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“Mit Herz und Hirn: 24 Ideen für Österreich”

Das SPÖ Wahlkampf-Vor-Programm

!m 27. April hat die SPÖ ihre hauptsächlichen Wahlkampf-Aktivitäten (70 Seiten), ihres Vorsitzenden Andi Babler veröffentlicht.

Es ist ein „Bottom-up“ Programm, das sich hauptsächlich den aktuellen Problemen der wahlberechtigten ÖsterreicherInnen widmet. Diese „Ideen“ sind angeblich Kurzform und Vorläuferinnen eines kommenden Gesamtprogramms. Als solche wirken sie wie das Wahlprogramm eines Bürgermeisters für seine Gemeinde, das – a la der KPÖ neu in Graz und Salzburg – die brennenden Sorgen der BügerInnen ernst nimmt und diese zu lösen versucht. Daran ist nichts Schlechtes, im Gegenteil. Die einzelnen Ideen sind – unterschiedlich – durchaus sinnvoll. Sie gehen, zB bei Bildung, Gesundheit, Steuern, Mieten, und anderes mehr, von den Verschlechterungen, bzw. dem negativen Status quo, aus, die in den letzten Jahren – nicht zufällig weil da die SPÖ nicht in der Regierung war – eingetreten sind und versprechen, den früheren, besseren (?) Zustand wieder herzustellen. Es ist also primär ein „konservatives“ Programm, das all jene überzeugen soll, die meinen, dass viel früher einmal besser war. (An den sprachlichen Zumutungen – im Gedenkjahr Karl Kraus – soll sich Armin Thurner vom FALTER abarbeiten).

Daran ist nichts grundlegend falsch, aber: es fehlt eine Zukunftsvision, eine Vorstellung, wie unsere Gesellschaft in Zukunft aussehen soll und was die SPÖ dazu beizutragen verspricht. Und eine solche Vision muss nicht nur mehr Zukunft enthalten, sondern auch über Einzelideen hinausgehen, die zusammenhanglos nebeneinander stehen. Das alles muß im künftigen angekündigten „Programm“ stehen.

Als Ökonom fällt mir besonders auf, dass die „Ideen“ vollkommen dem bestehenden Wirtschaftssystem verhaftet bleiben: kein Wort von der notwendigen „Zähmung“ der überbordenden Finanzmärkte, außer der Gewinnabschöpfung von Banken und der Verpflichtung dieser, ein mit derzeit 3% mindestverzinsten Sparbuch aufzulegen. Kein Wort von der Notwendigkeit der grundlegenden Veränderung unseres Produktions- und Konsumsystems angesichts der Klima- und Umweltkrise. Zwar wird der bereits bekannte 20 Mrd € schwere Transformationsfonds gefordert und die sinnvolle Idee eingebracht, alle Klimaförderungen zu bündeln, aber gleich wieder ad absurdum geführt als dies von der ÖBAG gemanagt werden soll: wann hat die ÖBAG jemals eine Förderung abgewickelt, warum greift man nicht, wenn man schon stolz auf den Einsatz bestehender Institutionen ist, auf AWS und/oder ERP-Fonds zurück? Und: wenn man die gesamte nur vage angesprochene Transformation zur ökologischen und digitalen Nachhaltigkeit nur in immer neuen Förderungen (primär für neue Technologien) sieht und kein Wort über notwendige (und kostengünstige) Regulierungen verliert, dann verfehlt man die Ernsthaftigkeit der Problematik. Und auch in der Budgetpolitik: hier betont die SPÖ die Wichtigkeit der Maastrichtkriterien ohne ein Wort zum eben wieder inkraft gesetzten Stabilitäts- und Wachstumspakt zu verlieren, und geht nur darüber hinaus, indem sie die Ausnahme der „Goldenen Regel“ vorschlägt, also dass klimarelevante öffentliche Investitionen von der 3%-Grenze ausgenommen bleiben sollen – aber sonst bleibt alles beim Alten. Dass man Steuerschlupflöcher stopfen, Steuergerechtigkeit walten lassen und die sinnlose Senkung der Körperschaftsteuer auf 23% rückgängig machen will – ist alles wichtig, aber nicht neu.

Wie gesagt: Frauenlöhne anzugleichen, Arzttermine zu garantieren, mehr Polizisten einzstellen, „Behinderten“ gerechten Lohn zu zahlen, das Tierwohl zu fördern, Öffis auszubauen, beste Bildung unabhängig vom Einkommen zu machen, Kinderarmut zu beseitigen, 4-Tage Woche, Langzeitarbeitslosen eine Beschäftigungsgarantie zu geben, Grüne Technologie im Lande zu fördern, das Pensionsantrittsalter nicht zu erhöhen (was ist mit der in Gang gekommenen Anhebung des Frauen-Antrittsalters?), einen Bankomat je Gemeinde zu fordern, Lohntransparenz zu garantieren, verstärktes Augenmerk auf Frauengesundheit zu legen, Gewalt innerhalb und außerhalb der Wohnung zu bekämpfen, Integration durch raschere Beschäftigung zu erleichtern, Kleinunternehmer im Sozialsystem besserzustellen, das „beste Gesundheitssystem“ zu fordern, die Wasserversorgung sicherzustellen, ein Zeitungsabo für jeden zu bezahlen, Wohnen leistbar, ein Leben für Alte ohne Computer und mit Bargeld sicherzustellen, sowie ein faires Steuersystem (siehe oben) zu garantieren – all dies sind, trotz einiger skurriler Ideen, durchaus in der Lage zu zeigen, dass die SPÖ sich der so artikulierten Sorgen breiter Teile der Bevölkerung annimmt.

Aber eben: es fehlt eine übergeordnete Idee, die all diese (und andere?) Ideen bündelt und in wenigen Sätzen ein „besseres Leben für die Zukunft“ verspricht. Bis auf Einzelideen gibt es keine Zahl, was das alles kostet, keine Überlegung, was davon die Öffentliche Hand (auf welcher Gebietsebene) was der Privatsektor übernehmen soll.

Es bleibt somit ein typisches „Bürgermeisterprogramm“: Es zeigt den Menschen, dass die SPÖ ihre tagtäglichen Sorgen versteht und sich darum kümmern will. Aber es ist rückschrittlich, weil es „nur“ dorthin will, wo wir schon einmal waren. Die Erfordernisse der Gegenwart und vor allem der Zukunft, die Bewältigung der Klima- und Umweltkrise, das systembedingte immer stärkere Auseinanderklaffen von Einkommen und Vermögen, die Gefahr weiterer Pandemien, das gesellschaftliche Auseinanderdriften, die Bewältigung der Kriege in Nachbarschaft und auf der Welt mit ihren Folgen stärkerer Migration, die Position Österreichs (und Europas) in der sich verändernden Welt – all dies wird nicht angesprochen. Österreich wird – unausgesprochen – als isolierte Insel dargestellt, die allein für sich selbst verantwortlich ist. Die EU wird mit keinem Wort erwähnt: was Österreich dort soll, wie es österreichische und europäische Interessen miteinander kompatibel machen kann – Fehlanzeige.

PolitikwissenschafterInnen und PolitikberaterInnen werden beurteilen, ob dieses Vorprogramm wahlkampftauglich ist. Es mag dem österreichischen Provinzialismus entsprechen. Stellt man an ein Wahlprogramm andere Ansprüche wie Zukunftsorientierung, reicht es nicht.

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Effizienz oder Umbau zur Nachhaltigkeit?

Zum Binnenmarktbericht von Enrico Letta

Der eben zuende gegangene EU-Gipfel dsikutierte (?) auch den beauftragten Bericht Enrico Lettas, des früheren italienischen Premiers, zur Erneuerung des Binnenmarktes „Much More than an Market. Speed, Security, Solidarity. Empowering the Single Market to deliver a sustainable

future and prosperity for all EU Citizens (April 2024)“. In den Schlußfolgeriungen des Europäischen Rates am 18.4.2024 wird die Notwendigkeit, die Wettbewerbsfähigkeit der EU zu stärken, als Ziel formuliert, mit keinem Wort jedoch die Notwendigkeit des Umbaues der Wirtschaft und Gesellschaft in Richtung ökologischer Nachhaltigkeit. Ist das das Ende des so wichtigen Green Deals?

Auch Lettas Vorschlag zielt in diese Richtung: „Dieser neue Rahmen muss in der Lage sein, die fundamentalen Freiheiten auf Grundlage eines Level Playingfield zu schützen und dabei das Ziel, eine dynamische und wirksame europäische Industriestrategie zu schaffen“ (S 5).

Sehr detailliert illustriert Letta alle Schwächen des „Kronjuwels der EU“ (@ Felbermayer), das Ökonomen auch „Globalisierung auf Steroiden“ genannt haben. Als Resultat der Änderungen seit Gründung des Binnenmarktes anfangs der 1990er Jahre (Alterung der Gesellschaften, Machtpolitik statt Regelbasierung, die Nichteinschließung von Finanzen, Energie und Kommunikationsleistungen – er spricht nicht über die Landwirtschaft), fordert Letta vor allem eine „fünfte Freiheit“ als Ziel des Binnenmarktes. Zusätzlich zu den bestehenden vier, nämlich die von Waren, Dienstleistungen, Kapital und Personen, schlägt er eine für Forschung, Innovation und Ausbildung vor, um den Herausforderungen unserer Zeit gerecht zu werden. Als einzige Konzession auf die sonst rein angebotsorientierte Ausrichtung und Idee des Binnenmarktes fordert er eine „Spar- und Investitionsunion“, um einerseits (wieder angebotsseitig) den Finanzsektor und die Netzwerke zu europäisieren. Trotz dieses Abstechers in die Makroökonomie verbleibt er im weiteren auf der strukturellen Seite der Angebotsorientierung.

Er fordert den Abbau weiter bestehender Barrieren zwischen den 27 Mitgliedstaaten und nennt dabei vor allem den Energiesektor (vor allem Ausbau und Verbindung der Netze) und den Mobilitätssektor, und hier die Eisenbahn, die bisher weiter getrennt auf mehr als 20 unterschiedlichen Sicherungssystemen, drei Spurweiten und anderen nationalen Eigenheiten fährt, die oft Lokomotivwechsel bei Grenzüberschreitungen verursachen, wodurch es ihm bei seiner Arbeit an diesem Bericht nicht möglich war, „den Besuch von 65 Städten durch ein durchgehendes Schnellbahnsystem zwischen den Haptstädten zu bewerkstelligen“.

Viel Platz braucht er, um die Finanzierung der künftigen Investitionen zu verbessern. So fordert er vor allem die Vollendung der „Kapitalmarktunion“, um die nationale Fragmentierung der Kapitalmärkte zu beenden und mehr von den 33 Billionen Euro, die die Europäer sparen (von denen mehr als 1/3 niedrig verzinst bei den Banken lägen) für die mehr als 620 Mrd € jährlich zu lukrieren, die für die Investitionen der Zukunft notwendig seien. Zu diesen zählt die gründe und digitale Transformation, sowie die Finanzierung und Europäisierung der Waffenindustrie (S 28).

Sinnvoller Weise fordert er auch die Schaffung eines gemeinsamen europäischen Aufsichtsorgans für die Finanzmärkte, statt der derzeitigen Trennung in Banken-, Versicherungs-, Werpapier- und Börsenaufsichtssystems, die Schaffung einer gemeinsamen europäischen Börse, sowie die Schaffung eines gemeinsamen europäischen automatischen Pensionsprodukts (S 30), sowie die Verbriefung von Green Bonds. Das Dogma der Effizienz von „deep and liquid capital markets“, das die Befürworter der Amerikanisierung der europäischen Finanzmärkte, ungeachtet der Vewerfungen, kriminellen Handlungen und Volatilitäten ungebremster Finanzmärkte in den leztten jahrzehnten erzeugt haben (Finanzkrise 2008ff.???) wird von Letta getrommelt. Eine Lockerung der EU Wettbewerbsregeln soll es „EU-Champions“ ermöglichen, den Giganten der USA und Chinas Paroli zu bieten.

Meines Erachtens ist diese ganze Übung trotz einer Reihe von durchaus sinnvollen Vorschlägen, eine gigantische Themenverfehlung und zwar aus folgenden Gründen:

– Akzeptiert man den Binnenmarkt als „Kronjuwel der EU“, der wie er ist weiter entwickelt werden muss, um den Entwicklungen seit Entstehung Rechnung zu tragen, dann ist Lettas aufwendiger Bericht sicher positiv im „Weiter und besser wie bisher“.Wir sollten jedoch nicht übersehen, dass der „Binnenmarkt“ und seine Heiligsprechung die Krönung neoliberaler Angebotsorientierung der Wirtschaftspolitik darstellt, die für die gravierenden Verwerfungen, die Klimakrise, die ungebremste Ausbreitung der Pandemie, die gigantische Zunahme von Reichtum bei gleichzeitiger Armut, sowie den dadurch ausgelösten „Politikverdruss“, die Polarisierung der Gesellschaften durch Zulauf zu demagogischen Populisten mit verantwortlich ist.

– Aber: Statt den Binnenmarkt künftig als Treiber für den Umbau zu einer nachhaltigen Gesellschaft und Wirtschaft zu nutzen, bleibt er (trotz einiger Lippenbekenntnisse zum grünen und digitalen Umbau) bei Letta primär ein Instrument der Steigerung der internationalen „Wettbewerbsfähigkeit“, der „Standortpolitik“. Inwieweit Letta da nicht den nach der EU-Wahl zu erwartenden Bericht Mario Draghis – ebenfalls Italiener – konterkariert oder dupliziert, ist zu fragen.

– Letta versteht den Binnenmarkt und dessen Weiterentwicklung primär als auf die Verbilligung von Produktion und Dienstleistungen zugeschnitten („Effizienz“). Dabei „vergißt“ er auf die auch von der EU-Politik vernachlässigte Nachfragefunktion des Binnenmarktes. Es geht ihm primär um „Wettbewerbsfähigkeit“, „Effizienz“ der Angebotsseite. Das Wohlergehen der 450 EuropäerInnen, deren Nachfragestärke, deren Eigenständigkeit und eigene Kultur und deren Wohlergehen sich nicht an jener der Chinesen, Inder und Amerikaner (und anderer Länder) zu orientieren haben, liegt ihm abgesehen von der Betonung der Bedeutung der sozialen Funktion des Binnenmarktes (die er nur im wichtigen Funktionieren der Volksgesundheit und Pflege sieht aber nicht weiter ausführt) außerhalb der Weiterentwicklung des Binnenmarktes. Ein schwerer Fehler, der auch die EU- und Binnenmarktverdrossenheit vieler EuropäerInnen erklärt: niemand sagt ihnen, was der Binnenmarkt für sie selbst bringen kann – über abstrakte „Wettbewerbsfähigkeit“ hinaus.

– Eine ganze Reihe der von Letta angesprochenen Verbesserungen des Binnenmarktes, vor allem die Betonung der Bedeutung von Forschung und Innovation und Ausbildung, die Europäisierung der Mobilitäts- und Energienetze, sein zaghafter Appell zur Neuordnung der Finanzmarktaufsicht und zur Schaffung von gemeinsamen EU-Anleihen und anderen Sparprodukten sind durchaus positiv zu bewerten und hätten auch in einer auf Umbau orientierten Weiterentwicklung des Binnenmarktes Platz.

– Dagegen läßt sein Appell zur Kapitalmarktunion jegliche Kritik an den negativen Auswirkungen der ungebremsten Kapitalmarktexpansion weltweit, der Unterordnung der Wirtschaftspolitik unter die Interessen der Finanzmarktakteure, die Kurzfristigkeit von Investitionsentscheidungen und exorbitante, von der Realwirtschaft (ohne Ausbeutung) nicht zu leistende Renditen erfordert, vermissen und fordert blauäugig (?) die „Amerikanisierung“ europäischer Finanzmärkte. Meines Erachtens geht es darum, die Negative der überbordenden Finanzmarktexpansion zu bekämpfen und die Positiva zu betonen. Dabei wäre es zielführender, die Vollendung der europäischen „Bankenunion“ zu fordern, die bisher an der fehlenden Europäisierung des Einlagensicherungssystems plus einiger kleinerer Lücken krankt, wodurch Banken weitgehend national agieren. Trotz der Verfehlungen vieler Banken vor und nach der Finanzkrise 2008 ff. sind deren Aktivitäten zur Finanzierung der Realwirtschaft leichter von überbordenden Spekulationen zu überwachen als jene der anonymen und weitgehend spekulativen Nicht-Banken-Finanzmärkte.

– Das Ignorieren der Weiterentwicklung des Binnenmarktes zum ökologischen und digitalen Umbaus der Wirtschaft (zu letzterem sagt Letta übrigens gar nichts) kann nur dazu führen, dass ein breiterer und effizienterer Binnenmarkt mit vielleicht weniger fossiler Energie die EU, also uns alle (und die Welt) weiterhin (vielleicht etwas später) an die „planetarischen Grenzen“ stößen läßt. Der Fokus auf „Effizienz“ dreht zwar an einigen Schrauben, stellt aber nicht grundsätzlich das “System“ der Priorisierung des Wirtschaftswachstums als Ziel der EU Wirtschaftspolitik in Frage. Es kann in Zukunft nicht um finanzieller Kosteneffizienz gehen, sondern an eine viel weiter gefaßte Umwelt-, Sozial- und ökonomische Effizienz, die den Wohlstand der Menschen stärkt.

– Anstatt als drittgrößte Wirtschaftsmacht der Welt zu zeigen, dass das ressourcen-, umwelt- und arbeitskraftverbrauchende Paradigma abgelöst werden kann von einer tatsächlich „nachhaltigen“ Wirtschafts- und Konsumtionsweise bleibt Lettas Vorschlag bei „mehr und besser vom Alten“. Eine vergebene Chance. Offenbar, wie die enttäuschendenn Schlußfolgerungen des Europäischen Rates vom April 2024 zeigen, aber ganz im Sinne der EU Regierungschefs. Green ist out, Wachstum wieder in!

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Österreichs Regierung ist mitverantwortlich für die Inflation, die sie bekämpfen will

(etwas verändert im STANDARD vom 2.3.23 veröffentlicht)

Im Jänner 2023 wies Österreich wieder mit 11/2% eine deutlich höhere Inflationsrate auf als der EU (10.1%) und Eurozonendurchschnitt (8.6%). Innerhalb der „alten“ EU-Länder (vor der Erweiterung nach 2004) weist Österreich damit die höchste Inflationsrate auf. Luxemburg (5.8%) und Spanien (5.9%) liegen am niedrigsten1. Bereits seit Sommer 2022 liegt Österreich immer über dem EU/EZ Schnitt.

Die hohe Inflation ist ein europa-, wenn nicht weltweites Problem, welches vor allem einkommensschwache Haushalte in existenzielle Probleme stürzt. Sie ist damit zu einem der wichtigsten wirtschaftspolitischen Probleme geworden, mit denen Regierungen zu kämpfen haben.

Grundsätzlich gibt es zwei Wege, mit dem Inflationsproblem umzugehen:

Der eine ist es, direkt in das „Marktgeschehen“ einzugreifen und durch Preisregelungen oder auch verstärkte Wettbewerbspolitik Unternehmen zu hindern, mehr als ihre nachweisbaren Kostensteigerungen an ihre Kunden weiterzugeben. Spanien und andere Länder haben dies erfolgreich gemacht.

Der zweite Weg, den Österreich geht, ist es, den Markt wirken zu lassen, und Haushalte und Unternehmen für die Kostensteigerungen zu entschädigen.

Der politisch relevante Unterschied zwischen diesen beiden Wegen ist: lässt man die Preissteigerungen erst gar nicht entstehen oder bremst sie ein (Weg 1), oder geht man den viel teureren und umständlicheren Weg einer „end-of-pipe“, also einer nachgeschalteten, Maßnahme mit nachfolgender Kompensation der Wirtschaftssubjekte (Weg 2).

Wir wissen aus der langjährigen Diskussion um die Umweltpolitik, dass „end-of-pipe“ Lösungen ineffizient, teuer und oft ineffektiv sind, und dass Lösungen, die das Problem erst gar nicht entstehen lassen, bzw. es einbremsen, vorzuziehen sind.

Österreich hat für Kompensationen an Unternehmen und Haushalte nach den Corona Lockdowns, den Energiepreissteigerungen und diversen Inflationsausgleichen bisher fast 40 Mrd € (mehr als 10% eines Jahres-BIP) ausgegeben. Die Verteilungswirkungen dieser Maßnahmen, also zwischen Unternehmen und Haushalten und zwischen verschiedenen Einkommensstufen bei Haushalten sind bereits erschöpfend kritisch diskutiert worden2.

Dass allerdings die diversen Inflationsausgleiche und anderen Kompensationen die Inflationsrate erhöht haben, da damit die Konsumnachfrage gestiegen ist und die Unternehmen offensichtlich in die Lage versetzt wurden, über ihre Kostensteigerungen und erhaltenen Kompensationen hinaus höhere Preise – und damit Gewinne – durchzusetzen, wird bisher kaum diskutiert. Auch dass viele der Unternehmenssubventionen (insgesamt 14.5 Mrd €) klimaschädlich (WIFO)3 und damit nicht treffsicher sind, wird kaum diskutiert.

Offenbar traut sich die österreichische Regierung nicht, in „die Märkte“ einzugreifen – und belastet stattdessen unsere öffentlichen Budgets (jetzt) mit hohen Kompensationsausgaben, welche die SteuerzahlerInnen künftig zurückzuzahlen haben werden (wovon niemand spricht). Dass damit die Regierung zu einem wichtigen Inflationstreiber geworden ist, wird verschwiegen. Österreich sollte von Spanien lernen! Österreichs Regierung brüstet sich immer wieder, „Weltmeister“ bei diesen Abfederungen zu sein, also relativ mehr Geld ausgegeben zu haben als andere Länder. Dass das jemand bezahlen muss und dass diese Art der „Wohlfühlpolitik“ den Anforderungen modernen Politikmanagements nicht entspricht und die Inflationsrate weiter erhöht, bleibt im Dunkeln.

1https://ec.europa.eu/eurostat/documents/2995521/16056046/2-23022023-AP-EN.pdf/4a097379-8598-01ff-12d8-75d72570ca85

2Siehe die Analysen des Budgetdienstes des Parlaments zu 7 Mrd Corona- und Teuerungsausgleichen https://www.parlament.gv.at/dokument/budgetdienst/anfragebeantwortungen/BD-Anfragebeantwortung-zu-Einmalzahlungen-waehrend-der-COVID-19-und-der-Teuerungskrise.pdf

3https://publikationen.wifo.ac.at/en/news/climate_counterproductive_subsidies_in_austria

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Subventionen oder Strategische Industriepolitik

Die Aufregung in der europäischen Industrie ist groß: der US-Inflation Reduction Act (IRA) soll 369 Mrd $ (über vier Jahre) für in Nordamerika (USA, Kanada und Mexiko) erzeugte „grüne“ Investitionen im Bereich Autos, Batterien, Chips und andere Bereiche – hauptsächlich über Steuererleichterungen – pumpen und damit die USA zur führenden „grünen Industrienation“ machen. In der EU befürchten einige mächtige Wirtschaftslobbyisten und Politiker, dass damit die USA auch europäische Unternehmen abwerben wollen, da nicht-nordamerikanische Produzenten nicht in den Genuss dieser Subventionen kommen sollen. Van der Leyen hat sofort, zuletzt in Davos, darauf reagiert und angekündigt, das EU-Beihilferecht, welches grundsätzlich Subventionen verbietet, zu lockern (wie dies bereits für Covid-Medikamente und Schutzkleidung geschehen ist), sowie einen „Europäischen Souveränitätsfonds“ zu dotieren, aus welchem EU-Unternehmen unterstützt werden sollen. Es gehe um nicht weniger als den Fortbestand der europäischen Industrie. Dies klingt wie österreichische Anlassgesetzgebung: wenig durchdacht, rasch auf Lobbying reagiert, ein weiteres Stück Fleckerlteppich und Money, money, money.

Fakten

Die EU Recovery and Resilience Facility (RRF)

Dieser über 800 Mrd € schwere Fonds zur Wiederaufbauhilfe nach den Covid Lockdowns steht den Ländern auf Antrag nach Vorlage eines zu genehmigenden Programms zur Verfügung. Dabei sind pro Land 37% für „grüne“ Investitionen vorzusehen. Allerdings gibt es dafür, im Gegensatz zur IRA, keine Beschränkung für Firmen aus dem Ausland, entspricht daher auch den Nicht-Diskriminierungsregeln der Welthandelsorganisation. Die EU hinkt bei den Fördermöglichkeiten für die Grüne Transition also keineswegs hinter den USA her. Allerdings überlässt die EU (sinnvoller Weise) den Mitgliedsländern die von der Kommission zu bewilligenden Projektentscheidungen.

Important Projects of Common European interest (IPCEIs)

Diese bereits im EU-Vertrag vorgesehene Lockerung der Beihilferegeln für Projekte „im besonderen Europäischen Interesse“ soll „Strategische Autonomie“ und „Technologische Souveränität“ für Europa sicherstellen und in ganz spezifischen, zu genehmigenden Projektclustern „Europäische Champions“ entlang bestimmter Wertschöpfungsketten ermöglichen. Bislang gibt es nur eine kleine Anzahl von genehmigten Projekten, und zwar mehrere im Bereich Mikroelektronik, Batteriewertschöpfungsketten und Wasserstoff; Interesse gibt es noch für Next Generation Cloud und Gesundheit. In Österreich gibt es Bestrebungen, den klimagetriebenen Kreislauf-Verbund für Industriecluster als IPCEI genehmigen zu lassen. Die Projekte müssen länderübergreifend sein, mit Kooperationspartnern abgewickelt werden und den übergeordneten Zielen der EU entsprechen. Sie sind Ansätze zu einer „missionsorientierten“ Industriepolitik (siehe unten).

Direktinvestitionen

Der Ruf nach europäischen Subventionen als Antwort auf die IRA wird auch mit der dadurch möglichen Abwerbung europäischer Industriefirmen in die USA argumentiert. Sogar mit einer drohenden „Deindustrialisierung Europas“ sollen der Politik Subventions-Beine gemacht werden. Die Daten sprechen anders: nach Erhebungen der OECD haben die EU Länder 2021 Direktinvestitionen (also die Gründung, Erweiterung oder Übernahme von Firmen – im Gegensatz zu Finanzinvestitionen) in den USA im Ausmaß von 154 Mrd $ getätigt, die USA in der EU um 168 Mrd $. In den ersten drei Quartalen 2022 dreht sich das Verhältnis um: die EU hat in den USA 85 Mrd $ investiert, die USA in der EU 79 Mrd $. Man sieht an diesen beiden Jahren, dass hier weitgehendes Gleichgewicht besteht, da Direktinvestitionen zum (nicht all-)täglichen Geschäft der globalisierten Wirtschaftsentwicklung gehören. Längerfristig sieht man große jährlich Schwankungen dieser Finanzflüsse in beide Richtungen, allerdings halten sich in den letzten 20 Jahren die gesamten Ströme nach Ost und West in etwa die Waage.

Zum Teil hängen die großen jährlichen Schwankungen mit Wechselkursentwicklungen zusammen: wenn der Dollar für den Euro billig ist, lohnt es sich – ceteris paribus – für Europäer, in den USA einzukaufen, und umgekehrt. Wenn europäische Firmen Produkte herstellen, für die sie einen großen dauerhaften Markt in den USA sehen, zB langfristig die Vorliebe der Amerikaner für deutsche Luxusautos, werden sie sich überlegen, dort Produktionen aufzubauen, etc. In der globalisierten Wirtschaft spielen Direktinvestitionen vor allem zum Aufbau von „billigen“ Lieferkettenproduktionen, sei es aus Rohstoffgründen, aus Gründen billiger Arbeitskosten – oder auch aus Gründen des Vorhandenseins bestimmter hoch qualifizierter Arbeitskräfte (vor allem in Forschung und Entwicklung) eine wichtige Rolle. Die derzeitige USA-Subventionierung ist eine Antwort auf die seit Covid teils zusammengebrochenen weltweiten Lieferkettenstruktur, ist aber sicher auch dem aktiven Versuch geschuldet, abgewanderte Arbeitsplätze wieder ins Land zu holen („re-shoring“). Neben rein ökonomischen Gründen spielen jedoch zunehmend Hegemonie-strategische Gründe, stammend aus dem Anspruch Chinas, seine globale Rolle als zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt spielen zu wollen, eine Rolle. Der „alte“ Hegemon USA verteidigt seine althergebrachte globale Vormachtstellung mit (fast) allen Mitteln gegen den Newcomer China. Europa sollte sich in die drohende Zweiteilung der Lieferketten nicht einbinden lassen und seine Industriepolitik an den Interessen der eigenen Bevölkerung ausrichten.

Renaissance einer Industriepolitik?

Green Deal, IPCEI und andere europäische wirtschaftspolitische Versatzstücke können Teil einer unter dem Titel des globalisierten Marktes lange verpönten neuen Industriepolitik sein, die in der EU im Rahmen der Vier Freiheiten des Binnenmarktes bis vor kurzem tabuisiert war, bis man durch die chinesische Industriepolitik („Agenda 2025“) von 2015 hellhörig wurde, die China zum attraktivsten Markt für ausländische Direktinvestitionen machen sollte und in zehn Bereichen chinesische Unternehmen zu Weltmarktführern machen sollte. Da China in der Zwischenzeit zur zweitgrößten Volkswirtschaft nach den USA geworden ist und machtmäßige Hegemonialansprüche stellt, hat man in Europa und den USA einerseits begonnen, den Verkauf eigener High-Tech-Unternehmen an China zu behindern, andererseits aber auch eigene industriepolitische Überlegungen anzustellen, wie man sich im Konkurrenzkampf der Zukunft behaupten könne – und hat damit die eigenen ideologiegetriebenen Konzepte, dass der „Markt“ sich selbst regulieren solle, zugunsten stärkerer Staatsinterventionen, sprich „Industriepolitik“ über den Haufen geworfen.

Die Klimakrise hat zu diversen „Grünen Plänen“ geführt, die Investitionen in Dekarbonisierung von Industrie und Energie zugunsten einer nachhaltigen Entwicklung fördern sollten. Das Covid-Debakel der im Westen nicht verfügbaren Medikamente und Schutzbekleidungen hat das Bewusstsein gefördert, dass die früheren, rein kosten- und marktgetriebenen Auslagerungen dieser Bereiche vor allem nach Südostasien dazu geführt haben, dass vor allem Pharma-Wirkstoffe nur mehr dort hergestellt wurden. Dies wurde zu einem neuen Sicherheitsproblem stilisiert, das einseitige Abhängigkeiten schaffe – und rückgängig gemacht werden müsse (Die einzige europäische Antibiotikaproduktion gibt es in Österreich). Die Abhängigkeit Europas von russischem Erdgas hat Alarmglocken läuten lassen und die Suche nach nicht-russischen Energiequellen, und darüber hinaus den Ausbau nicht-fossiler Energiequellen befördert.

Reaktion oder Strategie

Es zeigt sich jedoch, dass im Gegensatz zum wohldurchdachten chinesischen Agenda 2025-Modell (welches allerdings auch durch die jüngsten Covid-Verwerfungen weit von seinen Zielen entfernt ist) in Europa und den USA eher die beschriebenen reaktiven industriepolitischen Aktivitäten an der Tagesordnung sind, und nicht strategisch geplante Versuche, Industrie und deren wichtige Dienstleistungsaktivitäten (F&E, technische und organisatorische Innovationen, Marketing, Finanzierung und andere) durch gezielte Innovation, Standardsetzung, öffentliche Beschaffungsaktivitäten, Wettbewerbspolitik, Ausbildungsstrategien und – vor allem in Europa – strategische Kooperationen über Ländergrenzen hinweg als Kernstücke einer künftigen nachhaltigen Gesellschafts- und Wirtschaftsentwicklung zu positionieren.

Missionsorientierung

Eine solche Industriepolitik sollte auf gesellschaftspolitisch relevanten „Missionen“ aufbauen: dazu wären Problemlösungen für Volksgesundheit, für die Alterung der Gesellschaften, eine weniger Raubbau am Menschen betreibende Wirtschaft, für Digitalisierung, für Mobilität der Zukunft und andere zu zählen, die in einem breiten gesellschaftlichen Diskursprozess zwischen Zivilgesellschaft, ExpertInnen und Politik zu erarbeiten wären. Neben den direkten Produktionsprozessen zählen zu solchen Missionen zwingend auch die Arbeitsbedingungen, die Remuneration der Arbeit, die notwendige Bereitstellung der nachhaltig orientierten Infrastruktur sowie auch die Finanzierung.

Die allenthalben zuallererst geforderte Bereitstellung von Finanzierungsmitteln wird erst dann relevant, wenn über die Ziele und Mittel einer solchen Industriepolitik Klarheit besteht. Angesichts der riesigen auf den Finanzmärkten hin- und hergeschobenen Finanzmittel ist nicht die Knappheit von Kapital der Engpass, sondern die Herstellung des zielgerichteten Einsatzes solcher oft risikoreicher privater und dann erst öffentlicher Mittel.

Markenzeichen solcher „Missionen“ ist die gemeinsame Definition eines bestimmten Zielbündels unter Einbeziehung von Unternehmen, Stakeholdern und Politik, sowie die darauf folgende Umsetzung der erforderlichen Schritte mithilfe aller direkt und/oder indirekt beteiligten Unternehmen, politischen und gesellschaftlichen Akteuren. Im europäischen Kontext können solche Missionen zwar auf Länderebene gestaltet werden, sollten damit aber nur Teil von gesamteuropäischen Lösungen sein, die wiederum miteinander koordiniert werden müssen.

Eine solche Industriepolitik darf sich jedoch nicht nur in weiteren Investitionen und damit Wachstum erschöpfen, sondern muss auch den Mut haben, gesellschaftlich, ökologisch, sozial und gesamtwirtschaftlich unerwünschte Aktivitäten (zB das„Mining“ von Cryptowährungen mit riesigem Energiebedarf, Glücksspiel, emissionsintensive Produktionen, Fahrbahngeschwindigkeiten, Bodenversiegelung, Gletscherverbauung für Tourismus, etc.) zu verbieten, bzw. auch gegen starke Interessen einzelner Personen, Unternehmen oder Gruppen durchzusetzen.

25 Jahre marktgetriebenes industriepolitisches Vakuum

Die europäische Industrie und Wirtschaft hat sich lange gegen offenkundig notwendige Änderungen gewehrt: die Klima- und Umweltkrise ist spätestens seit den 1970er Jahren von vielen Fachleuten in ihren gravierenden Auswirkungen dargestellt worden; die Finanzkrise 2008 ff. hat die Dysfunktionalität und Destruktivität ungebremster Finanzaktivitäten für aller Leben aufgezeigt; die “Dieselkrise“ vor allem der europäischen (deutschen) Autoindustrie hat nicht zu frühzeitiger Umstellung auf Elektromobilität, sondern zur weiteren „Optimierung“ von Dieselmotoren geführt, was sich jetzt bitter rächt. Das falsche Dogma, dass gesellschaftlicher Wohlstand in Europa primär auf unbeschränkter Energieverfügbarkeit basiert, ist weiterhin aufrecht: die seit den 1980er Jahren wiederholten Mahnungen, dass „die beste Energie jene sei, die nicht gebraucht wird“, wurden von den Energielobbies geflissentlich überhört: auch jetzt sind Energieeinsparungen, die Überprüfung der gesamtgesellschaftlichen und -wirtschaftlichen Kosten dieses „Energiestalinismus“, kaum auf der Agenda und werden von immer weiterem Aufsuchen neuer Energiequellen überlagert. Dies bedeutet keineswegs, dass Energiedienstleistungen nicht eine ganz wesentliche Grundlage für gesellschaftliche Entwicklung darstellen, sondern nur dass die gesellschaftlichen, ökologischen, klimatechnischen und wirtschaftlichen Folgekosten der Energiebereitstellung adäquat berücksichtigt werden müssen.

Das österreichische industriepolitische Vakuum

Der österreichische Beirat für Wirtschafts- und Sozialfragen hat in den Jahren 1970 bis 1991 sich dreimal in Studien zur Industriepolitik geäußert, und seither sich nur 2013 zu einem Vorschlag zu einer Innovationspolitik durchgerungen. Für die Jahre dazwischen und seither war die Beschäftigung mit „Industriepolitik“ verpönt. Der „Markt“ sollte alles richten. Die EU hat 2021 ihre bis dahin sehr vage bleibenden industriepolitischen Zielsetzungen „überarbeitet“ und seither die „Schaffung von Sicherheit für die Industrie durch einen vertieften und stärker digitalisierten Binnenmarkt; die Wahrung fairer Wettbewerbsbedingungen in der Welt; die Unterstützung der Industrie auf dem Weg zur Klimaneutralität; den Aufbau einer stärker kreislauforientierten Wirtschaft; die Förderung des Innovationsgeistes in der Industrie; den Kompetenzerwerb und Umschulung; und Investitionen in den Wandel“ als Zielsetzungen definiert. Es bleibt jedoch (bisher; siehe die anfangs zitierte Rede der Kommissionspräsidentin van der Leyen beim Weltwirtschaftsforum in Davos) bei eher unverbindlichen Empfehlungen, einem in Einzelteilen durchaus ambitionierten Stückwerk, bzw. dem Ruf nach weiteren finanziellen Subventionen.

So sieht Strategie aus

Die heutigen europäischen Ängste vor einem „neuen amerikanischen Protektionismus“ sind überzogen. Dieser existiert zwar, doch sind seine Auswirkungen auf Europa weniger bedrohlich. Die derzeitigen Äußerungen führender europäischer PolitikerInnen, die eigene Subventionen als Mittel gegen die befürchtete Abwanderung europäischer Industriebetriebe fordern, sind konzeptuell falsch, da sie sich vor allem auf die „Standorterhaltung“ bestehender Strukturen beziehen, anstatt die für künftige Entwicklungen eigenen wichtigen Weichenstellungen zu bewerkstelligen: die Probleme dabei liegen viel stärker in hausgemachten Versäumnissen, mangelnder Kooperationsbereitschaft, extrem bürokratisierten Entscheidungsprozessen und dem Eingestehen, dass die Entwicklung einer langfristig tragfähigen Industrie eher durch langfristig lieb gewordene Strukturen („vested interests“) behindert wird, denn durch fehlende Finanzmittel. Klare Konzepte mit BürgerInnen- und Expertenbeteiligung, prioritäre Zielvorgaben und Zeitpläne, Kooperationsgebote à la Horizon EU Forschungsprogramme, Überprüfung regulatorischer Lücken und Hemmnisse sind unverzichtbare Teile einer künftigen europäischen Industriepolitik, die nicht auf Welt-Marktanteile schaut, sondern die Sicherung der Zukunft ihrer Bevölkerung anstrebt.

Die Europäische Union (und damit Österreich als deren Teil) muss zwar außereuropäische Entwicklungen, besonders in China und den USA, berücksichtigen, jedoch ihre eigenen strategischen Ziele definieren – und nicht in einem wirtschaftspolitischen „MeToo“ deren Entwicklungen und Politiken nachhinkend imitieren. Die EU hat einen riesigen Binnenmarkt von 450 Millionen Einwohnern und die zweit- bis drittgrößte Volkswirtschaft der Welt. Sie sollte sich stärker auf das Wohlergehen ihrer BürgerInnen und auch Unternehmen konzentrieren statt auf ihre Handels- und Direktinvestitions- Positionen im Weltmaßstab. Sie muss und kann nicht am Hegemonie-Wettkampf zwischen USA und China teilnehmen, sondern ihre eigenen Wege gehen. Dazu braucht es eine gezielte Strategie.

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Das politische Waisenkind Ministerienreform

Es ist hoch an der Zeit, dass die Politisierung, politische Instrumentalisierung und Verlotterung der Bundesverwaltung in das Bewußtsein der Öffentlichkeit dringt. Thomas Wieser und Manfred Matzka, zwei frühere Sektionschefs im Finanzministerium und im Bundeskanzleramt haben dies kürzlich exzellent in diversen Medien kenntnisreich und wehmütig beschrieben. So richtig ihre Vorschläge zur Verbesserung sind, so bleiben sie „Wünsche ans Christkind“, da es in Österreich keinen politischen Verantwortungsträger gibt, der eine Reform der Rolle der Beamtenschaft und der adäquaten Rolle der Politikerinnen, unter denen sie „dienen“, sich zu eigen macht (auf Neudeutsch „Ownership erwirbt“). Zwar gab es in früheren Zeiten Staatssekretariate, in deren Verantwortungsbereich der Öffentliche Dienst fiel, zur Zeit jedoch ressortiert die Angelegenheit beim Vizekanzler, der viele andere Aufgaben und Sorgen hat. Von ihm sind bisher keine Anstrengungen zu einer grundlegenden Reform bekannt.

Ein Minister, der sich einer notwendigen grundlegenden Reform der Beamtenschaft annähme, fände sich in einer schwierigen und politisch undankbaren Rolle: einerseits wäre eine Modernisierung und eine klare Trennung der Rollen der Ministerinnen und ihrer Kabinette eine komplizierte, viele Details umfassende Aufgabe, deren Lösung viel politisches Kapital verschlingt, da sie mit einer sehr mächtigen Gewerkschaft mit starken „vested interests“ („Besitzstandwahrungen“) am bestehenden System verhandeln müßte, andererseits benötigte eine solche Reform viel Zeit. Daher würden die Vorteile einer gelungenen Reform erst späteren Regierungen zugute kommen, wodurch der Verbrauch des politischen Kapitals nicht dem Reformer zugute käme – ein „Dilemma“ in einer Zeit, wo kurzfristiges politisches Kalkül („bis zur nächsten Wahl“) viele Entscheidungen der Ministerinnen dominiert. Dazu einige persönlich erlebte Beispiele.

Drei persönlich erlebte Anschauungsbeispiele

Mir wurde dies klar vor Augen geführt, als ich nach zwei Jahren im Verwaltungsrat der Weltbank, wo ich unter anderem detailliert deren Verwaltung und Verfahren studierte, ins Finanzministerium zurückkehrte und in einem extra angeforderten Termin dem Minister davon berichten wollte, damit er vielleicht einiges davon aufgreife. Der Minister ließ sich zwar berichten, sagte mir aber dann, dass er mit solchen Reformvorschlägen zu viel an politischem Kapital verbrennen würde, und ich mein Anliegen daher vergessen solle. Das unterstrich das Resultat einer hochrangigen österreichischen Beamtenmission bei der Weltbank, für die ich auf Bitte des damals zuständigen Sektionschefs eine 5-köpfige und zweitägige Seminarrunde von hohen Verwaltungsspezialisten der Weltbank organisiert hatte, bei denen die anwesenden Österreicher (alles Männer!) sich vieles berichten ließen, aber keine einzige Frage stellten. Statt eines Dankes am Ende wurde mir vom Delegationsleiter lakonisch mitgeteilt: „Die haben die Weisheit auch nicht mit dem großen Löffel gefressen“. Die Weltbankorganisatoren baten mich danach, sie um keine weiteren Seminare zu bitten, da die offenbare Uninteressiertheit der Österreicher ihnen wertvolle Zeit gestohlen hätte, die sie dringend anderweitig benötigten. Zuisätzlich stellte sich heraus, dass von der 5-köpfigen Delegation zwei nicht des Englischen mächtig waren – und einer sich bei mir zu Beginn des Seminars nach den nächstgelegenen „Shopping-Möglichkeiten in Washington, D.C.“ erkundigte.

Zwar ist es eine weit verbreitete Mär, dass die österreichische Beamtenschaft noch immer der Maria Theresianischen Kanzleiordnung unterworfen sei, doch zeigt die Art und Weise, wie die Einführung des Elektronischen Aktes Ende vorigen Jahrhunderts nicht zur Modernisierung des Berichts- und Ablagewesens genutzt wurde, den beharrenden Charakter in der Beamtenschaft.

Als ich anläßlich meines Abschieds aus dem Finanzministerium (ohne Wissen meines Vorgesetzten, Umgehung des Dienstwegs!) dem damaligen Minister ein Memorandum schickte, welches Vorschläge zu einem angemessenen Umgang und Arbeitsteilung zwischen Ministerkabinett und Beamtenschaft machte (das war natürlich eine Kritik an den konkreten Abläufen und dafür Verantwortlichen), versuchte der für unsere Sektion zuständige Ministersekretär als Rache meine Entsendung in eine internationale Organisation rückgängig zu machen, was nur mißlang, da diese dort bereits notifiziert war und nur aufgrund schwerer strafrechtlicher oder dienstrechtlicher Verfehlungen meinerseits ohne Peinlichkeit für ÖLsterreich annulliert hätte werden können.

Wer also sollte in Österreich ein modernes Beamtendienstrecht, einen „Code of Conduct“ für Verhalten und Interessenkonflikte von Ministern und Kabinetten, eine Beschränkung der Zahl der Kabinettsmitarbeiterinnen, ein Verbot der Überstellung dieser in die Beamtenschaft ohne Ausschreibung, ein tatsächlich objektiviertes Ausschreibungserfordernis für höhere Beamtenfunktionen sorgen? Es gibt leider keine Institution in Österreich, die unabhängig vom Erfordernis, damit kurzfristig politisches Kapital zu lukrieren, an einer modernen, dem Staat dienenden Beamtenschaft, an einem modernen Ablage- und Dokumentationswesen, an einer sauberen Trennung von politischer und inhaltlicher Ebene interessiert ist – geschweige denn dies durchsetzen könnte. Ohne „Ownership“ dieses wichtigen Anliegens keine Hoffnung auf Erfolg.

Offenlegung: der Autor war zehn Jahre in leitender Funktion im Bundesministerium für Finanzen tätig

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