Die Dominanz des Westens geht zu Ende
Die seit Ende des 2. Weltkrieges dominierende „regelbasierte liberale Weltordnung“ löst sich auf. Sie war vom „Westen“ (inklusive Japan) dominiert, schaffte internationale Finanzinstitutionen wie den Internationalen Währungsfonds, die Weltbank (und deren kleine Schwestern, die regionalen Entwicklungsbanken) und die Welthandelsorganisation GATT, später WTO, als Institutionen der globalen Wirtschaftssteuerung nach ihren eigenen Interessen. Durch diese Institutionen drückte sie das eigene ökonomische Weltbild fast der gesamten Welt auf. Bis zum Zerfall der Sowjetunion waren die darauf basierenden globalen Institutionen aufgrund des politischen Gleichgewichts im Kalten Krieg schwächer, entwickelten aber seither ab 1991 mehr Gewicht und Durchsetzungskraft.
Der Internationale Währungsfonds kontrolliert mit seinen jährlichen „Artikel IV Überprüfungen“ die Wirtschaftsentwicklung seiner 190 Mitgliedsländer, verbindet im Fall, dass Länder kurzfristige Finanzhilfe vom Währungsfonds (seine statutarische Aufgabe) benötigen, diese mit den berüchtigten „Strukturanpassungsreformen“, die vor allem darauf ausgerichtet sind, dem (internationalen) Finanzsektor durch Liberalisierungen, Privatisierungen, und vor allem Reduzierungen der öffentlichen Ausgaben („Budgetkonsolidierung“) wie Abbau von Subventionen und Sozialausgaben, Raum für profitable Investitionen zu verschaffen („Washington Consensus“). Mit ähnlicher Zielsetzung geht die Weltbank vor, deren Aufgabe nicht kurzfristige Zahlungsbilanzhilfen wie beim IMF sind, sondern die langfristige Finanzierung der Entwicklung des jeweiligen Landes, basierend auf der Mitwirkung des Landes in den internationalen Wertschöpfungsketten durch einen ausgebauten Privatsektor und „effizienten“ (sprich kleinen) Staatssektor. Die Regeln der Welthandelsorganisation WTO zielen darauf ab, allen Teilnehmern ein „level playing field“ zu schaffen, den Freihandel durch den Abbau nationaler Subventionen und Zölle zu fördern unterlegt durch eine derzeit durch die USA ausgehebelte Streitbeilegungsfunktion bei Handelsstreitigkeiten. In den letzten Jahren häufen sich die bei der WTO eingebrachten Beschwerden über „unfaire Handelspraktiken“, ausgelöst durch die USA-Importerschwernisse für Stahl und andere Metalle, sowie durch China-Sanktionen. Zunehmend werden als (akzeptierte) Ausnahme von den Freihandelsregeln durch Länder „nationale Sicherheitsinteressen“ argumentiert, deren Abgrenzungen von eindeutigem Protektionismus („make my country great again“) äußerst schwammig ist. Dies führt dazu, dass seit der Welt-Finanzkrise 2008 die bis dahin deutlich höheren Zuwachsraten des Welt-Außenhandels gegenüber dem BIP-Wachstum Geschichte sind. Seither nehmen beide etwa gleich langsam zu, die damit einhergehende “Hyper-Globalisierung” scheint gebremst.
Bis zur von westlichen Finanzinstitutionen ausgelösten Welt-Finanz- und Wirtschaftskrise von 2008 ff. war dieses „Modell“ der Steuerung der Weltwirtschaft weitgehend unbestritten, obwohl von Seiten der Schwellen- und Entwicklungsländer immer wieder der Anspruch kam, in den globalen Institutionen mehr Mitsprache und Einfluss über die eingeschlagene Richtung zu bekommen. Die USA verfügen seit Beginn dieser Institutionen (Konferenz von Bretton Woods 1944) über eine Sperrminorität (mehr als 15% Anteil) in IMF und Weltbank, die ihnen erlaubt, bei wichtigen Entscheidungen ein Veto einzulegen. (Auch die geografische Nähe dieser beiden Institutionen zum amerikanischen Finanzministerium garantiert die notwendige Abstimmung). Aber auch die EU-Länder verfügen gemeinsam über mehr als 20% der Stimmgewichte, stimmen jedoch üblicherweise nicht gemeinsam ab, sondern in ihren jeweiligen Stimmrechtsgruppen, die auch Nicht-EU-Länder enthalten. Wenn auch die europäischen Länder ihr überproportionales (gemessen an ihrem Anteil an der Welt-Wirtschaftsleistung) Stimmgewicht kaum entscheidend gemeinsam einbringen, sind sie doch mit den USA der gemeinsamen Meinung, keine Stimmgewichte, bzw. ihre Dominanz zugunsten aufstrebender Länder abzugeben. Diese Ungleichgewichte sind in den letzten Jahrzehnten besonders eklatant geworden als China, Indien, aber auch andere Länder deutlich stärker als die westlichen Länder gewachsen sind, und daher ihre Stimmrechte nicht länger den Intentionen der „Gründerväter“ entsprechen, diese in etwa gemäß ihrer wirtschaftlichen Stärke (gemessen am Bruttoinlandsprodukt) auszustatten. Darüber hinaus maßen sich die USA und die EU an, die Generaldirektor-Funktion in beiden Institutionen unter sich aufzuteilen: der Weltbankpräsident wird seit Beginn von den USA gestellt, der Managing Director des IMF von Europa.
Während die westlichen Industriestaaten lange Jahre weit über 50% der Welt-Wirtschaftsleistung stellten, sind es heute nur mehr ein Drittel. Während China lange Jahre niedrige einstellige Anteile hatte, produziert es heute etwa 18% des Welt-BIP, Indien etwa 4%, Brasilien und Korea etwas mehr als je 2%. Die USA liegen bei fast 20% (das alles gemessen In US-Dollar, wobei die Schwankungen der Wechselkurse eine große Rolle spielen). Um Unterschiede in der Kaufkraft bereinigt, liegen China und die anderen Schwellenländer deutlich höher, China sogar um etwa 3 Prozentpunkte vor den USA (18% vs. 15%, alles Daten des IMF). Dagegen haben die USA im Internationalen Währungsfonds ein Stimmgewicht von 16.5%, China (nach langwierig verhandelter „Reform“ vor zehn Jahren) 6%, Indien, Brasilien und Russland (derzeit suspendiert) je 2.6%. (Zum Vergleich: Österreich hat 0.8% der Stimmrechte bei einem Anteil am Welt-BIP von 0.4%).
„Wenn Ihr mich nicht in Eurer Sandkiste mitspielen lasst, dann mach ich mir meine eigene“.
Zusammen mit der gravierenden Veränderung der relativen Wirtschaftsleistung der Länder und dem Reputationsverlust des Westens aufgrund der Welt-Finanzkrise, die sein Wirtschaftsmodell als beispielhaft für die Welt geltend in deren Augen mit großen Zweifeln belegt, haben auch geopolitische Veränderungen die bestehende Weltwirtschaftsordnung geschwächt und verändert. Der Hegemonialstreit zwischen China und den USA, die imperialen Bestrebungen Russlands, der Zug zur Macht einzelner Länder im Nahen und Mittleren Osten (Saudi-Arabien, Iran, Türkei), aber auch die Expansion Chinas in Afrika, Lateinamerika und Asien, primär durch das Instrument der „Neuen Seidenstrasse“ zeigen, dass immer mehr Regionen und Länder nicht mehr bereit sind, dem Weg des Westens, dominiert durch die USA, zu folgen und damit seine geopolitische Macht zu festigen. Die Beschlagnahme von rund 300 Mrd $ an russischen Währungsreserven durch westliche Sanktionen nach der Invasion in die Ukraine haben zusätzlich die Präferenz vieler Länder der Welt, ihre Währungsreserven in westlicher Währung zu halten, beeinträchtigt, da die Gefahr sichtbar geworden ist, dass Währungsreserven als politische Waffe gegen unliebsame Länder eingesetzt werden können. Das schreckt eine zunehmende Anzahl von Ländern zurück. Eine ähnliche Rolle spielt der Ausschluss russischer Banken aus dem internationalen Referenz- und Informationssystem SWIFT, wodurch die Abwicklung russischer Exporte und Importe deutlich schwieriger wurde.
BRICS
Eine ganze Reihe von regionalen Zusammenschlüssen, prominent darunter etwa die Afrikanische Union, die Association of South-East Asian Nations ASEAN, Mercosur in Lateinamerika und aktuell auch die BRICS-Länder (Brasilien, Russland, Indien, China, Südafrika) und eine ganze Reihe anderer haben begonnen, ihre seit vielen Jahren bestehenden losen Wirtschafts-Zusammenschlüsse institutionell zu verstärken und damit, sowie auch viele einzelne Länder, ihre traditionellen Hinwendungen zu einzelnen Großstaaten, zu lockern, um ihre je eigenen Handlungsspielräume auszuweiten. Allerdings zeigen reale Entwicklungen, dass viele Länder sich schwer tun, sich einem der „großen Partner“ anzudienen, sondern lieber äquidistante Haltungen zu den Großen einnehmen wollen. Inwieweit die „Großen“ solche Ambivalenzen zulassen und/oder Druck auf einzelne Länder und Regionen ausüben, sich eindeutig zu positionieren, bleibt dahingestellt. Die kürzlichen Abstimmungen in der UNO Generalversammlung und im Sicherheitsrat zu den „Fällen“ Ukraine und Israel zeigen diese Ambivalenzen klar auf.
Als Beispiel für die Strategie vieler Blöcke, größeren weltwirtschaftlichen und politischen Einfluß zu gewinnen, möge die rezente Entwicklung der BRICS-Länder dienen, die bei ihrem kürzlichen Gipfeltreffen in Südafrika sechs weiteren Staaten Mitgliedschaft verliehen haben: Äthiopien, Ägypten, Saudi-Arabien, Vereinigte Arabische Emirate, Argentinien (der neue Präsident hat inzwischen wieder abgesagt) und Iran. Viele weitere Staaten sind Mitglieder der New Development Bank, der Entwicklungsbank der BRICS, geworden, um von den bestehenden westlich dominierten Institutionen unabhängiger zu werden. Auch die China-dominierte Asian Infrastructure Investment Bank (AIIB), zwar nominell nach dem Modell der Weltbank konfiguriert, geht in diese Richtung. Erstaunlicher Weise sind diese neuen Entwicklungsbanken weitgehend nach dem Modell der Weltbank gestaltet (zwei ehemalige Weltbank-Chefökonomen, Nicholas Stern und Joseph Stiglitz haben die Statuten der New Development Bank entworfen). Es wäre zu vermuten und zu wünschen gewesen, dass diese Neuanfänge auch inhaltlich andere Richtungen eingegangen wären.
Die BRICS-Länder haben 2015 neben der New Development Bank auch das Contingent Reserve Arrangement ins Leben gerufen, welches IMF-ähnliche kurzfristige Zahlungsbilanzhilfen für seine Mitgleider zur Verfügung stellt: so wurde 2023 bereits ein Kredit an Zambia vergeben, nachdem der IMF aufgrund seiner Regeln dieses Land, welches „unsustainable“ Schulden aufweist, nicht mehr finanzieren konnte. Der IMF hat – nolens volens – diese Art der „Kooperation“ begrüßt. (Siehe dazu unter anderem https://www.globalcapital.com/globalmarkets/article/2cawcg24mmhvej23yglq8/the-brics-challenge-to-the-imf-from-within-and-without.)
BRICS Plus hat auch Ambitionen, neben ihren eigenen Institutionen die Stimmgewichte in IMF und Weltbank zu verändern, um auch hier ihren Einfluss vergrößern zu können. Auch haben die BRICS-Länder auf ihrem kürzlichen Gipfel in Johannesburg angekündigt, die Möglichkeit einer gemeinsamen Währung zu studieren, um den Einfluß des US-Dollars, des Euro, des britischen Pfund und des japanischen Yen zu reduzieren. Ein Schritt in diese Richtung ist bereits vor einigen Jahren China gelungen, seine Währung in den IMF-Währungskorb der sog. „Sonderziehungsrechte“ (SZR) einzubringen, wo der Renminbi nunmehr neben US Dollar, Euro, Pfund und Yen seit 2016 Teil dieses Währungskorbes ist, dessen Mittel als zusätzliche „Weltwährungsreserve“ in Sonderfällen den Mitgliedern zur Verfügung gestellt werden können. Derzeit gibt es eine Diskussion im IMF, die 650 Mrd $ an SZR, die 2021 neu generiert wurden, um diese nicht – wie üblich – je nach „Quoten“, die in etwa die Stimmgewichte spiegeln, zu verteilen. Statt dessen sollten die westlichen Industriestaaten die ihnen zustehenden Anteile den höchst verschuldeten Entwicklungsländern übertragen, um deren nicht tragfähige Schuldenlast zu verringern und ihnen damit wieder Zugang zu privaten Finanzmärkten und weiteren IMF Krediten) zu ermöglichen. Diese Diskussion ist derzeit noch nicht abgeschlossen, einige dieser Mittel sind in eine spezielle IMF-Fazilität geflossen.
Inwieweit die BRICS Plus ihrem Anspruch, die Stimme für alle Entwicklungsländer zu werden, gerecht werden können, ist abzuwarten. Gegeben diesen Anspruch ist die Zusammensetzung der neuen Länder etwas kurios, da zB keines der großen asiatischen Länder Mitglied ist, ebenso wenig Afrikas größte Volkswirtschaft Nigerien. Der kürzlichen Erweiterung sind lange interne Diskussion vorausgegangen. China war grundsätzlich dafür, um seinen und BRICS’ Einfluß in der Weltwirtschaft zu erhöhen, andere (Indien und Südafrika) genau aus diesem Grund dagegen, um den ohnehin großen Einfluss Chinas in dieser Organisation nicht noch weiter zu stärken.
G-20
Kurz nach der BRICS-Erweiterung und ihrem Anspruch, die Stimme für den Globalen Süden zu sein, hielten die G-20 Länder (Australien, Saudi Arabien, Canada, United States, Indien, Russland, Türkei, Südafrika, Brasilien, Argentinien, Mexiko, Frankreich, Italen, Großbritannien, Deutschland, China, Indonesien, Japan, South Korea, Europäische Union and neu dazu Afrikanische Union) ihr Jahrestreffen in Indien ab. Trotz Differenzen zur Beurteilung des Russlandkrieges in der Ukraine schafften es die G-20, ein gemeinsames Kommuniqué zu veröffentlichen, in welchem die russische Aggression zwar nicht verurteilt wurde, aber doch das unveräußerliche Recht auf bestehende Grenzen bekräftigt wurde. Die Neuaufnahme der Afrikanischen Union zeigt auf, dass der Anspruch der G-20, in den globalen Diskussionen um eine Neuordnung der Weltwirtschaftlichen Steuerung eine wichtige Rolle spielen zu können, da sie sowohl Schwellenländer als auch Industrieländer als Mitglieder haben und durch die Afrikanische Union auch eine gewichtige Stimme für die afrikanischen und anderen Entwicklungsländern spielen könnten. Die G-20 spielten vor allem im Anschluss an die 2008 Weltwirtschaftskrise eine wichtige koordinierende Rolle, versanken dann weitgehend in der Versenkung, tauchen aber jetzt verstärkt wieder auf. Allerdings zeigen die dortigen Verhandlungen, dass zwischen einzelnen Ländern gravierende Interessen- und Auffassungsunterschiede zu globalen Fragen bestehen, deren gemeinsame Lösung Voraussetzung für eine stärkere Rolle der G-20 wäre.
G-7
Dies lässt die lange herrschende Gruppe der G-7 Länder (USA, Vereinigtes Königreich, Japan, Kanada, Frankreich, Deutschland, Italien, Europäische Union) in neuem Licht erscheinen. Die Herausbildung anderer Gruppen mit Universalanspruch auf regionaler oder globaler Ebene oder als „Fürsprecher“ von Ländergruppen, zusammen mit der Bürde der Finanzkrise, sowie dem wirtschaftlichen Aufschwung anderer Länder und den geopolitischen Verwerfungen führt zu einem Rückzugsgefecht der G-7. Nur etwas mehr als 30% des GDP, nur mehr 9% der Weltbevölkerung, schwächen die Legitimation, für die gesamte Welt zu sprechen. Die BRICS-Länder (inklusive der neuen) sind wirtschaftlich etwa gleich groß, haben jedoch 46% der Weltbevölkerung. Die G-20-Länder vereinen 71% des Welt-BIP und 87% der Weltbevölkerung.
Die finanzielle Stärke einer Gruppierung, eines Landes, zeigt sich jedoch einerseits in dem Anteil der Welt-Währungsreserven, die in dieser Währung angelegt sind und im Anteil des Welthandels, der in dieser Währung fakturiert wird. Hier spielt der US-Dollar weiterhin eine überragende Rolle: 60% des Weltwährungsreserven sind (trotz Beschlagnahme der russischen Reserven) in US $ angelegt, 20% in Euro, 5% in Yen und nur 3% in Renminbi. An der Welthandelsfinanzierung ist der Dollar mit knapp 40% beteiligt, der Euro mit 37%, Pfund und Yen mit je 5.5%, der Renminbi nur mit 3%, wobei jedoch letzterer Anteil deutlich steigt, da China mit seinen Nachbarn zunehmend Renminbi-Finanzierung vereinbart – auch um seine internationale Position zu stärken (SWIFT Data, https://www.statista.com/statistics/1189498/share-of-global-payments-by-currency/).
Faktum ist, dass diese Anteilsentwicklungen nicht das Resultat rein ökonomischer Verschiebungen im weltwirtschaftlichen Gefüge sind, sondern von allen Seiten stark politisch beeinflusst werden: seien es die dominierende Position des Westens in den Bretton Woods Institutionen IMF und Weltbank, seien es die teilweise präferenziellen Finanzierungen Chinas im Rahmen der Neuen Seidenstrasse, deren Konditionen für die Weltöffentlichkeit nicht offengelegt sind und deren Nachwirkungen durch die In-Besitznahme der finanzierten Gewerke (zB Häfen, Brücken, Eisenbahnen) bei Zahlungsunfähgkeit der Rezipientenländer (forcierte “debt-equity swaps”) große Auswirkungen auf die Wirtschaftspolitik dieser Länder haben.
Die Formierung neuer regionaler oder inhaltlicher Gruppen, die jeweils den Anspruch stellen, bei der globalen Steuerung der Weltwirtschaft eine wichtige Rolle zu spielen, dabei aber oftmals im Wettbewerb miteinander stehen, anstatt miteinander zu kooperieren oder eine sinnvolle Arbeitsteilung zu vereinbaren, fragmentiert dieses System noch weiter, anstatt ihm eine einheitliche Steuerung zu geben.
Global Governance, wohin?
Es ist unbestritten, dass angesichts der vielen Krisen auf der Welt eine einheitliche Steuerung der Weltwirtschaft wünschenswert wäre. Vor allem bei globalen Problemen, wie der Bekämpfung des Klimawandels, der Verbreitung von Atomwaffen, der Migration, der Seuchenbekämpfung, der grenzüberschreitenden Kriminalität und Drogenhandels, der Steuervermeidung reicher Personen und großer Unternehmen gibt es großen Handlungs- und Koordinierungsbedarf. Das Pariser Klimaabkommen 2015 war, trotz all seiner Unvollkommenheiten, ein Schritt in diese Richtung, dem allerdings keine ähnlichen weiteren Schritte in anderen Gebieten folgten. Die Zersplitterung der Geopolitik, der Kampf um die wirtschaftliche und ideologische Vorherrschaft auf der Welt, die zunehmende Bereitschaft, Probleme mit Gewalt zu lösen statt durch Verhandlungen, all dies schreit nach mehr Kooperation. Kooperation bedeutet jedoch auch die Akzeptanz anderer Wertvorstellungen anstatt der Durchsetzung des je eigenen Gesellschafts- und Wirtschaftsmodells, sowie adäquate Stimmrechte und Einflussmöglichkeiten bei gemeinsamen Institutionen. All dies fehlt schmerzhaft.
Aufgrund der zunehmenden Fragmentierung der Einzelinteressen der Länder und Blöcke ist die vielfach vorgeschlagene Möglichkeit, mit „like-minded“ (heißt „befreundeten“) Ländern je nach Sachgebiet gemeinsame Sache zu machen, mit der Zusicherung, später auch andere Länder „mitzunehmen“ illusorisch. Da gehen die Wertvorstellungen, die strategischen Ziele, zu weit auseinander, wie kürzliche Ereignisse dokumentieren.
Statt dessen könnten partielle Kooperationen auf der Basis „like-interested“ Länder eine pragmatische Lösung darstellen, wo Länder mit ähnlichen Interessen in einem Sachgebiet (zB Klimawandel und Biodiversität) auf Zeit Kooperationen vereinbaren – ohne dies von einem gemeinsamen „Wertekatalog“, wie er den „like-minded“ Befürwortern vorschwebt, abhängig zu machen. Dies bedeutet nicht, den Anspruch an die etwa in der UN Charta verbrieften Menschenrechte aufzugeben, erfordert jedoch, andere Gewichtungen und Interpretationen zu akzeptieren, anstatt die je „eigenen“ Ziele zur Voraussetzung von Kooperationen zu machen. Die globalen Probleme sind zu groß, als dass Länder nur mit ihnen Zugetanen kooperieren. Die Krisen sind so bedeutend, dass man auch mit ideologischen Gegnern sprechen muss, um zumindest Mindeststandards für akzeptable Lösungen zu finden. In einer Zeit zunehmender Fragmentierung ist dies die einzige Möglichkeit, gemeinsame Interessen zu definieren und Lösungswege zu vereinbaren. Ob es dabei Sanktionsmöglichkeiten für Nichterfüllung von Vereinbarungen geben kann/muss, ist sekundär, auch wenn dies natürlich die Effektivität solcher Vereinbarungen deutlich erhöhen würde. Aber man sieht auch schon jetzt, dass die Bereitschaft von Ländern, sich von „anderen“ sanktionieren zu lassen, nicht gegeben ist. Zur Zeit der weitgehend uneingeschränkten Dominanz der Weltwirtschaft durch die USA, bzw. die Zweiteilung der Welt im Kalten Krieg, konnten die Hegemone ihre Vorstellungen auch gegenüber unwilligen „Partnern“ durchsetzen, kraft ihrer wirtschaftlichen Macht. In einer Zeit mehrerer wirtschaftlicher Zentren, die etwa gleich stark sind, besteht diese Möglichkeit nicht mehr. Dagegen würde auch eine stärker demokratische und politische Legitimtät fordernde Entwicklung sprechen. Nicht einmal die Europäische Union, eine Gruppe von „like-minded“ Ländern (mit Ausnahmen) schafft es, ihre Mitgliedsländer effektiv zu sanktionieren – wie die kürzliche Freigabe von 100 Mrd € an Ungarn beweist, oder auch die schädliche Geschichte des Europäischen Stabilitäts- und Wachstumspaktes, dessen drakonische Sanktionen auf dem Papier in 20 Jahren kein einziges Mal zur Anwendunge gekommen sind.
Die Verschiebung der Gewichte in der Weltproduktion spricht eine deutliche Sprache gegen die weitere fast uneingeschränkte Dominanz der westlichen Industriestaaten in der Weltwirtschaft. Die Bedeutung der Energiewirtschaft, sowohl der fossilen als auch der erneuerbaren, spricht zugunsten der Öl- und Gasproduzenten und der Vorreiter bei Erneuerbaren und erklärt die viel stärkere Stellung der Staaten im Nahen Osten, aber auch die überraschende Resilienz Russlands trotz weitreichender Sanktionen. Wenn es aber um die Weltfinanzen geht, bleibt der US-Dollar trotz einiger gegenläufigen Trends weiterhin das Maß aller Dinge, gefolgt vom Euro. Der chinesischen Währung gelingen zwar kleinere Anteilsverschiebungen in den grenzüberschreitenden Handelsströmen (zuletzt größerer Anteil als der Yen), doch gelten die USA weiterhin als „safe haven“ für internationale Reserven, und zwar trotz der kürzlichen Sanktionen gegen Russland, Iran, aber auch China. Hier spielt vor allem die langfristige Entwicklung des USA-Kapitalmarktes die entscheidende Rolle, sowie die riesige Liquidität des Dollars und der US-Treasury Bonds, die auf mittlere Sicht von keinem anderen Land erreicht werden können. Auch wenn die BRICS-Staaten gerne eine eigene gemeinsame Währung hätten, die dem Dollar Paroli bieten könnte und sie von den Währungsschwankungen und politischen Einflüssen auf dessen Wechselkurs unabhängiger machten, zeigen die nur schleppende AAnteilsgewinne des chinesischen Renminbi, dass dafür viel mehr notwendig ist als hohe (wenn auch derzeit schwächelnde) BIP-Wachstumsraten. Die Stärke des Dollar verfestigt auch dessen führende Position, weil die meisten internationalen Finanzregeln, vor allem im Basel-Komitee, weiterhin von westlichen Interessen dominiert sind. SWIFT bleibt das dominierende System für grenzüberschreitende Finanzströme; der Versuch Chinas, ein eigenes System aufzubauen, ist weitgehend stecken geblieben.
Dennoch: die Weigerung der reichen westlichen Staaten, in den von ihnen dominierten internationalen Finanzinstitutionen erstens den aufstrebenden und den Entwicklungsländern mehr Stimmrechte (auf ihre Kosten) zu geben und – wichtiger – andere Modelle der Wirtschaftsentwicklung als jene der westlichen Länder zu akzeptieren, wird ein passiver „Abwehrkampf“ bleiben. Das neoklassische Wirtschaftssystem ist nicht nur durch die Finanz- und Wirtschaftskrise von vor 15 Jahren desavouiert, sondern ist auch aufgrund der von ihm erzeugten Umwelt-, Klima- und politischen Krisen, obsolet geworden. Die zunehmende soziale Kluft innerhalb und zwischen den Ländern lässt den gesellschaftlichen Zusammenhalt schrumpfen, das Vertrauen in die politischen Systeme verlorengehen, und führt zu mehr mit Gewalt ausgetragenen Konflikten. Diese Entwicklungen machen die baldige Institutionalisierung einer neuen einheitlichen globalen Steuerung der Weltwirtschaft unwahrscheinlich, so sehr diese aufgrund der überall sichtbaren Entwicklungen wünschenswert wäre. Wichtig wäre die Einsicht des Westens, dass sein lange Jahre für ihn erfolgreiches System obsolet geworden ist, und die multiple Krisenbekämpfung neue Wege erfordert, die allen Stimmen gleiches Gewicht gibt.
Relative Größe unterschiedlicher Gruppierungen
Gruppe Anteil am Welt-BIP Anteil Weltbevölkerung
BRICS PLUS 30% 46%
G-7 31% 9%
G-20 71% 87%
Anteil an globalen Währungsreserven
US$: 59% Euro: 20% Renminbi: 3% Yen: 5%
Anteil an Welthandelsfinanzierung
US$: 39% Euro: 37% Renminbi: 3% Yen: 3%
(Qu: SWIFT Data, https://www.statista.com/statistics/1189498/share-of-global-payments-by-currency/)