Author Archives: Kurt Bayer

To Be (anwesend) Or Not – das ist die Argumentationsgrundlage.

Im Gegensatz zu der laut Veranstaltern bei der im Parlament stattgefundenen „Beyond Growth“ Konferenz (15. bis 17. Mai) nicht anwesenden Presse-Kommentatorin Elisabeth Zehetner habe ich als Anwesender nichts von der von ihr behaupteten „Skurrilität“ einer „Degrowth“ Propaganda wahrgenommen („SPÖ, Grüne und „Degrowth“, Die Presse 18.5.2024). Wann sonst als jetzt – eigentlich jederzeit – ist es notwendig, über die Bekämpfung der Klima- und Umweltkrise nachzudenken, mit ExpertInnen zu diskutieren und die politischen Parteien zu Wort kommen zu lassen? Im Gegensatz zu Zehetner behaupte ich, dass gerade der Zeitpunkt sehr niedrigen Wirtschaftswachstums der richtige ist, sich stärker Gedanken darüber zu machen, woraus gesellschaftliche Wohlfahrt tatsächlich besteht, welche Rolle dabei BIP-Wachstum spielt und vor allem, wie wir aus der Falle herauskommen, mit mehr BIP-Wachstum weniger Emissionen zu produzieren und Nachhaltigkeit zu erreichen.

Darum ist es in dieser Konferenz gegangen, die mit einer eindrucksvollen Keynote von Sigrid Stagl überzeugend, kühl und ohne Fanatismus einerseits die planetaren Grenzen in vielen Bereichen mit international akzeptierten Daten aufgezeigt hat und andererseits die bisher nur schwächlichen Erfolge bei der Emissionsbekämpfung und Umweltverzehr unterlegt mit eindrucksvollem empirischem Material beklagt hat. Dass Wirtschaftswachstum nicht Wohlfahrt mißt (heute viel weniger als vor Jahrzehnten als die Schäden der Klimaerwärmung und des Artensterbens noch geringer waren), dass die Steigerung des BIP-Wirtschaftswachstums daher nicht das Ziel der Wirtschaftspolitik sein kann, wurde von den Panelteilnehmern und PolitikerInnen einhellig festgestellt. Dass Verhaltensänderungen in Produktionsverläufen und Konsumverhalten notwendig sind, wenn wir den Planeten für die nächsten Generationen erhalten wollen, ist Konsens (nur ein Panelteilnehmer hat sich gegen „Eingriffe“ in den privaten Konsum gerwehrt, ohne allerdings überzeugende Argumente über die politische Schwierigkeit hinaus vorzulegen). Dass daraus vielleicht resultierendes geringeres BIP-Wirtschaftswachstum tiefgreifende Änderungen in unseren Sozialsystemen erfordert, bezweifelt niemand. Aber die Schlussfolgerung der von Zehetner zitierten „Studie“, dass wir mehr Wirtschaftswachstum brauchten, um Nachhaltigkeit zu erreichen, dass es ohne Verhaltensänderungen allein mit neuen technischen Möglichkeiten ginge, widerspricht allem, was die Umwelt- und Wirtschaftsliteratur, die sich ernsthaft mit Nachhaltigkeit beschäftigt, eindrucksvoll belegt. Diese Argumentation entspricht vielleicht einer bestimmten Interessenlage, die von denen lautstark und leider politikstark vertreten wird, die vom derzeitigen Wirtschaftssystem, welches uns zunehmend an die planetaren Grenzen bringt, profitiert. Es war jedenfalls nicht Thema dieser wichtigen Konferenz. Dabeisein ist vieles, Zuhören noch mehr.

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Für eine neue EU-Wirtschaftspolitik

Die anstehenden Europawahlen, ein neues Parlament, eine neue EU-Kommission, vielfältige Mid-Term Reviews, die Neuorientierung des EU Budgetrahmens – all dies suggeriert einen notwendigen Neustart für die Wirtschaftspolitik. Die politische Realität sieht allerdings anders aus, verspricht – in den Wahlprogrammen der Fraktionen – bestenfalls „mehr und besseres vom Alten“. Im folgenden werden einige Grundsätze formuliert, die für einen tatsächlichen Neubeginn, der den viel beschworenen Herausforderungen der Zukunft gerecht(er) werden, notwendig sind. Auf die (entscheidend) wichtige Frage, ob und wie sie politisch durchsetzbar sind, wird verzichtet. Es handelt sich daher um die viel beschworenen „Wünsche ans Christkind“, bzw. an die EU-Wählerschaft.

1. Grundlage muss die Einsicht sein, dass die bisher verfolgte Wirtschaftspolitik, sei sie als „neoliberal“ oder anders markiert, neben Erfolgen uns jene Probleme eingebrockt hat, vor denen wir jetzt existenziell stehen: die Klima- und Biodiversitätskrise, die soziale Krise durch immer weiteres Auseinanderklaffen von Einkommen und Vermögen, die politische Krise, die den sozialen Zusammenhalt auflöst. Ein Weitermachen wie bisher, trotz eines „Drehens an kleinen Schrauben“, wird Wirtschaft und Gesellschaft an die Wand der planetaren Grenzen und der autoritären Vereinfacher fahren lassen.

2. Dazu gehört die Einsicht, dass die massive Expansion des Finanzsektors (er ist mehr als viermal so groß wie die Weltwirtschaft), der zunehmend die Wirtschaftspolitik mit seinen Interessen dominiert, die Wirtschaft destabilisiert, die Langfristigkeit von Investitionsentscheidungen einschränkt und die Profitinteressen der Finanzmarktakteure und Multinationalen Unternehmen über die Interessen der Bevölkerung an einem „guten Leben“ stellt. Eine Einschränkung des Finanzsektors, eine Rückführung auf seine notwendige und ursprüngliche Funktion, Wirtschaft und Gesellschaft zu finanzieren anstatt durch Sekundenhandel auch die kleinsten Bewertungsunterschiede zum Renditemachen zu nutzen und über Greenwashing weiterhin massiv fossile Porojekte zu finanzieren, ist absolut notwendig. Die von vielen beschworene „Vollendung der Kapitalmarktunion“ würde der weiteren Expansion des Finanzsektors dienen. Statt dessen sollte man sich auf die „ Vollendung der Bankenunion“ konzentrieren, da in den Banken eine direkte Beziehung zwischen Investor und Finanzer besteht anstatt diese einen anonymen „Markt“ zu überlassen und im Bankenbereich bereits funktionierende Institutionen (gemeinsame Aufsicht) bestehen.

3. Die von Enrico Letta geleitete Bewertung des EU-Binnenmarktes schlägt zwar positiv die Europäisierung der Bahn- und Kommunikations- und Energienetzwerke vor, sowie die Schaffung einer „Fünften Freiheit“, nämlich im Forschungs- und Ausbildungsbereich, bleibt aber sonst dem alten Dogma verhaftet, dass die im Binnenmarkt angelegte „Globaliserung auf Steroiden“ zum Ausbau der Wettbewerbsfähigkeit der EU-Wirtschaft gegenüber dem Ausland weiter getrieben werden sollte. Statt dessen sollte der Binnenmarkt – als Kernstück der EU-Struktur, bzw. Angebotspolitik – zum Treiber der notwendigen klima- und sozialbedingten Nachhaltigkeit gemacht werden. Dies würde aber auch bedeuten, die „heiligen“ vier Freiheiten des Binnenmarktes, nämlich jene des Güter- und Dienstleistungsverkehrs, des Kapitalverkehrs und des Personenverkehrs, zu überdenken und dort zugunsten der zu erzielenden Nachhaltigkeit einzuschränken, wo dies notwendig ist. Wir sehen heute, dass die Personenfreizügigkeit in vielen neuen EU-Ländern zu massiver Abwanderung geführt hat, dass die Güter- und Dienstleistungsfreiheit die ungleichen Ausgangsbedingungen schwächerer Länder zu deren Lasten ignoriert hat, dass die Kapitalverkehrsfreiheit nicht zu gleicheren Finanzierungsbedingungen, sondern zur weiteren Konzentration finanzieller und wirtschaftlicher Macht geführt und Umwelt- und Sozialkrise verstärkt hat.

4. Bisher ignoriert die EU-Wirtschaftspolitik ihren eigenen Binnenmarkt, also das eigene Territorium mit 450 Millionen Einwohnern, als Ziel ihrer Makropolitik: die Fiskalpolitik „gehört“ den Mitgliedstaaten und wird von der Kommission länderweise überwacht. Ziel der Fiskalpolitik der Euroraumes ist nicht die Gesamtheit der Eurozone, wie sie durch die gemeinsame Geldpolitik der Europäischen Zentralbank auf der Geldseite angepeilt wird, sondern jedes einzelne Land. Statt dessen sollte die gemeinsame Fiskalpolitik des Euroraumes mit der gemeinsamen Geldpolitik abgestimmt werden („Makroökonomischer Policymix“) und erst dann auf die einzelnen Länder heruntergebrochen werden. Derzeit wedelt der Schwanz – die Empfehlungen für jedes einzelne Euroland – mit dem Hund Eurozone. Die Ergebnisse sind entsprechend. Der auch in seiner erneuerten Form gegenproduktive Stabilitäts- und Wachstumspakt verhindert eine die Nachhaltigkeit forcierende Fiskalpolitik. Es braucht die Einrichtung einer gemeinsamen Euro-Fiskalbehörde, eines eigenen Budgets mit Ausrichtung auf die Nachhaltigkeit.

Ziel der gemeinsamen Makropolitik sollte die Steigerung des Wohlergehens der BürgerInnen der Eurozone, der EU, sein und nicht die „Wettbewerbsfähigkeit nach außen“. Es kann und soll nicht das Ziel der EU sein, Leistungsbilanzüberschüsse gegenüber dem „Rest“ der Welt zu lukrieren, sondern „gutes Leben“ für alle in der EU zu gewährleisten. Dies hätte positive Folgen für die Lohnpolitik der EU, da dann Lohnkosten nicht überwiegend als negativer, d.h. zu drückender, Kostenfaktor gesehen würden, sondern als positiv zu bewertender Nachfragefaktor.

5. Eine wirksame Klima- und Umweltpolitik muss sich sowohl auf die Produktionsseite (Industrie inklusive Dienstleistungen, Verkehr, Bau) wie auf die Konsumseite beziehen. Daten zeigen, dass die Emissionen der Konsumseite um etwa 10% höher liegen als jene der Produktionsseite, da viele konsumierte und investierte emissionsintensive Güter importiert werden. Daher sind Beschränkungen auch des Konsums in Betracht zu ziehen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass „Konsum“ und Bedürfnisbefriedigung nicht „gottgegeben“ sind, sondern durch eine ausufernde Werbeindustrie im Interesse der Produzenten und Händler generiert werden. Dass Konsumbeschränkungen, durch Regulierung oder Steuern, in Österreich eine lange Geschichte haben, zeigt die 1975 eingeführte „Luxussteuer“ (erhöhter Mehrwertsteuersatz) auf große Autos und anderen „Luxuskonsum“. Auch die niedrigeren Steuersätze für Güter des Grundbedarfs sind üblich. Beschränkungen des Alkohol- und Tabakkonsums oder Gurten- und Helmpflicht sind regulatorische Beispiele. Breite gesellschaftliche Diskussion von Konsumbeschränkungen ist nötig.

6. Die Ausrichtung der Wirtschaftspolitik auf das Wachstum des Bruttoinlandsprodukts (BIP) als Indikator für gesellschaftlichen Wohlstand gehört schleunigst geändert. Viele Diskussionen und Studien zeigen, dass das materielle BIP zwar wichtiger Teil des Wohlstandes ist, aber nicht ausreicht: die Qualität der Umwelt, der Gesundheitsversorgung, der Armutsbekämpfung, der persönlichen Sicherheit, der Freizeitmöglichkeiten, der sozialen Einbindung und anderes spielen eine ebenso große Rolle. Ein breiterer Wohsltandsindikator sollte das BIP als primäres Ziel ablösen. Dabei würde klar, dass ein großer Teil des BIP nicht wohlstandsfördernd ist, sondern primär getätigt wird (werden muss), um die Negativa der BIP-Produktion und des Konsums auszugleichen: längere Anfahrtszeiten zwischen Wohnort und Beruf, die Reparaturkosten von Umweltschäden (Überschwemmungen, Dürren, Lawinen, Waldbrände) und privatem Verhalten (Autounfälle), mehr Sicherheitsvorrichtungen – all diese und viele andere erhöhen zwar das BIP, jedoch nicht den Wohlstand der Bevölkerung; eklatantestes Beispiel ist die Waffenproduktion, die das BIP erhöht aber wenn eingesetzt, durch Schäden an Personen und Gütern massiv wohlstandsreduzierend wirkt.

7. Eine neue Wirtschaftspolitik betrifft nicht nur die “Wirtschaft“ im engeren Sinn, sondern muss übergreifend für Soziales und Umwelt mitgestaltet werden. Umweltprobleme und soziale Probleme sind dann nicht mehr – wie von der herrschenden Wirtschaftsdogmatik gesehen – „externe Effekte“, oder „Kollateralschäden“ der Wirtschaftspolitik im engeren Sinne, sondern essenzielle Bestandteile einer sektorübergreifenden Politik. Jeder wirtschaftspolitische Eingriff muss daher, neben Unternehmens-, Arbeitsplatz- und Inflationsauswirkungen auf seine umwelt- und sozialrelevanten Auswirkungen überprüft, Tradeoffs erkannt und gelöst und gesamthaft in dem Sinne gedacht werden, ob damit die im „offiziellen“ Wohlstandsindikator gebündelten Ziele erreicht werden. Dabei wird klar, dass es in vielen Bereichen keine „eindeutigen“ Lösungen gibt, dass Kompromisse angestrebt werden müssen, dass die „Objekte“ einer breit gedachten Wirtschaftspolitik sehr unterschiedliche Interessenlagen haben und Lösungen benötigt werden, die für alle, bzw. die meisten, „akzeptabel“, wenn schon nicht „optimal“ sind.

8. Trotz hier geforderter Konzentration auf den eigenen Binnenmarkt muss eine EU-Wirtschaftspolitik auch auf die neuen geopolitischen Entwicklungen, auf ihre Rolle in der Welt Rücksicht nehmen, allerdings nicht in der Weise, sich in den Hegemonialstreit USA-China einzumischen oder gar Partei zu ergreifen, sondern sich so auszurichten, dass es der Steigerung der Wohlfahrt der eigenen Bevölkerung dient. Auch wenn sich die EU der „regelbasierten liberalen Weltordnung“, die von den USA seit Ende des 2. Weltkriegs dominiert wurde, inhaltlich zugehörig fühlt, muss sie sich an den neuen, noch im Fluß befindlichen Entwicklungen, orientieren, die in Richtung einer Multipolarität gehen. Dies bedeutet konkret, in den globalen Institutionen, wie IMF und Weltbank, ihre eigenen der Wirtschaftsleistung nicht mehr entsprechenden Positionen zugunsten aufstrebender und Entwicklungsländer zu reduzieren, um diese Institutionen tatsächlich zu Weltinstitutionen zu machen. Das Entstehen neuer, konkurrierender Institutionen, wie jene der BRICS-Länder, aber auch andere, zeigen, dass die mangelnde Mitsprache des “Globalen Südens“ in den Bretton Woods Institutionen zu einer Fragmentierung der möglichen globalen Steuerung geführt haben. Kühne Vorhaben, wie etwa der brasilianische G-20 Vorstoß zur Einführung einer 2%-igen Vermögensteuer auf Superreiche deuten auch auf ein Erstarken der Stimmen der Marginalisierten Länder im der Global Governance hin.

9. Die EU muß nicht – wie mehrfach gefordert – nachahmenswertes „Vorbild“ für andere Länder werden. Sie kann aber, vor allem im Regulierungsbereich, wie sehr effektiv mit der Datenschutz-Grundverordnung gezeigt, internationale Maßstäbe sezten, an denen sich andere orientieren. Sie kann, wie der Green Deal zeigt, wie die Einführung von CO2-Bepreisung zeigt, wie das Instrument des CBAM (Umwelt-Ausgleichstarif bei Einfuhren) zeigt, andere Länder auffordern, ähnliche Steuerungselemente im Umwelt- und Sozialbereich einzuführen wie in der EU selbst. Voraussetzung für eine wichtige Rolle in der globalen Steuerung ist aber immer, innerhalb der EU selbst zu wirksamen Lösungen zu kommen.

10. In seiner „Rede an Europa“ am 7.5.2024 am Judenplatz hat Omri Boehm eingangs die zivilisatorisch einmalige Leistung der Souveränitätsaufgabe der EU-Länder gewürdigt. Diese grundlegende Leistung der 6 Gründungsstaaten wird heute kaum noch erwähnt, höchstens im negativenn Sinn, wenn etwa neue EU-Institutionen oder gemeinsame Finanzierung gefordert wird. Natürlich benötigt eine Neuaufstellung der EU-Politik auch eine Neuordnung der internen Verfahren, die klarere Verantwortlichkeiten, raschere Entscheidungen und viel stärkere Einbindung der Bevölkerung enthalten. Das alles bedeutet mehr Übertragung von Souveränität an die gemeinsamen Institutionen.

Die EU-Wahlprogramme der österreichischen Parteien äußern sich kaum zu diesen grundlegenden Fragen, etwas mehr tun dies, wenn auch nicht ausreichend, die “Spitzenkandidaten” der EU-Frkationen. Sie fordern – unterschiedlich – einzelne Verbesserungen innerhalb des bestehenden Systems. Nur die FPÖ und die anderen radikalen Rechtsparteien zeigen ihre grundsätzliche Verachtung gegenüber diesem zivilisatorischen Fortschritt.

Die EU-Feindlichkeit der Rechtspopulisten, die mehr Eigensouveränität propagieren und damit in die dunkle Geschichte zurück wollen, gewinnt angesichts der Unfähigkeit der EU-Institutionen, unserer Regierungen, diese Leistung und ihre Auswirkungen immer wieder zu würdigen, immer mehr an Popularität. Die Gefangennahme der Medien durch ihre „sozialen“ Brüder und die Interessen von finanzgetriebenen Oligarchen tut dazu das Ihrige. Dem müssen wir eine Vision für ein „besseres Leben“ in Gemeinsamkeit – trotz aller Unterschiedlichkeiten – entgegenstellen. Nur so können die Bevölkerungen überzeugt werden, dass eigenstaatliche Souverändität in Zeiten globaler Bedrohungen, in Zeiten einer grundlegend verfehlten Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik nicht ausreichebn kann, um die Umwelt- und Sozial- und Machtprobleme, die uns tägleich vor Augen geführt werden, zu bewältigen. Wir müssen „Europa“ wieder neu denken: die Zeiten haben sich seit den „Gründervätern“ massiv verändert. Die Erfolge der Vergangenheit haben sich zum Teil in Bedrohungen verwandelt: diesen müssen wir begegnen, damit wir und die nachfolgenden Generationen ein besseres, aber anderes, Leben haben können.

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More of the Same or Transformation?

The calls for a new European Industrial Strategy are getting louder. Europe’s low growth, remaining high energy prices and convoluted decision procedures have recently led to an „Antwerp Declaration for a European Industrial Deal“, instigated by Belgian authorities and institutions (http://antwerp-declaration.eu/). Chinese excess industrial capacity, the easy access and quick effectiveness of the US Inflation Reduction Act, in addition to high energy prices, the need for de-carbonisation and lack of adequate labor lead to this call for action which by May 6, 2024 has been supported by 1101 organizations, 763 companies and 204 associations and unions. The claim that production sites are being closed and additional businesses move to the USA reinforce this call to action.

Ten individual actions are proposed, from a strategic industry plan 2024-2029, strong public funding with a Clean Tech Doployment Fund, making Europa a globally competitive provider of energy, to a focus on European infrastructure needs, increasing EU’s raw materials security, to boost demand for net zero, low carbon an circular products, to leverage, enforce, revive and improve the Single Market (see my recent blogpostf https://wordpress.com/post/kurtbayer.wordpress.com/3869), to making the innovation framework smarter, a „new spirit of law-making“, to, finally, ensure the structure to permit to achieve results.

Very self-assuredly, the authors claim „We need to keep industry in Europa because the (sic!) industy will deliver the climate solutions Europe needs“.

One would not expect a very different call to action from Europe’s combined industrial sector: it sees itself as the main solution to competitiveness and climate action – forgetting that its actors have been the main culprits in deteriorating climate and biodiversity, in generating vast gaps in income and wealth leading to a breakdown in social and political consensus, thus enabling populist agitators to offer „simple solutions“.

There is noting wrong with many of industry’s demands, however the following points need making:

1. This is a very narrow definition of the subject of an industrial policy: it leaves out all the business services which drive goods and services production as much as production itself.

2. It relies on a „business as usual“ idea: with lower energy costs, more public funds we will „green and decarbonize“ the economy and invest the necessary funds. A thorough re-structuring of the economy, of the way we produce and consume is lacking.

3. The call relies on technical solutions to decarbonize. It does not mention the regulatory role of the state in changing behavior patterns: no decommissionings, no forbidding of products and processes, no tax incentives are mentioned, only „more money“.

4. The proposed actions will not touch the present „model“: no mentioning of the role of the financial sector, no mentioning of controls of production processes and consumption, no mentioning of a change in business investment decision procedures, e.g. involving civil society or even the workers.

5. The „forecast“ that by 2050 Europe’s electricity needs will need to „multiply“ and that industry investment „will need a factor six (!!!)“ shows that no transformational change in the European business model is intended.

We have to take this Antwerp Declaration for what it is: an interest-driven statement by European businesses. Its lack of a „transformational spirit“ shows that it is not fit for the necessary transition towards sustainability. We should expect more.

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Ceterum Censit Lingens: Lohnzurückhaltung und Saldenmechanik

Ceterum censit Lingens: Saldenmechanik

Wolfgang Försters Leserbrief (Falter 18/24), dass Lingens „gefühlte 100 Wiederholungen, (dass) Deutschlands Lohnzurückhaltung“ die Wurzel alles Übels Europas sei, trifft den Punkt genau. Und, wie das Amen im Gebet, ist das schon wieder Lingens’ Credo in der letzten Kolumne „Die Zählebigkeit ökonomischer Irrtümer“ (Falter 18/24), wo er sich als Watschenmann den Harvard-Ökonomen Kenneth Rogoff herholt, der dafür verantwortlich wäre, dass die EU Wachstum eingebüßt hätte. Also: Rogoff hat zusammen mit der ebenfalls renommierten Ökonomin Carmen Reinhard im Zuge der Welt-Finanzkrise nach 2008 im New York Times Besteller „This Time is Different. Eight Centuries of Financial Folly“ (Princeton University Press 2009) nach einer gründlichen Untersuchung von 200 Jahren Schuldenkrisen über viele Länder festgestellt, dass – ebenso wie in der Finanzkrise 2008 ff.- die Wirtschaftspolitik jedes Mal meine, dass die aktuelle Krise „anders“ als alle vorigen sei, und daher jetzt besser bewältigt und künftige verhindert werden könnten. Der Autoren Fazit ist, dass man sehr wohl aus „alten“ Krisen lernen könne, dass das Finanzsystem, trotz immer neuer und anderer, manchmal weniger, Regulierungen weiterhin sehr fragil sei, dass also solche Krisen immer wieder drohen würden. Mithilfe einer empirischen Zusatz-Analyse, die als mit einem Fehler behaftet kritisiert wurde, stellen sie fest, dass eine Staatsverschuldung von mehr als 90% des BIP über den gesamten Zeitraum und die analysierten Länder hinweg die Wahrscheinlichkeit einer Finanzkrise erhöht hätte. Rogoff-Reinhart haben den Fehler in einer Excel-Tabelle zugegeben, haben jedoch – unwidersprochen gemeint – dass zwar die 90%-Schwelle nicht zu halten sei, aber die grundsätzliche Schlußfolgerung weiter aufrecht bleibe: hohe Staatsverschuldung erhöhe die Krisenwahrscheinlichkeit, der Finanzsektor nütze die Anreize, dass die Wirtschaftspolitik beim Fallen von Vermögenspreisen gegensteuere, dies aber bei Steigen der Preise nicht täte, zu erhöhter Risikobereitschaft und bleibe daher fragil. Einige (berechtigte) Kritiker der 90%-Schwelle zitiert Lingens zustimmend für seine immer wieder wiederholte These, dass Rogoff damit für die deutsche Austeritätspolitik verantwortlich sei und bringt als „Gegenbeispiel“ für die Sinnlosigkeit der Rogoff-Reinhart-Analyse die hohe Verschuldung der USA, die totzdem stark gewachsen seien.

Rogoff-Reinharts Studie (463 Seiten!) befaßt sich, im Gegensatz zu Lingens’ Meinung, nicht mit der konjunkturellen Erhöhung von Staatsverschuldung, sondern mit den dadurch ausgelösten „Asset Bubbles“, mit interner versus externer Verschuldung, mit Wechselkurs- und Bankenkrisen, mit den Entstehungsgründen und dem Verlauf von Finanzkrisen, mit wirtschaftspolitischen Gegensteuerungsmaßnahmen, und vielem anderen mehr. Zielaussage der Studie ist die Fragilität des Finanzsystems über die Jahrhunderte und die Kurzsichtigkeit und Planlosigkeit der Wirtschaftspolitik, die daraus nichts lernen will. Diese Studie – so kritikwürdig sie in vieler Hinsicht sein mag – für die deutsche Austeritätspolitik, die Griechenlandkrise und die Wachstumsschwäche Europas verantwortlich zu machen, ist einfach unseriös.

Lingens spannt dann den Bogen zum nunmehr neu formulierten Stabilitäts- und Wachstumspakt, den er zurecht kritisiert, um dann wieder auf seine „Ökonomie-Weltformel Saldenmechanik“ als Erlöser zu kommen, die als einzige „ein gültiges ökonomisches Gesetz“ formuliere. Er spielt damit auf die makroökonomische Gleichung an, nach der alle Ausgaben einer Volkswirtschaft deren Einnahmen enstprechen müssen. Ja, das stimmt natürlich, aber es ist eben eine Bilanzgleichung, die die Beweggründe für die Verhalten der einzelnen Akteure und deren Auswirkungen auf die einzelnen Aggregate außer Acht läßt, was die Aufgabe ökonomischer Theorien ist. Zurecht meint Lingens, dass die Steigerung der Budgetdefizite in der Krise durch die Zurückhaltung der Konsumenten und Investoren zwangsläufig gewesen sei (er läßt dabei das neben Konsum, Investitionen und Staatsverschuuldung vierte wesenltiche Aggregat der Nachfrage, nämlich Nettoexporte aus), er „vergißt“ aber die säkuläre Steigerung der Schuldenquoten, die eben nicht nur auf die notwendige kurzfristige Stabilisierung der Gesamtnachfrage zurückgehen, sondern in der Macht der Finanzmärkte, „ihre Geschäftsmodelle und Gewinne“ zu stabilisieren bzw. zu erhöhen, sowie den asymmetrischen Politikantworten liegen. Er hat recht, wenn der die Staatsschuldenbremse Deutschlands und die Versessenheit der EU, öffentliche Haushalte zu „konsolidieren“ als gegenproduktiv in der Krise anprangert. Er macht es sich jedoch zu leicht, mit dem Schlegel „Saldenmechanik“ alle komplexen Vorgänge der Ökonomie erklären zu wollen. Und er tut Rogoff (der beileibe kein Ökonomie-Engel ist) Unrecht, wenn er ihn kurzerhand zum Meister der Budgetkonsolidierung und Veranwortlichen der EU-Wachstumsschwäche erklärt.

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“Mit Herz und Hirn: 24 Ideen für Österreich”

Das SPÖ Wahlkampf-Vor-Programm

!m 27. April hat die SPÖ ihre hauptsächlichen Wahlkampf-Aktivitäten (70 Seiten), ihres Vorsitzenden Andi Babler veröffentlicht.

Es ist ein „Bottom-up“ Programm, das sich hauptsächlich den aktuellen Problemen der wahlberechtigten ÖsterreicherInnen widmet. Diese „Ideen“ sind angeblich Kurzform und Vorläuferinnen eines kommenden Gesamtprogramms. Als solche wirken sie wie das Wahlprogramm eines Bürgermeisters für seine Gemeinde, das – a la der KPÖ neu in Graz und Salzburg – die brennenden Sorgen der BügerInnen ernst nimmt und diese zu lösen versucht. Daran ist nichts Schlechtes, im Gegenteil. Die einzelnen Ideen sind – unterschiedlich – durchaus sinnvoll. Sie gehen, zB bei Bildung, Gesundheit, Steuern, Mieten, und anderes mehr, von den Verschlechterungen, bzw. dem negativen Status quo, aus, die in den letzten Jahren – nicht zufällig weil da die SPÖ nicht in der Regierung war – eingetreten sind und versprechen, den früheren, besseren (?) Zustand wieder herzustellen. Es ist also primär ein „konservatives“ Programm, das all jene überzeugen soll, die meinen, dass viel früher einmal besser war. (An den sprachlichen Zumutungen – im Gedenkjahr Karl Kraus – soll sich Armin Thurner vom FALTER abarbeiten).

Daran ist nichts grundlegend falsch, aber: es fehlt eine Zukunftsvision, eine Vorstellung, wie unsere Gesellschaft in Zukunft aussehen soll und was die SPÖ dazu beizutragen verspricht. Und eine solche Vision muss nicht nur mehr Zukunft enthalten, sondern auch über Einzelideen hinausgehen, die zusammenhanglos nebeneinander stehen. Das alles muß im künftigen angekündigten „Programm“ stehen.

Als Ökonom fällt mir besonders auf, dass die „Ideen“ vollkommen dem bestehenden Wirtschaftssystem verhaftet bleiben: kein Wort von der notwendigen „Zähmung“ der überbordenden Finanzmärkte, außer der Gewinnabschöpfung von Banken und der Verpflichtung dieser, ein mit derzeit 3% mindestverzinsten Sparbuch aufzulegen. Kein Wort von der Notwendigkeit der grundlegenden Veränderung unseres Produktions- und Konsumsystems angesichts der Klima- und Umweltkrise. Zwar wird der bereits bekannte 20 Mrd € schwere Transformationsfonds gefordert und die sinnvolle Idee eingebracht, alle Klimaförderungen zu bündeln, aber gleich wieder ad absurdum geführt als dies von der ÖBAG gemanagt werden soll: wann hat die ÖBAG jemals eine Förderung abgewickelt, warum greift man nicht, wenn man schon stolz auf den Einsatz bestehender Institutionen ist, auf AWS und/oder ERP-Fonds zurück? Und: wenn man die gesamte nur vage angesprochene Transformation zur ökologischen und digitalen Nachhaltigkeit nur in immer neuen Förderungen (primär für neue Technologien) sieht und kein Wort über notwendige (und kostengünstige) Regulierungen verliert, dann verfehlt man die Ernsthaftigkeit der Problematik. Und auch in der Budgetpolitik: hier betont die SPÖ die Wichtigkeit der Maastrichtkriterien ohne ein Wort zum eben wieder inkraft gesetzten Stabilitäts- und Wachstumspakt zu verlieren, und geht nur darüber hinaus, indem sie die Ausnahme der „Goldenen Regel“ vorschlägt, also dass klimarelevante öffentliche Investitionen von der 3%-Grenze ausgenommen bleiben sollen – aber sonst bleibt alles beim Alten. Dass man Steuerschlupflöcher stopfen, Steuergerechtigkeit walten lassen und die sinnlose Senkung der Körperschaftsteuer auf 23% rückgängig machen will – ist alles wichtig, aber nicht neu.

Wie gesagt: Frauenlöhne anzugleichen, Arzttermine zu garantieren, mehr Polizisten einzstellen, „Behinderten“ gerechten Lohn zu zahlen, das Tierwohl zu fördern, Öffis auszubauen, beste Bildung unabhängig vom Einkommen zu machen, Kinderarmut zu beseitigen, 4-Tage Woche, Langzeitarbeitslosen eine Beschäftigungsgarantie zu geben, Grüne Technologie im Lande zu fördern, das Pensionsantrittsalter nicht zu erhöhen (was ist mit der in Gang gekommenen Anhebung des Frauen-Antrittsalters?), einen Bankomat je Gemeinde zu fordern, Lohntransparenz zu garantieren, verstärktes Augenmerk auf Frauengesundheit zu legen, Gewalt innerhalb und außerhalb der Wohnung zu bekämpfen, Integration durch raschere Beschäftigung zu erleichtern, Kleinunternehmer im Sozialsystem besserzustellen, das „beste Gesundheitssystem“ zu fordern, die Wasserversorgung sicherzustellen, ein Zeitungsabo für jeden zu bezahlen, Wohnen leistbar, ein Leben für Alte ohne Computer und mit Bargeld sicherzustellen, sowie ein faires Steuersystem (siehe oben) zu garantieren – all dies sind, trotz einiger skurriler Ideen, durchaus in der Lage zu zeigen, dass die SPÖ sich der so artikulierten Sorgen breiter Teile der Bevölkerung annimmt.

Aber eben: es fehlt eine übergeordnete Idee, die all diese (und andere?) Ideen bündelt und in wenigen Sätzen ein „besseres Leben für die Zukunft“ verspricht. Bis auf Einzelideen gibt es keine Zahl, was das alles kostet, keine Überlegung, was davon die Öffentliche Hand (auf welcher Gebietsebene) was der Privatsektor übernehmen soll.

Es bleibt somit ein typisches „Bürgermeisterprogramm“: Es zeigt den Menschen, dass die SPÖ ihre tagtäglichen Sorgen versteht und sich darum kümmern will. Aber es ist rückschrittlich, weil es „nur“ dorthin will, wo wir schon einmal waren. Die Erfordernisse der Gegenwart und vor allem der Zukunft, die Bewältigung der Klima- und Umweltkrise, das systembedingte immer stärkere Auseinanderklaffen von Einkommen und Vermögen, die Gefahr weiterer Pandemien, das gesellschaftliche Auseinanderdriften, die Bewältigung der Kriege in Nachbarschaft und auf der Welt mit ihren Folgen stärkerer Migration, die Position Österreichs (und Europas) in der sich verändernden Welt – all dies wird nicht angesprochen. Österreich wird – unausgesprochen – als isolierte Insel dargestellt, die allein für sich selbst verantwortlich ist. Die EU wird mit keinem Wort erwähnt: was Österreich dort soll, wie es österreichische und europäische Interessen miteinander kompatibel machen kann – Fehlanzeige.

PolitikwissenschafterInnen und PolitikberaterInnen werden beurteilen, ob dieses Vorprogramm wahlkampftauglich ist. Es mag dem österreichischen Provinzialismus entsprechen. Stellt man an ein Wahlprogramm andere Ansprüche wie Zukunftsorientierung, reicht es nicht.

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