Energie gewarnt hat , ist man nur als weltfremder Spinner abgetan worden.
    Aus Tschernbyl sind weltweit keine Lehren gezogen worden und Deutschlands Unterbrechung der Verlängerung der Atomkraftnutzung und Italiens einjährige Unterbrechung der neuen Atomkraftwerkspläne sind ja nur, meiner Meinung nach ,Ablenkungsmanöver.
    Wie man jetzt leider sieht, ist das Ausmaß der Katastrophe in Japan noch viel größer als bisher befürchtet. Wie wird es weitergehen?

    • kurtbayer

      Das wirklich Kritisierenswerte an Rainers Pamphlet ist seine Reduktion einer menschlichen, ökologischen und ökonomischen Katastrophe auf das rein Ökonomische, so als ob unser aller Wohlbefinden nur von BIP-Werten abhänge. Wenn das so wäre, wäre eine Eliminierung Rainers als profil-Herausgeber für Österreich ein auf sein Gehalt (als Proxy für seine Wertschöpfung) reduzierbarer “Verlust”, während es in Wahrheit – holistisch gesehen – vielleicht ein Gewinn für die österreichische Gesellschaft wäre.

  2. Es stimmt. Es sind in Europa, und vor allem auch in Österreich, noch nicht alle Möglichkeiten der Energieeinsparung ausgeschöpft. Aber selbst bei dem in dieser Hinsicht sehr nachlässigen Österreich gibt es Grenzen für eine solche Politk. Weder wird es politisch und wirtschaftlich möglich sein, die energie – intensive VOEST zuzusperren; noch wird man die in den letzten Jahren gewachsednen Siedlungsformen in absehbarer Zeit auf kompaktere zurückfahren können.
    Aber hier geht es im weltweitem Zusammenhang ohnehin nur um Peanuts. In China zB stieg der Bedarf an Primärenergie zuletzt um jährlich 7 Prozent ( trotz massiver chinesischer Investitionen in Alternativenergien ). Pro Woche wird in China ein neues Kohlekraftwerk in Betrieb genommen womit die wohl am stärksten umweltschädigende Form der Energieerzeugung ausgebaut wird.
    Ohne Nutzung von Kernernbegie kann also der steigende Weltenergiebedaref – zumindest mittelfristig – nicht bewältigt werden.
    Und eigentlich ist es mir lieber, solche Atomkraftwerke in den konsolidierten Industriestaaten zu sehen, als in Ländern die politisch instabil sind, deren Institutionen schwach und unerprobt, und dren Infrastruktur mangelhaft ist

    • kurtbayer

      Ja, natürlich sind China und andere “ein Problem”, und hier (bei uns) wie dort ginge es darum, zuerst Effizienzen zum Durchbruch zu verhelfen, bzw. energiefressende Entwicklungen zu vermeiden, bevor man neue Kraftwerke baut: die “Null-Option” wird leider viel zu wenig verfolgt, da noch immer viele Verantwortliche in Energieversorgung ein Zeichen von Entwicklung und Wohlstand sehen.

  3. Kurt Bayer, der bei anderen Themen so nüchtern und abwägend schreibt, fällt hier mit seinem Wettern gegen “Atomlobby” und “Energielobby” in die Populismusfalle im Krone-Stil. Natürlich wäre eine radikale Erhöhung der Effizienz wünschenswert, aber würde ein rascher Ausstieg aus der Atomenergie dies beschleunigen? Das ist höchst unsicher. Sicher ist, dass die CO2-Emissionen noch schneller steigen würden. Diese Abwägung hat mir dem Einfluss böser Lobbies nichts zu tun

    • kurtbayer

      Ob die Verwendung der Termini “Atomlobby” und “Energielobby” Indiz für Populismus ist, wage ich zu bezweifeln: welch anderen Interessen hat denn die Laufzeitverlängerung in Deutschland gedient als den Gewinninteressen der Atomkraftwerksbetreiber? Etwa jenen, die die Gefahren der Technik seit Jahrzehnten beschwören? Wo sind denn die Beispiele in Österreich für eine nachfrageorientierte Energiepolitik? Da ich seit Jahrzehnten auf diesem Gebiet gearbeitet habe, glaube ich, mich dabei auszukennen. Ich habe auch nicht für eine sofortigen Atomausstieg plädiert, würde mir aber dennoch eine glaubwürdigere und vor allem nachhaltigere Energiepolitik für Europa wünschen.

  4. Claudio Todeschini

    Dear Kurt, I could not possibly have said it in German, but what you say about the behaviour of the media is almost identical to what I wrote to a friend a few days ago. I repeat it here for your benefit:
    “I deem the vast majority of the great noise made by the anti-nuclear crowds to be, if you will pardon my Shakespeare, “full of sound and fury, signifying nothing”. It is based on the ignorance of the vast majority of the public and is nurtured by irresponsible Media that disregard facts either because of political or financial interests or because they relish the power that they can exercise by exploiting the psychology of fear that they are able to instill in a gullible and uninformed public.”

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