Die Medien sind neuerdings voll von (manchmal) Entrüstung über die ungleiche Einkommens- und Vermögensverteilung: zu Beginn des diesjährigen Treffens der Finanz- und politischen Eliten in Davos, hat Oxfam verlautbart, dass seit 2020 das reichste 1% der Weltbevölkerung seinen Reichtum mehr als zweimal so stark vergrößert hat wie der gesamte Rest der Welt (https://www.oxfam.org/en/take-action/campaigns/survival-of-the-richest.) Und diese 1% halten so viel Vermögen wie die untere Hälfte der Weltbevölkerung gemeinsam. Sowohl Einkommens- als auch Vermögensverteilungen haben sich in den letzten Jahrzehnten sowohl weltweit als auch innerhalb der meisten Länder massiv zugunsten der Reichen verschlechtert – mit Ausnahme des bemerkenswerten Beispiels von China, das bis zu seiner umstrittenen Covid-Politik hunderte Millionen von Menschen aus der tiefsten Armut herausgebracht hat. Die obszön hohen Einkommen, die riesigen Vermögensanhäufungen einiger, haben in den letzten Jahren zunehmend zur Auflösung des gesellschaftlichen Zusammenhalts und zum Zulauf von Wählerinnen zu populistischen Rattenfängern beigetragen und bedrohen damit den Erhalt der Demokratie.
Sozialdemokratische Politiker und viele NGOs propagieren seit Jahren eine adäquate Besteuerung von großen Vermögen und hohen Einkommen als Mittel, um die sich weiter verschärfende Verteilungssituation zu dämpfen. Mit großer Mühe ist es in einigen Ländern gelungen, angesichts der rasanten Teuerung von Energierohstoffen „Übergewinnsteuern“ durchzusetzen – ein winziger Tropfen auf den immer heißer werdenden Stein der Ungleichheit. Auch die Versuche der OECD, einen Boden unter die Sätze der Körperschaftsteuer im Ausmaß von 15% zu ziehen, sind bisher mangels Ratifizierung und hohen Lobbydrucks von Unternehmen erfolglos geblieben. Versuche einiger Länder, die höchsten Einkommensteuersätze zu steigern, bleiben angesichts der Verschwörungstheoretiker, die meinen, dass dann „der Kampf um die besten Talente“ verlorenginge, erfolglos. Um ein Beispiel für die Niveaus der hohen Gehälter zu geben, seien Daten aus den Geschäftsberichten von S&P 500 (der Börse der Technologiegiganten) erwähnt: das Jahres- Durchschnittsgehalt der Geschäftsführer dieser Unternehmen ist von 2020 auf 2021 um 17% auf 15 Mill $ gestiegen, während vieler dieser Unternehmen Belegschaftsgehälter gekürzt und viele MitarbeiterInnen entlassen haben. Die Hälfte dieser Unternehmen haben deutlich höhere Gehälter an ihre CEOs gezahlt.
Die Strategie der Linken, die in der höheren Besteuerung von hohen Einkommen und Vermögen das Heil in der Bekämpfung der Verteilungskrise sehen, ist verfehlt. Höhere Steuern innerhalb des bestehenden Systems werden immer nur „Pflaster“ auf die tiefen Wunden der gesellschaftlichen und ökonomischen Verzerrungen darstellen können. Es muss statt dessen darum gehen, die Entstehung dieser obszönen Einkommen und Vermögen(szuwächse) zu behindern, nicht erst – ex post facto – zu versuchen, durch Besteuerung diesen Ungleichheiten nachzulaufen. Das macht höchstens für bestehende Vermögen Sinn (siehe den Vorschlag von Marterbauer/Schürz zu einer Vermögens-Obergrenze). Unternehmen und Reiche sind den Steuerbehörden mit ihren Steuerberatern immer mindestens einen Schritt voraus. Steuern sind auch immer „end-of-pipe“ Technologien, deren Effektivität wir spätestens seit den Debatten in der Umweltpolitik als ungenügend gelernt haben. Es geht darum Fehlverhalten zu verhindern.
Für die Einkommens- und Vermögensverteilung bedeutet dies beispielhaft:
– Da viele der Vermögen durch Bewertungen auf den Finanzmärkten entstehen, die durch algorithmisches Traden, durch eventgetriebene Einschätzungen von Akteuren, vielfach durch Spekulation getrieben werden, wäre dem Hochfrequenzhandel ein Riegel vorzuschieben, und dieser etwa durch konkrete Auktionstermine (ein- bis zweimal pro Tag; @ Stephan Schulmeister) zu ersetzen. Dadurch könnten die allen ökonomischen Überlegungen widersprechenden Aktienbewertungen (zwischen 1990 und 2021 sind die Aktienkurse um den Faktor 5, das BIP nur num den Faktor 2 gestiegen) gebremst und die „realwirtschaftlichen“ Bewertungen von Unternehmen wieder vor datengetriebene Algorithmen stärker werden.
– Durch stärkere Wettbewerbspolitik muss die weitergehende Konzentration und damit Machtanhäufung von Unternehmen gebremst werden, wodurch deren immer höhere Preissetzungsfähigkeit verhindert würde. Dies würde auch die immer weiter zunehmende Merger&Acquisitionaktivität von Investmentbanken reduzieren, deren gesellschaftlicher Wert oft zumindest zweifelhaft, wenn nicht kontraproduktiv ist.
– Die zunehmende Subventionierung von Unternehmen, sei es unter dem Titel der Covid-Politik oder der Kompensation von Energiepreissteigerungen sollte von Auflagen, die diesen Unternehmen die Auszahlung von Boni an die Geschäftsführer sowie den Rückkauf ihrer eigenen Aktien verbieten, begleitet sein. Gleichzeitig sollten diese an die Vorlage von glaubhaften Unternehmensplänen zur Dekarbonisierung gebunden sein. Dies wurde v.a. bei den Covid-Hilfen verabsäumt.
– Im Rahmen der ESG-Agenda (Environment-Social-Governance) sind unter dem Teilpunkt „good governance“ den Unternehmen Richtwerte für die Preisgestaltung, für die Verteilung der Einkünfte auf Top Management und Belegschaft, sowie für Investitionen und Rücklagen verbindlich vorzugeben, um damit die einseitigen Selbstbedienungsläden der Geschäftsführung (in trauter Zusammenarbeit mit den Aufsichtsräten) zu durchbrechen. Damit könnten Übergewinne, sowie das Übergewicht der Einkommen der Top-ManagerInnen verhindert werden, ebenso wie der empirisch nachweisbaren Gewinn-Preis-Spirale der Boden entzogen und so die hohe Inflation gedämpft werden.
– Im Rahmen einer „ethischen“ Geschäftsführung (good governance) sollte dem Bewusstsein, dass Remuneration mit dem Arbeitseinsatz zu tun hat, wieder Platz verschafft werden. Dies würde wieder zu stärker argumentierbaren Relationen zwischen CEO-Einkommen und jenem der Belegschaft (zB 10:1, im Gegensatz zu 400:1 bei einigen High-Tech Unternehmen und Großbanken) führen und damit das Betriebsklima und die Arbeitsfreude der Belegschaften verbessern.
-Durch die multiplen Krisen (Pandemie, Klimaerwärmung, Krieg, Inflation, Energie, Verteilung) ist die stärkere Intervention des Staates in die Wirtschaft notwendig geworden, da „der Markt“ an deren Bekämpfung gescheitert ist, ja sie mitverursacht hat. Diese stärkere Rolle des Staates erfordert auch, stärker lenkend einzugreifen, und zwar nicht nur über Subventionen („Incentives“), sondern auch mit Direktiven, also Ge- und Verboten. Damit haben die Öffentlichen Hände einen Hebel, sowohl bei der Richtung der Investitionen („grün“) als auch bei Preissetzung und internen Unternehmensabläufen einzugreifen und damit die bestehende Marktwirtschaft in langfristige tragfähige („sustainable“) Bahnen zu lenken. Die Regeln des bisher herrschenden „Turbokapitalismus“ haben sowohl die Klimakrise verursacht, als auch durch immer intensivere Arbeitsabläufe und Lohndruck unter dem Titel der „Wettbewerbsfähigkeit“ zu Burnout, hohen psychischen und physischen Belastungen und generell zu einer Entfremdung der Belegschaften von ihren Unternehmen geführt. Die Angst vor sozialem Abstieg führt nicht – wie von Apologeten des Systems behauptet – zu erhöhter Arbeitsbereitschaft und Leistung, sondern zum häufig konstatierten Arbeitskräftemangel, zum Rückzug vieler aus dem Arbeitsmarkt, zur stärkeren Betonung eines familienkompatiblen Work-Life-Gleichgewichts.
Die verschlechterte Einkommens- und Vermögensverteilung ist sicht- und fühlbarer Ausdruck dieses Ungleichgewichts und widerspricht dem Solidaritätsgebot sowie der Fairness der Lebens- und Arbeitsverhältnisse. Ihre Verbesserung muss an ihren Wurzeln angegangen werden. Steuern können dabei helfen, vor allem wenn es sich zB um jährliche Steuern von etwa 10% vom Vermögen handelt, doch muss es viel stärker darum gehen, diese Ungleichheiten nicht entstehen zu lassen. Dies rührt an die „Systemfrage“, an die Frage der Überlebensfähigkeit und Tragfähigkeit unseres Gesellschafts- und Wirtschaftssystems. Die Politik muss sich endlich von ihrer auf Popularität getriebenen “Kuschelpolitik” verabschieden und Nägel mit Köpfen machen.