Strategische Vision für UK und Österreich?


Heraus aus der britischen Misere

Am 15.4. publizierte der Starökonom der Financial Times einen Kommentar, wie eine notwendige Wirtschaftsstrategie für das Vereinigte Königreich aussehen könnte. (Wie Österreich steht dem UK im Herbst eine Nationalratswahl bevor). Dabei geht Wolf vom Hintergrund der schlechten Performance der britischen Wirtschaft aus, die umzukehren wäre: würde man den Wachstumstrend 1995-2008 bis heute verlängern, wäre das pro-Kopf-Einkommen um ganze 39% (!!) höher als heute. Wolf nennt besonders vier essenzielle Bereiche für eine solche Strategie:

– Erstens braucht es eine strategische Vision, aufbauend auf einer 5-10 jährigen rollierenden Vision, wie aufgrund angenommener weltwirtschaftlicher Entwicklungen die britische Wirtschaft sich entfalten sollte, in Bezug auf Investitionen, erforderlichen Qualifikationen am Arbeitsmarkt, wie Innovation gefördert werden kann, um die Herausforderungen von Alterung, Klimawandel/Umwelt, etc. zu meistern. Das müßte natürlich auch eine Einwanderungspolitik und Bildungspolitik umfassen. Nur auf Grundlage einer solchen Vision könnten aktuelle Politikvorhaben evaluiert werden.

– Zweitens braucht es institutionelle Reform, und zwar auf der Bundesebene, wo vor allem die übermächtige Position des Finanzministeriums zurückgedrängt werden müsse zugunsten einer Stärkung der Fachministerien (das ist ein spezifisch britisches Problem, oder?). Weiters gehe es darum, den Regionen, besonders den Städten viel mehr politische Macht zu übetragen und die zentralisierte Stellung Londons zu schwächen.

Drittens muss es darum gehen, die immer größere werdende Lücke zwischen Staatsausgaben und -einnahmen in den Griff zu bekommen. Heute hat das UK die höchste Steuerlast seit dem 2. Weltkrieg, obwohl im internationalen Vergleich noch immer im unteren Drittel der Industrieländer. Konkret schlägt Wolf die Evaluierung der einzelnen Steuern auf ihre Effizienz (bezüglich Wachstum? Verteilung? Oder was sonst?) vor, den Ersatz der Immobiliensteuer durch eine Bodenwertabgabe, den Ersatz der Benzinsteuer durch eine CO2Abgabe, deren Erträge zur Kompensation der Verlierer sowie zu Investition in Klimastrategien verwendet werden sollte.

– Und viertens sollte eine Regierung eine Stragie für volkswirtschaftliches Sparen und Investieren entwickeln, da sowohl die Spar- wie die Investitonsquote im internationalen Vergleich nachhinkt. ZB (sehr UK-spezifisch) die empfohlene Obergrenze für Pensionssparen über die derzeitigen 8% des Einkommens anheben. Die übermäßig hohen Kosten von Infrastrukturbauten im UK sollten durch Vereinfachung der Planungsprozesse, besseres Procurement, etc. angegangen werden. Für Investitionen, die Marktwert ermöglichen, wäre auch Schuldenfinanzierung angebracht (Goldene Regel!). Als Beispiel nennt Wolf öffentliche Investitionen in Wohnraum (hier muss man wissen, dass unter Thatcher den Mietern von Sozialwohnungen ermöglicht wurde, zu sehr günstigen Konditionen diese privat zu erwerben, was zu einer massiven Erosion von „leistbarem Wohnen“ geführt hat).

Kann Österreich daraus lernen?

Als Hintergrund muss man verstehen, dass Österreichs Wirtschaft sich zwar besser als die britische entwickelt, aber dennoch gravierende Schwächen aufweist. Dennoch kann man einiges aus den britischen Überlegungen lernen.

Erstens: vorrangig ist die Entwicklung einer Gesamtstrategie, die sich über eine Legislaturperiode hinaus erstreckt und an der die jeweilige aktuelle Situation gemessen und gegebenenfalls korrigiert werden kann.

Zweitens: die Aufteilung der Steuereinnahmen zwischen Bund, Ländern und Gemeinden/Städten, also der immert wieder endlos verhandelte, aber nie zu signifikanten Änderungen führende „Finanzausgleich“ muss endlich nach vollziehbaren Kriterien restrukturiert werden, um den künftigen Erfordernissen zu entsprechen. Dies ist politischer Bauchaufschwung sondergleichen, da die Interessen von 3000 Gemeinden, vielen Städten, neun Bundesländern und dem Bund äußerst vielfältig sind. In der derzeitigen Struktur ist der Finanzminister allein hilflos, auch bei bestem Willen mehr als die Kommastellen der Aufteilung der Einnahmen zu verändern, sind die Finanzflüsse zwischen den Gebietgskörperschaften zu undurchsichtig. Hier braucht es – a la Verfassungskonvent – eine übergeordnete Willensbildung.

Drittens: eine grundlegende Steuerreform, die Klima/Uwelt-, Einkommensverteilungs-, Finanzierungs- und Effizienzkriterien unter verschiedene Hüte bringt – und nicht nur weitgehend bestehende Muster fortschreibt, ist unerläßlich.

Viertens: eine grundlegende Reform des Bildungssystems ist für die Erfüllung der strategischen Ziele wichtig: die bestehende Blockage durch das Erfordernis der 2/3 Mehrheit im Nationalrat hat Österreich den beschämenden Platz in den internationalen Rankings beschert und schädigt die Zukunftsaussichten unserer Jugend.

Fünftens: institutionelle Reformen müssen die isolierte Wahrnehmung ihrer Aufgaben durch einzelne Ministerien (meist zusätzlich durch koalitionsinterne Abgrenzungen) zugunsten der Verfolgung gemeinsamer Strategien ermöglichen. Ministerien sind nicht dazu da, ihre je eigene Klientel zu befriedigen, sondern zugunsten der gesamten Bevölkerung zu arbeiten. Die bestehende Fragmentierung, die einzelnen Abtäusche und Blockierungen schaden dem Gemeinsamen Ganzen.

Die Herausforderungen der Zukunft im Klima-Umweltbereich, der Digitalisierung, der Alterung der Gesellschaft, der Immigration, der Öffentlichen Gesundheit und vor allem des gesellschaftlichen Zusammenhalts (ohne Armut) können effektiv nur gemeinsam bewältigt werden.

Martin Wolfs Kolumne ist sicherlich nur kursorisch, natürlich sehr auf die besonderen Probleme des Vereinigten Köngreichs ausgerichtet. Dennoch gilt auch für Österreich das Einstein fälschlich zugeschriebene, auch von Wolf verwendete Zitat: „Irrsinn ist es, dasselbe immer wieder zu tun, aber jeweils unterschiedliche Resultate zu erwarten“. Die auf Beharrung aufgebaute Politik Österreichs macht für ein Weiterwurschteln mit Betonung auf dem Bestehenden die Anwendung dieses Zitats nicht unplausibel. Es ist Zeit für die Entwicklung einer strategischen Vision!

Bisher haben die österrreichischen politischen Parteien kein gesamthaftes Konzept für die Wirtschaftspolitik vorgelegt: von wolkigem „Österreichplan“, zu einem „Grunderbe“ bis zu einem „Transformationsfonds“ liegen bestenfalls einzelne Versatzstücke vor. Eine makroökonomische Vorschau über mehrere Jahre sucht man vergeblich (der der EU vorgelegte mehrjährige Budgetplan ist – und hier spricht der für dessen Erstellung mehrere Jahre Mit-Verantwortliche – für die einzelnen Ministerien unverbindlich, eine reine Finanzministeriums-Angelegenheit). Und noch viel ergebnisloser ist eine Suche nach einer konsistenten, auf einzelne Sektoren heruntergebrochene, den übergeordneten Zielen dienende Finanzplanung.

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Filed under Climate Change, Crisis Response, Fiscal Policy, Socio-Economic Development

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