Category Archives: European Union

More of the Same or Transformation?

The calls for a new European Industrial Strategy are getting louder. Europe’s low growth, remaining high energy prices and convoluted decision procedures have recently led to an „Antwerp Declaration for a European Industrial Deal“, instigated by Belgian authorities and institutions (http://antwerp-declaration.eu/). Chinese excess industrial capacity, the easy access and quick effectiveness of the US Inflation Reduction Act, in addition to high energy prices, the need for de-carbonisation and lack of adequate labor lead to this call for action which by May 6, 2024 has been supported by 1101 organizations, 763 companies and 204 associations and unions. The claim that production sites are being closed and additional businesses move to the USA reinforce this call to action.

Ten individual actions are proposed, from a strategic industry plan 2024-2029, strong public funding with a Clean Tech Doployment Fund, making Europa a globally competitive provider of energy, to a focus on European infrastructure needs, increasing EU’s raw materials security, to boost demand for net zero, low carbon an circular products, to leverage, enforce, revive and improve the Single Market (see my recent blogpostf https://wordpress.com/post/kurtbayer.wordpress.com/3869), to making the innovation framework smarter, a „new spirit of law-making“, to, finally, ensure the structure to permit to achieve results.

Very self-assuredly, the authors claim „We need to keep industry in Europa because the (sic!) industy will deliver the climate solutions Europe needs“.

One would not expect a very different call to action from Europe’s combined industrial sector: it sees itself as the main solution to competitiveness and climate action – forgetting that its actors have been the main culprits in deteriorating climate and biodiversity, in generating vast gaps in income and wealth leading to a breakdown in social and political consensus, thus enabling populist agitators to offer „simple solutions“.

There is noting wrong with many of industry’s demands, however the following points need making:

1. This is a very narrow definition of the subject of an industrial policy: it leaves out all the business services which drive goods and services production as much as production itself.

2. It relies on a „business as usual“ idea: with lower energy costs, more public funds we will „green and decarbonize“ the economy and invest the necessary funds. A thorough re-structuring of the economy, of the way we produce and consume is lacking.

3. The call relies on technical solutions to decarbonize. It does not mention the regulatory role of the state in changing behavior patterns: no decommissionings, no forbidding of products and processes, no tax incentives are mentioned, only „more money“.

4. The proposed actions will not touch the present „model“: no mentioning of the role of the financial sector, no mentioning of controls of production processes and consumption, no mentioning of a change in business investment decision procedures, e.g. involving civil society or even the workers.

5. The „forecast“ that by 2050 Europe’s electricity needs will need to „multiply“ and that industry investment „will need a factor six (!!!)“ shows that no transformational change in the European business model is intended.

We have to take this Antwerp Declaration for what it is: an interest-driven statement by European businesses. Its lack of a „transformational spirit“ shows that it is not fit for the necessary transition towards sustainability. We should expect more.

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Ceterum Censit Lingens: Lohnzurückhaltung und Saldenmechanik

Ceterum censit Lingens: Saldenmechanik

Wolfgang Försters Leserbrief (Falter 18/24), dass Lingens „gefühlte 100 Wiederholungen, (dass) Deutschlands Lohnzurückhaltung“ die Wurzel alles Übels Europas sei, trifft den Punkt genau. Und, wie das Amen im Gebet, ist das schon wieder Lingens’ Credo in der letzten Kolumne „Die Zählebigkeit ökonomischer Irrtümer“ (Falter 18/24), wo er sich als Watschenmann den Harvard-Ökonomen Kenneth Rogoff herholt, der dafür verantwortlich wäre, dass die EU Wachstum eingebüßt hätte. Also: Rogoff hat zusammen mit der ebenfalls renommierten Ökonomin Carmen Reinhard im Zuge der Welt-Finanzkrise nach 2008 im New York Times Besteller „This Time is Different. Eight Centuries of Financial Folly“ (Princeton University Press 2009) nach einer gründlichen Untersuchung von 200 Jahren Schuldenkrisen über viele Länder festgestellt, dass – ebenso wie in der Finanzkrise 2008 ff.- die Wirtschaftspolitik jedes Mal meine, dass die aktuelle Krise „anders“ als alle vorigen sei, und daher jetzt besser bewältigt und künftige verhindert werden könnten. Der Autoren Fazit ist, dass man sehr wohl aus „alten“ Krisen lernen könne, dass das Finanzsystem, trotz immer neuer und anderer, manchmal weniger, Regulierungen weiterhin sehr fragil sei, dass also solche Krisen immer wieder drohen würden. Mithilfe einer empirischen Zusatz-Analyse, die als mit einem Fehler behaftet kritisiert wurde, stellen sie fest, dass eine Staatsverschuldung von mehr als 90% des BIP über den gesamten Zeitraum und die analysierten Länder hinweg die Wahrscheinlichkeit einer Finanzkrise erhöht hätte. Rogoff-Reinhart haben den Fehler in einer Excel-Tabelle zugegeben, haben jedoch – unwidersprochen gemeint – dass zwar die 90%-Schwelle nicht zu halten sei, aber die grundsätzliche Schlußfolgerung weiter aufrecht bleibe: hohe Staatsverschuldung erhöhe die Krisenwahrscheinlichkeit, der Finanzsektor nütze die Anreize, dass die Wirtschaftspolitik beim Fallen von Vermögenspreisen gegensteuere, dies aber bei Steigen der Preise nicht täte, zu erhöhter Risikobereitschaft und bleibe daher fragil. Einige (berechtigte) Kritiker der 90%-Schwelle zitiert Lingens zustimmend für seine immer wieder wiederholte These, dass Rogoff damit für die deutsche Austeritätspolitik verantwortlich sei und bringt als „Gegenbeispiel“ für die Sinnlosigkeit der Rogoff-Reinhart-Analyse die hohe Verschuldung der USA, die totzdem stark gewachsen seien.

Rogoff-Reinharts Studie (463 Seiten!) befaßt sich, im Gegensatz zu Lingens’ Meinung, nicht mit der konjunkturellen Erhöhung von Staatsverschuldung, sondern mit den dadurch ausgelösten „Asset Bubbles“, mit interner versus externer Verschuldung, mit Wechselkurs- und Bankenkrisen, mit den Entstehungsgründen und dem Verlauf von Finanzkrisen, mit wirtschaftspolitischen Gegensteuerungsmaßnahmen, und vielem anderen mehr. Zielaussage der Studie ist die Fragilität des Finanzsystems über die Jahrhunderte und die Kurzsichtigkeit und Planlosigkeit der Wirtschaftspolitik, die daraus nichts lernen will. Diese Studie – so kritikwürdig sie in vieler Hinsicht sein mag – für die deutsche Austeritätspolitik, die Griechenlandkrise und die Wachstumsschwäche Europas verantwortlich zu machen, ist einfach unseriös.

Lingens spannt dann den Bogen zum nunmehr neu formulierten Stabilitäts- und Wachstumspakt, den er zurecht kritisiert, um dann wieder auf seine „Ökonomie-Weltformel Saldenmechanik“ als Erlöser zu kommen, die als einzige „ein gültiges ökonomisches Gesetz“ formuliere. Er spielt damit auf die makroökonomische Gleichung an, nach der alle Ausgaben einer Volkswirtschaft deren Einnahmen enstprechen müssen. Ja, das stimmt natürlich, aber es ist eben eine Bilanzgleichung, die die Beweggründe für die Verhalten der einzelnen Akteure und deren Auswirkungen auf die einzelnen Aggregate außer Acht läßt, was die Aufgabe ökonomischer Theorien ist. Zurecht meint Lingens, dass die Steigerung der Budgetdefizite in der Krise durch die Zurückhaltung der Konsumenten und Investoren zwangsläufig gewesen sei (er läßt dabei das neben Konsum, Investitionen und Staatsverschuuldung vierte wesenltiche Aggregat der Nachfrage, nämlich Nettoexporte aus), er „vergißt“ aber die säkuläre Steigerung der Schuldenquoten, die eben nicht nur auf die notwendige kurzfristige Stabilisierung der Gesamtnachfrage zurückgehen, sondern in der Macht der Finanzmärkte, „ihre Geschäftsmodelle und Gewinne“ zu stabilisieren bzw. zu erhöhen, sowie den asymmetrischen Politikantworten liegen. Er hat recht, wenn der die Staatsschuldenbremse Deutschlands und die Versessenheit der EU, öffentliche Haushalte zu „konsolidieren“ als gegenproduktiv in der Krise anprangert. Er macht es sich jedoch zu leicht, mit dem Schlegel „Saldenmechanik“ alle komplexen Vorgänge der Ökonomie erklären zu wollen. Und er tut Rogoff (der beileibe kein Ökonomie-Engel ist) Unrecht, wenn er ihn kurzerhand zum Meister der Budgetkonsolidierung und Veranwortlichen der EU-Wachstumsschwäche erklärt.

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Enhancing “Efficiency” or Transition towards Sustainability?

Enrico Letta’s report on „Much more than a market – Speed, Security, Solidarity Empowering the Single Market to deliver a sustainable future and prosperity for all EU Citizens“ (April 2024) was delivered to EU prime ministers at their recent meeting. It is a thorough analysis of the changes since the Single Market’s inception in the early 1990s and of future requirements.

If, as an Austrian economist has recently called it, it is „the crown jewel of the EU“ (reader forget about the monarchistic slant!), then its rejuvenation and enhancement, as proposed by Lettas, is quite mpressive.

More Liquid Financial Markets?

If, however, one sees the Single Market’s philosophy as „globalization on steroids“, as the epitomy of neoliberal supply-side economics, at least partially responsible for the crises we are facing, climate and environment, pandemics spread, massive income and wealth inequality and the concomitant loss of social cohesion and confidence in politics, then one could question – as I do – why „more and better of the same“, as Letta proposes, is not rather a missed opportunity to make the Single Market the core piece of transition towards sustainability.

Letta proposes the quick implementation of the long-discussed „Capital Market Union“, in order to prevent capital from leaving the EU to attract foreign capital. He fails to mention the ravages unbridled financial market activity has wreaked on the world economy, not least in 2008 ff, when the crisis nearly brought down the world economy. He seems to suggest that the EU should emulate the US „deep and liquid financial market“ as the solution to enhance growth, to finance climate change and the digital transformation. No word about speculation, tax avoidance, high volatility which threatens the real economy. Sensibly, he suggests to create a unified institution for financial market supervision, instead of the sectoral fragmentation (banks, insurance, stock exchanges, euqity and bonds). But I would rather rely on completing the EU „Banking Union“, because bank finance, if properly supervised and risk-assessed, still rests on a personal link between the bank and the debtor, instead of the anonymous idea underlying financial markets (a multitude of „investors“ will make correct decisions). I also think that it is not – and should not be – the liquidity of a regional financial market that attracts capital, but the viability and strength of the to-be-financed real investments. I doubt whether a proposed „ EU automated personal pension product“ would reduce the challenges to finance pensionns in the future in the face of ageing societies. I prefer making pay-as-you-go systems viable instead of turning them over to the whims and irrationalities of financial markets. To turn more of Europe’s citizens savings, held in current accounts (around 10 trillion €??) into real investment, will remain an important challenge. It also makes sense to jointly finance mor of the Eus public goods, especially with respect to a Green Transition Fund. But: To reduce the domination of financial markets of the economy would be an important development of a future Single Market.

Europeanization of Networks

Also sensibly and within the mandate towards sustainability is Letta’s call for Europeanization of electricity, mobility and communication networks. Here fragmentation into 27 networks unnecessarily costs money and reduces service. Whether Letta’s proposed „Fifth Freedom“, comprising education, research and development and innovation – in addition to the existing four: goods, services, capital, labor – will bring Europe forward is to be seen. While recently, „security“ concerns, whether real or imagined, have given rise to a retrenchment of globalization, stronger European efforts in green and digital technologies could enhance the transition. The call for a relaxation of EU’s strict state aid rules, in order to create „European Champions“ to be able to counter the competition of US and Chinese giants, can be sensible, as well as the proposed creation of joint European financing of the Green Transition Fund.

Where is the Demand Side of the Single Market?

What Letta completely ignores is the idea the the Single Market should not only be a production enhancer, but also target the wellbeing of households. To direct more of EU economic policy towards the 450 million Europeans, instead of pursuing „international competitiveness“ by lowering costs of production – in this way also putting a lot of pressure on European wages, would make the Single Market more acceptable to citizens, by showing them real benefits accruing to Europeans. As the third largest economic space in the world, containing 450 million persons, the enhancement of sustainable wellbeing of the Europeans should be the Single Market’s primary aim, not whether we can compete with the outside world. Europe is strong enough, and wealthy enough to rely on its own ideas, its own cultures, its own values. Of course, where possible and positive, it should stay open to the outside world, exports its ideas and import useful ideas, goods and services.

Sustainability Needs More than Renewables, it Needs a New Economic Model

The order of the day is quick progress towards „sustainability“. It is not enough the „green“ the energy sector, as long as we rely on GDP growth as the main indicator for wellbeing, we will need more resources, impact more the environment and exhaust the creativity of our citizens. We need to stay on this green path, but turn the economy into not surpassing our planetary limits.

The recent statements by „world leaders“, including the heads of the major financial institutions, their lament about „global growth“ having fallen, is misguided. Why not use this weakness in GDP growth to push more forcibly for a quicker transition. The tools are available, political will is lacking. This is the real tragedy of our times. Letta’s report unfortunately fits this pattern.

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Lernen sie es Nie?

Wirtschaftswachstum Forever?

In den letzten Tagen wurde über die „schlechten“ Ergebnisse der neuen Konjunkturprognosen in Europa und Österreich lamentiert: von der OECD, IMF, Europäische Kommission, Forschungsinstitute bis zu den Medien, von Financial Times, Corriere della Sera, Süddeutsche Zeitung, Standard und Presse wurden die Herabsetzungen der Zuwachsraten des BIP beklagt und alte Rezepte für eine Belebung der Konjunktur angepriesen (Österreich hat dies soeben mit seinem Baupaket versucht). Man tut so, als ob es keine Klima- und Umweltkrise gäbe. Offenbar gilt die oft geäußerte Notwendigkeit zu einem grundlegenden Umbau unserer Wirtschaften in Richtung Nachhaltigkeit nur in Sonntagsreden. Sobald das Wirtschaftswachstum einbricht, ist das vergessen. Mit Neid wird auf die viel stärker wachsende US-amerikanische Wirtschaft geblickt.

Natürlich stimmt es, dass innerhalb des bestehenden Wirtschaftssystems weniger Wachstum zu mehr Arbeitslosigkeit führt, die Armutsgefährdung steigt, die Sozialsysteme und öffentlichen Haushalte überfordert werden – aber das wissen wir schon lange. Ebenso wie dass die Fertilitätsraten sinken, die eigene Bevölkerung zurückgeht und damit Produktivität, Finanzierung von Gesundheits- und Pensionssystem großen Herausforderungen unterworfen sind.

Das Rezept der europäischen und österreichischen Regierung? Mehr vom selben: Standort-Gequassel, Lohn-Preis-Spirale, mehr Geld in alte Strukturen – je nach Lobbykraft des Sektors. Und gleichzeitig Jammern über die hohen Kosten des Umbaus, über das Nicht-Erreichen der selbst mit-festgelegten Klimaziele und weitgehendes Schweigen über die damit verbundenen Pönalzahlungen, „die ja erst in der Zukunft schlagend werden“. Nach kurzfristiger gehypter „Klimaeuphorie“ jetzt wieder bestenfalls Greenwashing und Jammern über die hohen Kosten.

Zeit für Umbau

Wann sonst, wenn nicht jetzt – wo die Verwerfungen des bestehenden Wirtschaftssystems immer klarer zu Tage treten – ist es an der Zeit, tatsächlich mit dem Umbau beginnen. Von einigen Politikern – wenn sie überhaupt etwas zum Umbau sagen – hören wir: Systemwechsel nein, Systemreform ja. Damit scheinen sie zu meinen, dass am grundlegenden vom irrationalen Finanzsektor dominierten Wirtschaftssystem, festgehalten werden muss, höchstens an „kleinen Schrauben“, wie dem Ausbau der Erneuerbaren Energiequellen, Investitionen in Digitalisierung, dem Anwerben von qualifizierten Arbeitskräften aus den Ausland, etc. gedreht werden soll und dass damit offenbar „Nachhaltigkeit“ erzielt wird. Das Tabuthema „Wirtschaftswachstum“ als Fetisch der Wirtschaftspolitik darf nicht angegriffen werden, höchstens verkleidet als „Grünes Wachstum“. Dass der endliche Planet Erde nicht permanentes Wachstum und Verbrauch an Umwelt, an Ressourcen vertragen kann, wird ignoriert. Dass Wirtschaftswachstum, sei es ingesamt oder pro Kopf sich als allgemeiner Wohlstandsindikator überlebt hat, und durch neue Indikatoren zur Lebenszufriedenheit, welche auch eine gesunde Umwelt, mehr öffentliche statt private Güter, mehr Gesundheit, weniger Stress, weniger mentale Belastungen umfassend als Leitlinie für Wirtschaften abgelöst werden muss, wird ignoriert. Statt dessen werden in den Medien „erfolgreiche“ Tycoons gefeiert (bis sie fallen), sollen aus Konsumenten „Investoren“ werden, die ihr Geld in Spekulations“produkte“ wie Bitcoins oder zumindest Aktien anlegen sollen, werden die vierteljährlichen Bilanzen der Unternehmen zum Standard für Führungsqualität und exorbitanten Managergehältern, wird Lohndrücken und „Kosteneffizienz“ zum Goldstandard für Unternehmensführung, während den Finanzinvestoren durch Aktienrückkäufe und hohe Dividendenzahlungen die Taschen gefüllt werden, anstatt den Arbeitnehmern höhere Löhne zu zahlen. Es ist schon absurd: im Standort- und Investitionswettbewerb gelten niedrige Löhne der Arbeitnehmer und gleichzeitig hohe Managergehälter als positiv. Man muss sich ja im „Kampf um Talente“ behaupten.

Die Wirtschaftspolitik und die Medien sollten endlich erkennen, dass das bestehended „System“, sei es als neoliberal verunglimpft, sei es als neoklassisch ökonomisiert, uns genau jene Verwerfungen im Sozialen und Umwelt/Klimabereich gebracht hat, die wir jetzt als „Krisen“ spüren. Dass dessen Aufrechterhaltung, nur an den Rändern verändert, uns weiter in diese Krisen stößt. Die exorbitanten Gewinne der Finanzindustrie und Plattformen, aber auch der Pharmaindustrie und anderen, die als 15%-Mindestrenditen von den „Investoren“, eigentlich Spekulanten, gefordert werden können nur durch Ausbeutung der Realwirtschaft, also der Arbeitnehmer, der Umwelt und der produzierenden Wirtschaft „erwirtschaftet“ werden. Sie zerstören Klima, Biodiversität und Umwelt, sie laugen ArbeitnehmerInnen aus, sie höhlen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Zusammenhalt, auf Community-Ebene aus, sie werden – wie im kommerzialisierten Fußball anschaulich zu beobachten – „footloose“, also der Bindung an die lokale Community entbunden, mit allen negativen Auswirkungen auf den gesellschaftlichen Zusammenhalt.

Systemwechsel: ja unbedingt

Wir brauchen daher einen „Systemwechsel“, einen grundlegenden Umbau der Wirtschaft, wenn wir und der Planet überleben sollen, und zwar über die nächste Legislaturperiode hinaus. Dazu gehört vor allem die Zurückdrängung der dominanten Rolle des Finanzsektors; die Orientierung der Wirtschaftspolitik am Wohlbefinden der Menschen und der Umwelt; die Entwicklung (viele gibt es schon) und Propagierung von neuen Indikatoren des Wohlbefindens anstatt von Wirtschaftswachstum; die Zurückdrängung des durch Lobbymacht und Anzeigenflut überbordenden privaten Konsums; die Forcierung der Investitionen in Öffentliche Güter wie Umwelt, Bildung/Ausbildung, Volksgesundheit, innere und äußere Sicherheit; die Stärkung interner Kreisläufe und Resilienz durch Anerkennung und Remunerierung von bisher unentgeltlicher Arbeit; das Verbot sozial- und umweltschädlicher Aktivitäten; die Arbeit an internationaler Kooperation zur gemeinsamen Nutzung der beschränkten Ressourcen zu fairen Preisen – und vieles andere mehr.

Wie internationale und nationale Wahlergebnisse der letzten Jahre zeigen, kann das Mißtrauen der Bevölkerung in die „Politik“ durch viel mehr BügerInnen-Nähe, durch neue Mitwirkungsmodelle der Bevölkerung an sie betreffenden politischen Entscheidungen, durch an den Menschen orientierten Politikprozesse verringert werden. Damit kann auch Populisten das Wasser abgegraben werden, da die viel stärkere Einbindung der Bevölkerung den „einfachen“ Rezepten der Populisten das Wasser abgraben und Verständnis für die unterschiedlichen Interessen und die dadurch notwendigen schwierigen Aushandlungsprozesse schaffen kann.

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Das EU-Lieferkettengesetz und seine Dimensionen

Die endgültige Entscheidung über das lange verhandelte LKG ist am 9.2.24 vertagt worden. Deutschland und Österreich hatten sich der Stimme enthalten, die notwendige qualifizierte Mehrheit (50% der Staaten mit 65% der EU Bevölkerung) war nicht in Sicht. Die belgische Ratspräsidentschaft will am 14.2. noch einmal abstimmen lassen.

Das LKG muss man auf mehreren Ebenen diskutieren:

1. Implementierung der ESG (einvornment, social, good governance) Gesetzgebung.
Dabei geht es darum, die verbalen Verpflichtungen der Länder, künftig ihre Unternehmen auf umwelt-, sozial- und good-governance Standards zu verpflichten, die die Länder vor Jahren eingegangen waren, zu konkretisieren.
Durch das LKG sollen Unternehmen mit mehr als 500 Mitarbeitern (wenn sie in „Krisenbranchen“ arbeiten mehr als 250 Mitarbeiter) verpflichtet werden, bei ihren Vorlieferanten bis hin zu den Rohstofflieferanten dafür zu sorgen, dass weder Kinder- noch Gefangenenarbeit in diesen Unternehmen geleistet wird, dass relevante Umweltstandards eingehalten werden und die Unternehmen moderne Geschäftsorganisation, Beschaffungsmethoden, etc. einhalten und relevante Berichte liefern können.

Damit sollen EU-Unternehmen sicher sein, dass nicht nur sie selbst, sondern alle ihre Lieferanten modernen Standards entsprechen. Damit soll auch Druck auf Unternehmen und ihre Lieferanten ausgeübt werden, Menschen- und Umweltrechte zu achten. Die EU-Unternehmen müssen neben den Berichten zur Lieferkette auch für sich selbst darlegen, wie sie die Pariser Umweltziele erreichen werden.

2. Die Zeitebene
Da geht es darum, ab 2026 sukzessive die Unternehmen zu verpflichten, einschlägige Berichte zu liefern. Bei Nichterfüllung können signifikante Sanktionen in Kraft treten.

Es geht also nicht darum, wie Gegner suggerieren, sofort neue Standards in Angriff zu nehmen, sondern dies schrittweise über mehrere Jahre zu implementieren, damit Unternehmen Zeit haben, sich auf diese neuen regulatorischen Erfordernisse einzustellen.

3. Die geopolitische Ebene

In den Diskussionen um eine zukünftige Weltordnung oder unordnungg werden die Größe einzelner Wirtschaften, ihre „Wettbewerbsfähigkeit“ (im konservativen Sprech ist damit preisliche Wettbewerbsfähigkeit gemeint, als relativ billiger als Konkurrenten anbieten zu können) als relevant für die „Macht“ einzelner Länder und Blöcke genannt. Viel häufiger wird argumentiert, dass zB die chinesische Wirtschaft durch ihre Raschheit bei neuen Produkten die später weltweiten Standards für Produkte durchsetzt und damit Wettbewerbsvorteile hat. Die Europäische Union, die in diesem Hegemonialwettbewerb üblicherweise als schwach oder irrelevant bezeichnet wird, hat jedoch etwa durch ihre DatenschutzGrundverordnungg oder die Regelungen für Künstliche Intelligenz weltweite Standards gesetzt, ebenso wie durch ihren CO2-Grenzausgleichsmechanismus (CBAM), der ab 2026 von Ländern, die Produkte mit niedrigeren Umweltstandards als in der EU in diese exportieren wollen, entsprechende Zölle einheben wird, um damit die Kostennachteile der EU-Produzenten auszugleichen. Mit solchen „Standardsetzungen“ gelingt es der EU, trotz schwacher militärischer Verteidigung, trotz ihrer schwierigen und langsamen Abstimmungsprozesse unter 27 Mitgliedern starke Präsenz auf internationalen Märkten zu zeigen, und andere Länder dazu anzuregen (oder zu zwingen) ähnliche Standards einzuhalten.

Gerade diese geopolitische Positionierung zeigt, dass die derzeitige Blockade von Österreich, Deutschland und anderen, die auf massives Lobbyring der Unternehmerverbände zurückgeht, gegenproduktiv und äußerst kurzsichtig ist. Abgesehen davon, dass diese Blockade bei vielen EU-Partnern Unmut über diese sehr späten Einwände hervorgerufen hat, nachdem beide Länder bei den zweijährigen Verhandlungen über Kompromisse mitgewirkt und damals keine Einwendungen eingebracht haben, ginge hier auch ein wichtiges „Alleinstellungsmerkmal“ europäischer Unternehmen verloren, welches sehr wohl neue Geschäftschancen ud Direkt-Investitionspotenziale für Europa eröffnen könnte. Von der „moralischen“ Verpflichtung unserer Unternehmen, die oft als Lippenbekenntnisse geäußerte Bedeutung der Einhaltung von menschenrechtlichen und ökologischen Standards endlich in die Praxis umzusetzen, ganz zu schweigen.

Dass damit neue Berichtspflichten auf die Unternehmen zukommen, die auch Kosten verursachen, bleibt unwidersprochen. Doch sind die geplanten Umsetzungsschritte nach den jahrelangen Verhandlungen und vielen Einwänden so gewählt, dass die Positive dieser wichtigen Initiative jedenfalls die Negativa übersteigen. Dafür haben Kommission, Parlament und die gemeinsamen Verhandlungen schon gesorgt.

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