Category Archives: Socio-Economic Development

More of the Same or Transformation?

The calls for a new European Industrial Strategy are getting louder. Europe’s low growth, remaining high energy prices and convoluted decision procedures have recently led to an „Antwerp Declaration for a European Industrial Deal“, instigated by Belgian authorities and institutions (http://antwerp-declaration.eu/). Chinese excess industrial capacity, the easy access and quick effectiveness of the US Inflation Reduction Act, in addition to high energy prices, the need for de-carbonisation and lack of adequate labor lead to this call for action which by May 6, 2024 has been supported by 1101 organizations, 763 companies and 204 associations and unions. The claim that production sites are being closed and additional businesses move to the USA reinforce this call to action.

Ten individual actions are proposed, from a strategic industry plan 2024-2029, strong public funding with a Clean Tech Doployment Fund, making Europa a globally competitive provider of energy, to a focus on European infrastructure needs, increasing EU’s raw materials security, to boost demand for net zero, low carbon an circular products, to leverage, enforce, revive and improve the Single Market (see my recent blogpostf https://wordpress.com/post/kurtbayer.wordpress.com/3869), to making the innovation framework smarter, a „new spirit of law-making“, to, finally, ensure the structure to permit to achieve results.

Very self-assuredly, the authors claim „We need to keep industry in Europa because the (sic!) industy will deliver the climate solutions Europe needs“.

One would not expect a very different call to action from Europe’s combined industrial sector: it sees itself as the main solution to competitiveness and climate action – forgetting that its actors have been the main culprits in deteriorating climate and biodiversity, in generating vast gaps in income and wealth leading to a breakdown in social and political consensus, thus enabling populist agitators to offer „simple solutions“.

There is noting wrong with many of industry’s demands, however the following points need making:

1. This is a very narrow definition of the subject of an industrial policy: it leaves out all the business services which drive goods and services production as much as production itself.

2. It relies on a „business as usual“ idea: with lower energy costs, more public funds we will „green and decarbonize“ the economy and invest the necessary funds. A thorough re-structuring of the economy, of the way we produce and consume is lacking.

3. The call relies on technical solutions to decarbonize. It does not mention the regulatory role of the state in changing behavior patterns: no decommissionings, no forbidding of products and processes, no tax incentives are mentioned, only „more money“.

4. The proposed actions will not touch the present „model“: no mentioning of the role of the financial sector, no mentioning of controls of production processes and consumption, no mentioning of a change in business investment decision procedures, e.g. involving civil society or even the workers.

5. The „forecast“ that by 2050 Europe’s electricity needs will need to „multiply“ and that industry investment „will need a factor six (!!!)“ shows that no transformational change in the European business model is intended.

We have to take this Antwerp Declaration for what it is: an interest-driven statement by European businesses. Its lack of a „transformational spirit“ shows that it is not fit for the necessary transition towards sustainability. We should expect more.

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Steuerreform oder Systemwechsel

Im Rahmen der dieses Jahr von Brasilien geleiteten G-20 Gruppe (der 20 größten Volkswirtschaften der Welt, inklusive der EU) haben eben die Minister von 4 wichtigen G-20 Ländern, Brasilien, Südafrika, Deutschland und Spanien einen Vorschlag für eine 2%-ige Steuer auf die Vermögen der 3000 Milliardäre der Welt vorgelegt (https://www.theguardian.com/inequality/2024/apr/25/ministers-of-germany-brazil-south-africa-and-spain-why-we-need-a-global-tax-on-billionaires). Dies vor dem Hintergrund einer Oxfam-Studie , die zeigt dass sich die Einkommenslücke zwischen den höchsten und niedrigsten Einkommen in den letzten Jahren verdoppelt hat, dass zwischen 2020 und 2023 das Vermögen dieser Milliardäre um 3.3 Billionen $, das ist mehr als ein Drittel (!), zugenommen hat, sowie einer Weltbank-Studie, die zeigt, dass seit der Pandemie die früheren Erfolge bei der Verminderung exzessiver Armut der Weltb evölkerung zum Stillstand gekommen sind.

Eine solche weltweit koordinierte und implementierte Steuer könnte bis zu 250 Mrd $ im Jahr einspielen – etwa die Summe der im Vorjahr verursachten Umweltschäden – und für die Armutsbekämpfung, die Herstellung von sozialstaatlichen Institutionen und Klimafolgenbekämpfung eingesetzt werden. Der einschlägig ausgewiesene und anerkannte französische Ökonom Daniel Zucman soll bis zur nächsten Ministertagung im Juni Details für eine solche Steuer und deren Implementierung ausarbeiten.

Eine solche global vereinbarte Steuer sollte die 15%-ige Minimalsteuer für das Körperschaftseinkommen der Multinationalen Konzerne, sowie der Bestrebungen nach globalen Digitalsteuern ergänzen. Es könne nicht sein, dass die Reichsten nur 0.5% ihres Vermögenseinkommens an Steuer zahlten und damit die Gruppe mit der niedrigsten effektiven Steuerlast seien. Natürlich müßte mit einer solchen globalen Vermögensteuer das Verbot von Steuerverschiebungen in „Steueroasen“ Hand in Hand gehen, wodurch erst solche Steuervermeidungen möglich würden.

Die G-20 Minister (und Zucman) wissen natürlich, dass der Widerstand gegen die Einführung einer solchen Vermögensteuer groß sein wird, dass die Reichsten ihre beachtlichen politischen Einflußmöglichkeiten dagegen geltend machen werden. Aber Umfragen zeigen, dass weltweit mehr als 80% der Bevölkerung einer solchen Steuer zustimmen: diese Meinungsmacht gelte es, gegen die Lobbykraft einzusetzen.

Ein solcher Vorschlag wird, wenn er denn durchgesetzt werden kann, die massiv verzerrte Verteilung von Einkommen und Vermögen auf der Welt nur wenig beeinflussen, allerdings eine wichtige symbolische Wegmarke auf dem Weg dahin setzen, dass „die Welt“ diese grotesken Unterschiede im Reichtum nicht länger hinnehmen will, während die Armen in den Entwicklungsländern ( in geringerem Ausmaß aber doch auch in den reichen Ländern,) kaum ihr Leben fristen können, keine adäquate Gesundheitsversorgung und Bildung haben und die von den internationalen Geldgebern und Finanzinstitutionen aufgezwungene Austerity-Politik die Sozialausgaben zugunsten der Zinszahlungen shcrumpfen läßt. Eine Steuer ist immer nur eine „ex post facto“- Möglichkeit des Staatseingriffs, also nachdem diese Einkommen und Vermmögen angehäuft wurden. Viel wichtiger wäre es, das Wirtschaftssystem so zu ändern, dass solche exzessiv hohen Einkommen gar nicht erst entstehen. Dies erforderte jedoch ein grundsätzliches Umdenken und harte Kämpfe gegen den Einfluß des alles dominierenden Finanzsektors, welcher Renditen um die 15% fordert, gegen die Allmacht der Börsen, die kurzfristige Unternehmensentscheidungen (durch die Pflicht vierteljährlich Bericht zu erstatten und darauf hin die Unternehmensbewertung abzustellen) fördern, gegen die Plattformmonopole und die Wirtschaftsmacht der Multinationalen Unternehmen, und gegen die unfairen Handelsbeziehungen zwischen Industrie- und Rohstoffländern.

Bis ein solcher Systemwechsel erfolgen kann, ist jedoch die Utopie einer globalen Vermögensteuer für Milliardäre zweifellos wert, umgesetzt zu werden.

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Strategische Vision für UK und Österreich?

Heraus aus der britischen Misere

Am 15.4. publizierte der Starökonom der Financial Times einen Kommentar, wie eine notwendige Wirtschaftsstrategie für das Vereinigte Königreich aussehen könnte. (Wie Österreich steht dem UK im Herbst eine Nationalratswahl bevor). Dabei geht Wolf vom Hintergrund der schlechten Performance der britischen Wirtschaft aus, die umzukehren wäre: würde man den Wachstumstrend 1995-2008 bis heute verlängern, wäre das pro-Kopf-Einkommen um ganze 39% (!!) höher als heute. Wolf nennt besonders vier essenzielle Bereiche für eine solche Strategie:

– Erstens braucht es eine strategische Vision, aufbauend auf einer 5-10 jährigen rollierenden Vision, wie aufgrund angenommener weltwirtschaftlicher Entwicklungen die britische Wirtschaft sich entfalten sollte, in Bezug auf Investitionen, erforderlichen Qualifikationen am Arbeitsmarkt, wie Innovation gefördert werden kann, um die Herausforderungen von Alterung, Klimawandel/Umwelt, etc. zu meistern. Das müßte natürlich auch eine Einwanderungspolitik und Bildungspolitik umfassen. Nur auf Grundlage einer solchen Vision könnten aktuelle Politikvorhaben evaluiert werden.

– Zweitens braucht es institutionelle Reform, und zwar auf der Bundesebene, wo vor allem die übermächtige Position des Finanzministeriums zurückgedrängt werden müsse zugunsten einer Stärkung der Fachministerien (das ist ein spezifisch britisches Problem, oder?). Weiters gehe es darum, den Regionen, besonders den Städten viel mehr politische Macht zu übetragen und die zentralisierte Stellung Londons zu schwächen.

Drittens muss es darum gehen, die immer größere werdende Lücke zwischen Staatsausgaben und -einnahmen in den Griff zu bekommen. Heute hat das UK die höchste Steuerlast seit dem 2. Weltkrieg, obwohl im internationalen Vergleich noch immer im unteren Drittel der Industrieländer. Konkret schlägt Wolf die Evaluierung der einzelnen Steuern auf ihre Effizienz (bezüglich Wachstum? Verteilung? Oder was sonst?) vor, den Ersatz der Immobiliensteuer durch eine Bodenwertabgabe, den Ersatz der Benzinsteuer durch eine CO2Abgabe, deren Erträge zur Kompensation der Verlierer sowie zu Investition in Klimastrategien verwendet werden sollte.

– Und viertens sollte eine Regierung eine Stragie für volkswirtschaftliches Sparen und Investieren entwickeln, da sowohl die Spar- wie die Investitonsquote im internationalen Vergleich nachhinkt. ZB (sehr UK-spezifisch) die empfohlene Obergrenze für Pensionssparen über die derzeitigen 8% des Einkommens anheben. Die übermäßig hohen Kosten von Infrastrukturbauten im UK sollten durch Vereinfachung der Planungsprozesse, besseres Procurement, etc. angegangen werden. Für Investitionen, die Marktwert ermöglichen, wäre auch Schuldenfinanzierung angebracht (Goldene Regel!). Als Beispiel nennt Wolf öffentliche Investitionen in Wohnraum (hier muss man wissen, dass unter Thatcher den Mietern von Sozialwohnungen ermöglicht wurde, zu sehr günstigen Konditionen diese privat zu erwerben, was zu einer massiven Erosion von „leistbarem Wohnen“ geführt hat).

Kann Österreich daraus lernen?

Als Hintergrund muss man verstehen, dass Österreichs Wirtschaft sich zwar besser als die britische entwickelt, aber dennoch gravierende Schwächen aufweist. Dennoch kann man einiges aus den britischen Überlegungen lernen.

Erstens: vorrangig ist die Entwicklung einer Gesamtstrategie, die sich über eine Legislaturperiode hinaus erstreckt und an der die jeweilige aktuelle Situation gemessen und gegebenenfalls korrigiert werden kann.

Zweitens: die Aufteilung der Steuereinnahmen zwischen Bund, Ländern und Gemeinden/Städten, also der immert wieder endlos verhandelte, aber nie zu signifikanten Änderungen führende „Finanzausgleich“ muss endlich nach vollziehbaren Kriterien restrukturiert werden, um den künftigen Erfordernissen zu entsprechen. Dies ist politischer Bauchaufschwung sondergleichen, da die Interessen von 3000 Gemeinden, vielen Städten, neun Bundesländern und dem Bund äußerst vielfältig sind. In der derzeitigen Struktur ist der Finanzminister allein hilflos, auch bei bestem Willen mehr als die Kommastellen der Aufteilung der Einnahmen zu verändern, sind die Finanzflüsse zwischen den Gebietgskörperschaften zu undurchsichtig. Hier braucht es – a la Verfassungskonvent – eine übergeordnete Willensbildung.

Drittens: eine grundlegende Steuerreform, die Klima/Uwelt-, Einkommensverteilungs-, Finanzierungs- und Effizienzkriterien unter verschiedene Hüte bringt – und nicht nur weitgehend bestehende Muster fortschreibt, ist unerläßlich.

Viertens: eine grundlegende Reform des Bildungssystems ist für die Erfüllung der strategischen Ziele wichtig: die bestehende Blockage durch das Erfordernis der 2/3 Mehrheit im Nationalrat hat Österreich den beschämenden Platz in den internationalen Rankings beschert und schädigt die Zukunftsaussichten unserer Jugend.

Fünftens: institutionelle Reformen müssen die isolierte Wahrnehmung ihrer Aufgaben durch einzelne Ministerien (meist zusätzlich durch koalitionsinterne Abgrenzungen) zugunsten der Verfolgung gemeinsamer Strategien ermöglichen. Ministerien sind nicht dazu da, ihre je eigene Klientel zu befriedigen, sondern zugunsten der gesamten Bevölkerung zu arbeiten. Die bestehende Fragmentierung, die einzelnen Abtäusche und Blockierungen schaden dem Gemeinsamen Ganzen.

Die Herausforderungen der Zukunft im Klima-Umweltbereich, der Digitalisierung, der Alterung der Gesellschaft, der Immigration, der Öffentlichen Gesundheit und vor allem des gesellschaftlichen Zusammenhalts (ohne Armut) können effektiv nur gemeinsam bewältigt werden.

Martin Wolfs Kolumne ist sicherlich nur kursorisch, natürlich sehr auf die besonderen Probleme des Vereinigten Köngreichs ausgerichtet. Dennoch gilt auch für Österreich das Einstein fälschlich zugeschriebene, auch von Wolf verwendete Zitat: „Irrsinn ist es, dasselbe immer wieder zu tun, aber jeweils unterschiedliche Resultate zu erwarten“. Die auf Beharrung aufgebaute Politik Österreichs macht für ein Weiterwurschteln mit Betonung auf dem Bestehenden die Anwendung dieses Zitats nicht unplausibel. Es ist Zeit für die Entwicklung einer strategischen Vision!

Bisher haben die österrreichischen politischen Parteien kein gesamthaftes Konzept für die Wirtschaftspolitik vorgelegt: von wolkigem „Österreichplan“, zu einem „Grunderbe“ bis zu einem „Transformationsfonds“ liegen bestenfalls einzelne Versatzstücke vor. Eine makroökonomische Vorschau über mehrere Jahre sucht man vergeblich (der der EU vorgelegte mehrjährige Budgetplan ist – und hier spricht der für dessen Erstellung mehrere Jahre Mit-Verantwortliche – für die einzelnen Ministerien unverbindlich, eine reine Finanzministeriums-Angelegenheit). Und noch viel ergebnisloser ist eine Suche nach einer konsistenten, auf einzelne Sektoren heruntergebrochene, den übergeordneten Zielen dienende Finanzplanung.

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Sind Österreichs Lohnabschlüsse wirklich “kritisch hoch”?

Jedenfalls behauptet das P.M.Lingens in seinem FALTER 8/24-Kommentar, offenbar belegt durch das Zitat einer (für mich im Internet nicht auffindbaren) EZB-Studie, nach der die Lohnabschlüsse großer EU-Länder um 4.5% stiegen (jene Deutschlands nur um 2.4%), jene Österreichs jedoch um „fast 9%“. Unklar bleibt, auf welches Jahr sich dieser Vergleich bezieht. Lingens fürchtet, dass diese hohen Tariflöhne uns im „Export Probleme bereiten .., die uns eine Weile begleiten können“.

Dagegen spricht, wie kürzlich eine von den relevanten österreichischen Ministerien unterstützte Studie der Forschungsgruppe Internationale Wirtschaft (FIW) festgestellt hat, dass Österreich 2023 im Export Martkanteile gewonnen (!!!) hat. Sie prognostiziert, dass in den kommenden beiden Jahren diese Gewinne zumindest gehalten werden. Ob das die Alarmrufe verdient?

Wirtschaftsdaten eines einzigen Jahres haben immer nur sehr beschränkte Aussagekraft für dfie Einschätzung der aktuellen und künftigen Entwicklung. Nach den Daten der Statistik Austria ist der österreichische Tariflohnindex 2023 zwar um 7.6% gestiegen, im Jahr zuvor jedoch nur um 3.0%. Im längeren Zeitvergleich, also gegenüber 2019 vor Beginn der Corona-Epidemie haben die Tariflöhne insgesamt um 15.9% zugelegt, die Inflation jedoch um 22.0%. Über diesen Zeitraum sind also die Reallöhne (sprich Kaufkraft) gefallen. Auch dieser Aspekt ist beim Nachholen der Löhne zu beachten. Der Modus österreichischer Lohnverhandlungen ist seit Jahrzehnten so eingespielt, dass er von der vergangenen Inflationsrate ausgeht. (Ob er im Sinne der mystifizierten „Benya-Formel“ dazu noch das Produktivitätswachstum als legitimen Lohnbestandteil dazuzählt, kann diskutiert werden). Das führt dazu, dass die Löhne im Aufschwung nachhinken, im Abschwung voranziehen. Gute Kaufleute führen ihre Betriebe nicht für den Moment, sondern vorausschauend für die mittlere Zukunft. Sie sorgen also in guten Gewinnjahren für schlechtere vor, und haben damit Polster für die Kaufkrafterhaltung ihrer Angestellten und für notwendige Investitionen. Die in der finanzmarktgetriebenen Ära üblich gewordene Praxis, sofort alle guten Gewinne auszuschütten statt sie zu thesaurieren oder investieren darf unter die negativen Verwerfungen neoliberalen Verhaltens subsummiert werden.

Lingens’ Fokus ist aber nicht so sehr Österreich, sondern Deutschland, dem er wieder einmal, wie schon seit Jahren „Lohnzurückhaltung“ attestiert, die vor allem verschuldete und schwache EU-Länder wie Italien in den Ruin treibe. Dass vielleicht Schwächen der italienischen (und anderer) Wirtschaft(en) für deren Misere verantwortlich sind, ignoriert er. Er meint auch im Umkehrschluß, dass diese Lohnzurückhaltung („= die niedrige Kaufkraft seiner Bevölkerung“) Deutschland sein Exportmodell aufgezwungen habe. Ich bin Anhänger der gegenteiligen Kausalität, nach der Deutschland seinen Erfolg seit Jahrzehnten im Export sucht und stolz den „Exportweltmeister“ gibt, und die dortige Lohnkonkurrenz auch das „gute“ Argument für die Unternehmen bietet, auch im Inland niedrige Löhne zu zahlen. (Es ist ja wohl nicht Italiens Schuld, dass Deutschlands Hartz 4-Niedriglohnmodell einen vorher kaum existierenden Niedriglohnsektor beschert hat. Dafür muss man schon Ex-Kanzler Schröder verantwortlich machen). Dass nicht nur die Lohnhöhe die Wettbewerbsfähigkeit bestimmt, sondern auch die Investitionen, die Innovationskraft, die Qualität der Produkte, die Markterschließung, ist Ökonomen auch bekannt. Und offenbar ist die Gewinnentwicklung der deutschen und österreichischen Unternehmen in den letzten beiden Jahren so gut (gewesen), dass Dividendenzahlungen (und auch Aktienrückkäufe) in riesigem Ausmass möglich waren und sind (man lese dazu die einschlägige Wirtschaftspresse).

Natürlich spielen Löhne eine Rolle für die Wirtschaftsentwicklung, natürlich spielt die Lohnentwicklung des Marktführers auch eine Rolle für die um Marktanteile konkurrierenden Länder. Aber eine einseitig eng definierte Wettbewerbsfähigkeit, die nur durch die momentanen Lohnverhandlungen bestimmt werde, gehört eher ins Lobby-Nähkästchen der Wirtschaftsvertreter als dass sie einer ernsthaften Analyse zuträglich ist. Aufgabe einer verantwortungsvollen Lohnpolitik ist es, den Spagat zwischen Kaufkrafterhaltung/-erhöhung und Wettbewerbsfähigkeit mittelfristig zu schaffen. Dem Alarm eines einziges Jahres sollte der Gegenalarm anderer Jahre gegenübergestellt werden. Wirtschaftspolitik benötigt die Abwägung unterschiedlicher Interessenlagen und Zielvorstellungen. Eindimensionalität gehört nicht dazu.

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Lernen sie es Nie?

Wirtschaftswachstum Forever?

In den letzten Tagen wurde über die „schlechten“ Ergebnisse der neuen Konjunkturprognosen in Europa und Österreich lamentiert: von der OECD, IMF, Europäische Kommission, Forschungsinstitute bis zu den Medien, von Financial Times, Corriere della Sera, Süddeutsche Zeitung, Standard und Presse wurden die Herabsetzungen der Zuwachsraten des BIP beklagt und alte Rezepte für eine Belebung der Konjunktur angepriesen (Österreich hat dies soeben mit seinem Baupaket versucht). Man tut so, als ob es keine Klima- und Umweltkrise gäbe. Offenbar gilt die oft geäußerte Notwendigkeit zu einem grundlegenden Umbau unserer Wirtschaften in Richtung Nachhaltigkeit nur in Sonntagsreden. Sobald das Wirtschaftswachstum einbricht, ist das vergessen. Mit Neid wird auf die viel stärker wachsende US-amerikanische Wirtschaft geblickt.

Natürlich stimmt es, dass innerhalb des bestehenden Wirtschaftssystems weniger Wachstum zu mehr Arbeitslosigkeit führt, die Armutsgefährdung steigt, die Sozialsysteme und öffentlichen Haushalte überfordert werden – aber das wissen wir schon lange. Ebenso wie dass die Fertilitätsraten sinken, die eigene Bevölkerung zurückgeht und damit Produktivität, Finanzierung von Gesundheits- und Pensionssystem großen Herausforderungen unterworfen sind.

Das Rezept der europäischen und österreichischen Regierung? Mehr vom selben: Standort-Gequassel, Lohn-Preis-Spirale, mehr Geld in alte Strukturen – je nach Lobbykraft des Sektors. Und gleichzeitig Jammern über die hohen Kosten des Umbaus, über das Nicht-Erreichen der selbst mit-festgelegten Klimaziele und weitgehendes Schweigen über die damit verbundenen Pönalzahlungen, „die ja erst in der Zukunft schlagend werden“. Nach kurzfristiger gehypter „Klimaeuphorie“ jetzt wieder bestenfalls Greenwashing und Jammern über die hohen Kosten.

Zeit für Umbau

Wann sonst, wenn nicht jetzt – wo die Verwerfungen des bestehenden Wirtschaftssystems immer klarer zu Tage treten – ist es an der Zeit, tatsächlich mit dem Umbau beginnen. Von einigen Politikern – wenn sie überhaupt etwas zum Umbau sagen – hören wir: Systemwechsel nein, Systemreform ja. Damit scheinen sie zu meinen, dass am grundlegenden vom irrationalen Finanzsektor dominierten Wirtschaftssystem, festgehalten werden muss, höchstens an „kleinen Schrauben“, wie dem Ausbau der Erneuerbaren Energiequellen, Investitionen in Digitalisierung, dem Anwerben von qualifizierten Arbeitskräften aus den Ausland, etc. gedreht werden soll und dass damit offenbar „Nachhaltigkeit“ erzielt wird. Das Tabuthema „Wirtschaftswachstum“ als Fetisch der Wirtschaftspolitik darf nicht angegriffen werden, höchstens verkleidet als „Grünes Wachstum“. Dass der endliche Planet Erde nicht permanentes Wachstum und Verbrauch an Umwelt, an Ressourcen vertragen kann, wird ignoriert. Dass Wirtschaftswachstum, sei es ingesamt oder pro Kopf sich als allgemeiner Wohlstandsindikator überlebt hat, und durch neue Indikatoren zur Lebenszufriedenheit, welche auch eine gesunde Umwelt, mehr öffentliche statt private Güter, mehr Gesundheit, weniger Stress, weniger mentale Belastungen umfassend als Leitlinie für Wirtschaften abgelöst werden muss, wird ignoriert. Statt dessen werden in den Medien „erfolgreiche“ Tycoons gefeiert (bis sie fallen), sollen aus Konsumenten „Investoren“ werden, die ihr Geld in Spekulations“produkte“ wie Bitcoins oder zumindest Aktien anlegen sollen, werden die vierteljährlichen Bilanzen der Unternehmen zum Standard für Führungsqualität und exorbitanten Managergehältern, wird Lohndrücken und „Kosteneffizienz“ zum Goldstandard für Unternehmensführung, während den Finanzinvestoren durch Aktienrückkäufe und hohe Dividendenzahlungen die Taschen gefüllt werden, anstatt den Arbeitnehmern höhere Löhne zu zahlen. Es ist schon absurd: im Standort- und Investitionswettbewerb gelten niedrige Löhne der Arbeitnehmer und gleichzeitig hohe Managergehälter als positiv. Man muss sich ja im „Kampf um Talente“ behaupten.

Die Wirtschaftspolitik und die Medien sollten endlich erkennen, dass das bestehended „System“, sei es als neoliberal verunglimpft, sei es als neoklassisch ökonomisiert, uns genau jene Verwerfungen im Sozialen und Umwelt/Klimabereich gebracht hat, die wir jetzt als „Krisen“ spüren. Dass dessen Aufrechterhaltung, nur an den Rändern verändert, uns weiter in diese Krisen stößt. Die exorbitanten Gewinne der Finanzindustrie und Plattformen, aber auch der Pharmaindustrie und anderen, die als 15%-Mindestrenditen von den „Investoren“, eigentlich Spekulanten, gefordert werden können nur durch Ausbeutung der Realwirtschaft, also der Arbeitnehmer, der Umwelt und der produzierenden Wirtschaft „erwirtschaftet“ werden. Sie zerstören Klima, Biodiversität und Umwelt, sie laugen ArbeitnehmerInnen aus, sie höhlen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Zusammenhalt, auf Community-Ebene aus, sie werden – wie im kommerzialisierten Fußball anschaulich zu beobachten – „footloose“, also der Bindung an die lokale Community entbunden, mit allen negativen Auswirkungen auf den gesellschaftlichen Zusammenhalt.

Systemwechsel: ja unbedingt

Wir brauchen daher einen „Systemwechsel“, einen grundlegenden Umbau der Wirtschaft, wenn wir und der Planet überleben sollen, und zwar über die nächste Legislaturperiode hinaus. Dazu gehört vor allem die Zurückdrängung der dominanten Rolle des Finanzsektors; die Orientierung der Wirtschaftspolitik am Wohlbefinden der Menschen und der Umwelt; die Entwicklung (viele gibt es schon) und Propagierung von neuen Indikatoren des Wohlbefindens anstatt von Wirtschaftswachstum; die Zurückdrängung des durch Lobbymacht und Anzeigenflut überbordenden privaten Konsums; die Forcierung der Investitionen in Öffentliche Güter wie Umwelt, Bildung/Ausbildung, Volksgesundheit, innere und äußere Sicherheit; die Stärkung interner Kreisläufe und Resilienz durch Anerkennung und Remunerierung von bisher unentgeltlicher Arbeit; das Verbot sozial- und umweltschädlicher Aktivitäten; die Arbeit an internationaler Kooperation zur gemeinsamen Nutzung der beschränkten Ressourcen zu fairen Preisen – und vieles andere mehr.

Wie internationale und nationale Wahlergebnisse der letzten Jahre zeigen, kann das Mißtrauen der Bevölkerung in die „Politik“ durch viel mehr BügerInnen-Nähe, durch neue Mitwirkungsmodelle der Bevölkerung an sie betreffenden politischen Entscheidungen, durch an den Menschen orientierten Politikprozesse verringert werden. Damit kann auch Populisten das Wasser abgegraben werden, da die viel stärkere Einbindung der Bevölkerung den „einfachen“ Rezepten der Populisten das Wasser abgraben und Verständnis für die unterschiedlichen Interessen und die dadurch notwendigen schwierigen Aushandlungsprozesse schaffen kann.

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