Category Archives: Global Governance

Steuerreform oder Systemwechsel

Im Rahmen der dieses Jahr von Brasilien geleiteten G-20 Gruppe (der 20 größten Volkswirtschaften der Welt, inklusive der EU) haben eben die Minister von 4 wichtigen G-20 Ländern, Brasilien, Südafrika, Deutschland und Spanien einen Vorschlag für eine 2%-ige Steuer auf die Vermögen der 3000 Milliardäre der Welt vorgelegt (https://www.theguardian.com/inequality/2024/apr/25/ministers-of-germany-brazil-south-africa-and-spain-why-we-need-a-global-tax-on-billionaires). Dies vor dem Hintergrund einer Oxfam-Studie , die zeigt dass sich die Einkommenslücke zwischen den höchsten und niedrigsten Einkommen in den letzten Jahren verdoppelt hat, dass zwischen 2020 und 2023 das Vermögen dieser Milliardäre um 3.3 Billionen $, das ist mehr als ein Drittel (!), zugenommen hat, sowie einer Weltbank-Studie, die zeigt, dass seit der Pandemie die früheren Erfolge bei der Verminderung exzessiver Armut der Weltb evölkerung zum Stillstand gekommen sind.

Eine solche weltweit koordinierte und implementierte Steuer könnte bis zu 250 Mrd $ im Jahr einspielen – etwa die Summe der im Vorjahr verursachten Umweltschäden – und für die Armutsbekämpfung, die Herstellung von sozialstaatlichen Institutionen und Klimafolgenbekämpfung eingesetzt werden. Der einschlägig ausgewiesene und anerkannte französische Ökonom Daniel Zucman soll bis zur nächsten Ministertagung im Juni Details für eine solche Steuer und deren Implementierung ausarbeiten.

Eine solche global vereinbarte Steuer sollte die 15%-ige Minimalsteuer für das Körperschaftseinkommen der Multinationalen Konzerne, sowie der Bestrebungen nach globalen Digitalsteuern ergänzen. Es könne nicht sein, dass die Reichsten nur 0.5% ihres Vermögenseinkommens an Steuer zahlten und damit die Gruppe mit der niedrigsten effektiven Steuerlast seien. Natürlich müßte mit einer solchen globalen Vermögensteuer das Verbot von Steuerverschiebungen in „Steueroasen“ Hand in Hand gehen, wodurch erst solche Steuervermeidungen möglich würden.

Die G-20 Minister (und Zucman) wissen natürlich, dass der Widerstand gegen die Einführung einer solchen Vermögensteuer groß sein wird, dass die Reichsten ihre beachtlichen politischen Einflußmöglichkeiten dagegen geltend machen werden. Aber Umfragen zeigen, dass weltweit mehr als 80% der Bevölkerung einer solchen Steuer zustimmen: diese Meinungsmacht gelte es, gegen die Lobbykraft einzusetzen.

Ein solcher Vorschlag wird, wenn er denn durchgesetzt werden kann, die massiv verzerrte Verteilung von Einkommen und Vermögen auf der Welt nur wenig beeinflussen, allerdings eine wichtige symbolische Wegmarke auf dem Weg dahin setzen, dass „die Welt“ diese grotesken Unterschiede im Reichtum nicht länger hinnehmen will, während die Armen in den Entwicklungsländern ( in geringerem Ausmaß aber doch auch in den reichen Ländern,) kaum ihr Leben fristen können, keine adäquate Gesundheitsversorgung und Bildung haben und die von den internationalen Geldgebern und Finanzinstitutionen aufgezwungene Austerity-Politik die Sozialausgaben zugunsten der Zinszahlungen shcrumpfen läßt. Eine Steuer ist immer nur eine „ex post facto“- Möglichkeit des Staatseingriffs, also nachdem diese Einkommen und Vermmögen angehäuft wurden. Viel wichtiger wäre es, das Wirtschaftssystem so zu ändern, dass solche exzessiv hohen Einkommen gar nicht erst entstehen. Dies erforderte jedoch ein grundsätzliches Umdenken und harte Kämpfe gegen den Einfluß des alles dominierenden Finanzsektors, welcher Renditen um die 15% fordert, gegen die Allmacht der Börsen, die kurzfristige Unternehmensentscheidungen (durch die Pflicht vierteljährlich Bericht zu erstatten und darauf hin die Unternehmensbewertung abzustellen) fördern, gegen die Plattformmonopole und die Wirtschaftsmacht der Multinationalen Unternehmen, und gegen die unfairen Handelsbeziehungen zwischen Industrie- und Rohstoffländern.

Bis ein solcher Systemwechsel erfolgen kann, ist jedoch die Utopie einer globalen Vermögensteuer für Milliardäre zweifellos wert, umgesetzt zu werden.

2 Comments

Filed under Crisis Response, Financial Market Regulation, Global Governance, Socio-Economic Development

Das EU-Lieferkettengesetz und seine Dimensionen

Die endgültige Entscheidung über das lange verhandelte LKG ist am 9.2.24 vertagt worden. Deutschland und Österreich hatten sich der Stimme enthalten, die notwendige qualifizierte Mehrheit (50% der Staaten mit 65% der EU Bevölkerung) war nicht in Sicht. Die belgische Ratspräsidentschaft will am 14.2. noch einmal abstimmen lassen.

Das LKG muss man auf mehreren Ebenen diskutieren:

1. Implementierung der ESG (einvornment, social, good governance) Gesetzgebung.
Dabei geht es darum, die verbalen Verpflichtungen der Länder, künftig ihre Unternehmen auf umwelt-, sozial- und good-governance Standards zu verpflichten, die die Länder vor Jahren eingegangen waren, zu konkretisieren.
Durch das LKG sollen Unternehmen mit mehr als 500 Mitarbeitern (wenn sie in „Krisenbranchen“ arbeiten mehr als 250 Mitarbeiter) verpflichtet werden, bei ihren Vorlieferanten bis hin zu den Rohstofflieferanten dafür zu sorgen, dass weder Kinder- noch Gefangenenarbeit in diesen Unternehmen geleistet wird, dass relevante Umweltstandards eingehalten werden und die Unternehmen moderne Geschäftsorganisation, Beschaffungsmethoden, etc. einhalten und relevante Berichte liefern können.

Damit sollen EU-Unternehmen sicher sein, dass nicht nur sie selbst, sondern alle ihre Lieferanten modernen Standards entsprechen. Damit soll auch Druck auf Unternehmen und ihre Lieferanten ausgeübt werden, Menschen- und Umweltrechte zu achten. Die EU-Unternehmen müssen neben den Berichten zur Lieferkette auch für sich selbst darlegen, wie sie die Pariser Umweltziele erreichen werden.

2. Die Zeitebene
Da geht es darum, ab 2026 sukzessive die Unternehmen zu verpflichten, einschlägige Berichte zu liefern. Bei Nichterfüllung können signifikante Sanktionen in Kraft treten.

Es geht also nicht darum, wie Gegner suggerieren, sofort neue Standards in Angriff zu nehmen, sondern dies schrittweise über mehrere Jahre zu implementieren, damit Unternehmen Zeit haben, sich auf diese neuen regulatorischen Erfordernisse einzustellen.

3. Die geopolitische Ebene

In den Diskussionen um eine zukünftige Weltordnung oder unordnungg werden die Größe einzelner Wirtschaften, ihre „Wettbewerbsfähigkeit“ (im konservativen Sprech ist damit preisliche Wettbewerbsfähigkeit gemeint, als relativ billiger als Konkurrenten anbieten zu können) als relevant für die „Macht“ einzelner Länder und Blöcke genannt. Viel häufiger wird argumentiert, dass zB die chinesische Wirtschaft durch ihre Raschheit bei neuen Produkten die später weltweiten Standards für Produkte durchsetzt und damit Wettbewerbsvorteile hat. Die Europäische Union, die in diesem Hegemonialwettbewerb üblicherweise als schwach oder irrelevant bezeichnet wird, hat jedoch etwa durch ihre DatenschutzGrundverordnungg oder die Regelungen für Künstliche Intelligenz weltweite Standards gesetzt, ebenso wie durch ihren CO2-Grenzausgleichsmechanismus (CBAM), der ab 2026 von Ländern, die Produkte mit niedrigeren Umweltstandards als in der EU in diese exportieren wollen, entsprechende Zölle einheben wird, um damit die Kostennachteile der EU-Produzenten auszugleichen. Mit solchen „Standardsetzungen“ gelingt es der EU, trotz schwacher militärischer Verteidigung, trotz ihrer schwierigen und langsamen Abstimmungsprozesse unter 27 Mitgliedern starke Präsenz auf internationalen Märkten zu zeigen, und andere Länder dazu anzuregen (oder zu zwingen) ähnliche Standards einzuhalten.

Gerade diese geopolitische Positionierung zeigt, dass die derzeitige Blockade von Österreich, Deutschland und anderen, die auf massives Lobbyring der Unternehmerverbände zurückgeht, gegenproduktiv und äußerst kurzsichtig ist. Abgesehen davon, dass diese Blockade bei vielen EU-Partnern Unmut über diese sehr späten Einwände hervorgerufen hat, nachdem beide Länder bei den zweijährigen Verhandlungen über Kompromisse mitgewirkt und damals keine Einwendungen eingebracht haben, ginge hier auch ein wichtiges „Alleinstellungsmerkmal“ europäischer Unternehmen verloren, welches sehr wohl neue Geschäftschancen ud Direkt-Investitionspotenziale für Europa eröffnen könnte. Von der „moralischen“ Verpflichtung unserer Unternehmen, die oft als Lippenbekenntnisse geäußerte Bedeutung der Einhaltung von menschenrechtlichen und ökologischen Standards endlich in die Praxis umzusetzen, ganz zu schweigen.

Dass damit neue Berichtspflichten auf die Unternehmen zukommen, die auch Kosten verursachen, bleibt unwidersprochen. Doch sind die geplanten Umsetzungsschritte nach den jahrelangen Verhandlungen und vielen Einwänden so gewählt, dass die Positive dieser wichtigen Initiative jedenfalls die Negativa übersteigen. Dafür haben Kommission, Parlament und die gemeinsamen Verhandlungen schon gesorgt.

1 Comment

Filed under Climate Change, European Union, Global Governance, Socio-Economic Development

Die entstehende multipolare Unordnung der Welt-Finanzen

Die Dominanz des Westens geht zu Ende

Die seit Ende des 2. Weltkrieges dominierende „regelbasierte liberale Weltordnung“ löst sich auf. Sie war vom „Westen“ (inklusive Japan) dominiert, schaffte internationale Finanzinstitutionen wie den Internationalen Währungsfonds, die Weltbank (und deren kleine Schwestern, die regionalen Entwicklungsbanken) und die Welthandelsorganisation GATT, später WTO, als Institutionen der globalen Wirtschaftssteuerung nach ihren eigenen Interessen. Durch diese Institutionen drückte sie das eigene ökonomische Weltbild fast der gesamten Welt auf. Bis zum Zerfall der Sowjetunion waren die darauf basierenden globalen Institutionen aufgrund des politischen Gleichgewichts im Kalten Krieg schwächer, entwickelten aber seither ab 1991 mehr Gewicht und Durchsetzungskraft. 

Der Internationale Währungsfonds kontrolliert mit seinen jährlichen „Artikel IV Überprüfungen“ die Wirtschaftsentwicklung seiner 190 Mitgliedsländer, verbindet im Fall, dass Länder kurzfristige Finanzhilfe vom Währungsfonds (seine statutarische Aufgabe) benötigen, diese mit den berüchtigten „Strukturanpassungsreformen“, die vor allem darauf ausgerichtet sind, dem (internationalen) Finanzsektor durch Liberalisierungen, Privatisierungen, und vor allem Reduzierungen der öffentlichen Ausgaben („Budgetkonsolidierung“) wie Abbau von Subventionen und Sozialausgaben, Raum für profitable Investitionen zu verschaffen („Washington Consensus“). Mit ähnlicher Zielsetzung geht die Weltbank vor, deren Aufgabe nicht kurzfristige Zahlungsbilanzhilfen wie beim IMF sind, sondern die langfristige Finanzierung der Entwicklung des jeweiligen Landes, basierend auf der Mitwirkung des Landes in den internationalen Wertschöpfungsketten durch einen ausgebauten Privatsektor und „effizienten“ (sprich kleinen) Staatssektor. Die Regeln der Welthandelsorganisation WTO zielen darauf ab, allen Teilnehmern ein „level playing field“ zu schaffen, den Freihandel durch den Abbau nationaler Subventionen und Zölle zu fördern unterlegt durch eine derzeit durch die USA ausgehebelte Streitbeilegungsfunktion bei Handelsstreitigkeiten. In den letzten Jahren häufen sich die bei der WTO eingebrachten Beschwerden über „unfaire Handelspraktiken“, ausgelöst durch die USA-Importerschwernisse für Stahl und andere Metalle, sowie durch China-Sanktionen. Zunehmend werden als (akzeptierte) Ausnahme von den Freihandelsregeln durch Länder „nationale Sicherheitsinteressen“ argumentiert, deren Abgrenzungen von eindeutigem Protektionismus („make my country great again“) äußerst schwammig ist. Dies führt dazu, dass seit der Welt-Finanzkrise 2008 die bis dahin deutlich höheren Zuwachsraten des Welt-Außenhandels gegenüber dem BIP-Wachstum Geschichte sind. Seither nehmen beide etwa gleich langsam zu, die damit einhergehende “Hyper-Globalisierung” scheint gebremst.

Bis zur von westlichen Finanzinstitutionen ausgelösten Welt-Finanz- und Wirtschaftskrise von 2008 ff. war dieses „Modell“ der Steuerung der Weltwirtschaft weitgehend unbestritten, obwohl von Seiten der Schwellen- und Entwicklungsländer immer wieder der Anspruch kam, in den  globalen Institutionen mehr Mitsprache und Einfluss über die eingeschlagene Richtung zu bekommen. Die USA verfügen seit Beginn dieser Institutionen (Konferenz von Bretton Woods 1944) über eine Sperrminorität (mehr als 15% Anteil) in IMF und Weltbank, die ihnen erlaubt, bei wichtigen Entscheidungen ein Veto einzulegen. (Auch die geografische Nähe dieser beiden Institutionen zum amerikanischen Finanzministerium garantiert die notwendige Abstimmung). Aber auch die EU-Länder verfügen gemeinsam über mehr als 20% der Stimmgewichte, stimmen jedoch üblicherweise nicht gemeinsam ab, sondern in ihren jeweiligen Stimmrechtsgruppen, die auch Nicht-EU-Länder enthalten. Wenn auch die europäischen Länder ihr überproportionales (gemessen an ihrem Anteil an der Welt-Wirtschaftsleistung) Stimmgewicht kaum entscheidend gemeinsam einbringen, sind sie doch mit den USA der gemeinsamen Meinung, keine Stimmgewichte, bzw. ihre Dominanz zugunsten aufstrebender Länder abzugeben. Diese Ungleichgewichte sind in den letzten Jahrzehnten besonders eklatant geworden als China, Indien, aber auch andere Länder deutlich stärker als die westlichen Länder gewachsen sind, und daher ihre Stimmrechte nicht länger den Intentionen der „Gründerväter“ entsprechen, diese in etwa gemäß ihrer wirtschaftlichen Stärke (gemessen am Bruttoinlandsprodukt) auszustatten. Darüber hinaus maßen sich die USA und die EU an, die Generaldirektor-Funktion in beiden Institutionen unter sich aufzuteilen: der Weltbankpräsident wird seit Beginn von den USA gestellt, der Managing Director des IMF von Europa.

Während die westlichen Industriestaaten lange Jahre weit über 50% der Welt-Wirtschaftsleistung stellten, sind es heute nur mehr ein Drittel. Während China lange Jahre niedrige einstellige Anteile hatte, produziert es heute etwa 18% des Welt-BIP, Indien etwa 4%, Brasilien und Korea etwas mehr als je 2%. Die USA liegen bei fast 20% (das alles gemessen In US-Dollar, wobei die Schwankungen der Wechselkurse eine große Rolle spielen). Um Unterschiede in der Kaufkraft bereinigt, liegen China und die anderen Schwellenländer deutlich höher, China sogar um etwa 3 Prozentpunkte vor den USA (18% vs. 15%, alles Daten des IMF). Dagegen haben die USA im Internationalen Währungsfonds ein Stimmgewicht von 16.5%, China (nach langwierig verhandelter „Reform“ vor zehn Jahren) 6%, Indien, Brasilien und Russland (derzeit suspendiert) je 2.6%. (Zum Vergleich: Österreich hat 0.8% der Stimmrechte bei einem Anteil am Welt-BIP von 0.4%).

„Wenn Ihr mich nicht in Eurer Sandkiste mitspielen lasst, dann mach ich mir meine eigene“.

Zusammen mit der gravierenden Veränderung der relativen Wirtschaftsleistung der Länder und dem Reputationsverlust des Westens aufgrund der Welt-Finanzkrise, die sein Wirtschaftsmodell als beispielhaft für die Welt geltend in deren Augen mit großen Zweifeln belegt, haben auch geopolitische Veränderungen die bestehende Weltwirtschaftsordnung geschwächt und verändert. Der Hegemonialstreit zwischen China und den USA, die imperialen Bestrebungen Russlands, der Zug zur Macht einzelner Länder im Nahen und Mittleren Osten (Saudi-Arabien, Iran, Türkei), aber auch die Expansion Chinas in Afrika, Lateinamerika und Asien, primär durch das Instrument der „Neuen Seidenstrasse“ zeigen, dass immer mehr Regionen und Länder nicht mehr bereit sind, dem Weg des Westens, dominiert durch die USA, zu folgen und damit seine geopolitische Macht zu festigen. Die Beschlagnahme von rund 300 Mrd $ an russischen Währungsreserven durch westliche Sanktionen nach der Invasion in die Ukraine haben zusätzlich die Präferenz vieler Länder der Welt, ihre Währungsreserven in westlicher Währung zu halten, beeinträchtigt, da die Gefahr sichtbar geworden ist, dass Währungsreserven als politische Waffe gegen unliebsame Länder eingesetzt werden können. Das schreckt eine zunehmende Anzahl von Ländern zurück. Eine ähnliche Rolle spielt der Ausschluss russischer Banken aus dem internationalen Referenz- und Informationssystem SWIFT, wodurch die Abwicklung russischer Exporte und Importe deutlich schwieriger wurde.

BRICS

Eine ganze Reihe von regionalen Zusammenschlüssen, prominent darunter etwa die Afrikanische Union, die Association of South-East Asian Nations ASEAN, Mercosur in Lateinamerika und aktuell auch die BRICS-Länder (Brasilien, Russland, Indien, China, Südafrika) und eine ganze Reihe anderer haben begonnen, ihre seit vielen Jahren bestehenden losen Wirtschafts-Zusammenschlüsse institutionell zu verstärken und damit, sowie auch viele einzelne Länder, ihre traditionellen Hinwendungen zu einzelnen Großstaaten, zu lockern, um ihre je eigenen Handlungsspielräume auszuweiten. Allerdings zeigen reale Entwicklungen, dass viele Länder sich schwer tun, sich einem der „großen Partner“ anzudienen, sondern lieber äquidistante Haltungen zu den Großen einnehmen wollen. Inwieweit die „Großen“ solche Ambivalenzen zulassen und/oder Druck auf einzelne Länder und Regionen ausüben, sich eindeutig zu positionieren, bleibt dahingestellt. Die kürzlichen Abstimmungen in der UNO Generalversammlung und im Sicherheitsrat zu den „Fällen“ Ukraine und Israel zeigen diese Ambivalenzen  klar auf.

Als Beispiel für die Strategie vieler Blöcke, größeren weltwirtschaftlichen und politischen Einfluß zu gewinnen, möge die rezente Entwicklung der BRICS-Länder dienen, die bei ihrem kürzlichen Gipfeltreffen in Südafrika sechs weiteren Staaten Mitgliedschaft verliehen haben: Äthiopien, Ägypten, Saudi-Arabien, Vereinigte Arabische Emirate, Argentinien (der neue Präsident hat inzwischen wieder abgesagt) und Iran. Viele weitere Staaten sind Mitglieder der New Development Bank, der Entwicklungsbank der BRICS, geworden, um von den bestehenden westlich dominierten Institutionen unabhängiger zu werden. Auch die China-dominierte Asian Infrastructure Investment Bank (AIIB), zwar nominell nach dem Modell der Weltbank konfiguriert, geht in diese Richtung. Erstaunlicher Weise sind diese neuen Entwicklungsbanken weitgehend nach dem Modell der Weltbank gestaltet (zwei ehemalige Weltbank-Chefökonomen, Nicholas Stern und Joseph Stiglitz haben die Statuten der New Development Bank entworfen). Es wäre zu vermuten und zu wünschen gewesen, dass diese Neuanfänge auch inhaltlich andere Richtungen eingegangen wären.

Die BRICS-Länder haben 2015 neben der New Development Bank auch das Contingent Reserve Arrangement ins Leben gerufen, welches IMF-ähnliche kurzfristige Zahlungsbilanzhilfen für seine Mitgleider zur Verfügung stellt: so wurde 2023 bereits ein Kredit an Zambia vergeben, nachdem der IMF aufgrund seiner Regeln dieses Land, welches „unsustainable“ Schulden aufweist, nicht mehr finanzieren konnte. Der IMF hat – nolens volens – diese Art der „Kooperation“ begrüßt. (Siehe dazu unter anderem https://www.globalcapital.com/globalmarkets/article/2cawcg24mmhvej23yglq8/the-brics-challenge-to-the-imf-from-within-and-without.)

BRICS Plus hat auch Ambitionen, neben ihren eigenen Institutionen die Stimmgewichte in IMF und Weltbank zu verändern, um auch hier ihren Einfluss vergrößern zu können. Auch haben die BRICS-Länder auf ihrem kürzlichen Gipfel in Johannesburg angekündigt, die Möglichkeit einer gemeinsamen Währung zu studieren, um den Einfluß des US-Dollars, des Euro, des britischen Pfund und des japanischen Yen zu reduzieren. Ein Schritt in diese Richtung ist bereits vor einigen Jahren China gelungen, seine Währung in den IMF-Währungskorb der sog. „Sonderziehungsrechte“ (SZR) einzubringen, wo der Renminbi nunmehr neben US Dollar, Euro, Pfund und Yen seit 2016 Teil dieses Währungskorbes ist, dessen Mittel als zusätzliche „Weltwährungsreserve“ in Sonderfällen den Mitgliedern zur Verfügung gestellt werden können. Derzeit gibt es eine Diskussion im IMF, die 650 Mrd $ an SZR, die 2021 neu generiert wurden, um diese nicht – wie üblich – je nach „Quoten“, die in etwa die Stimmgewichte spiegeln, zu verteilen. Statt dessen sollten die westlichen Industriestaaten die ihnen zustehenden Anteile den höchst verschuldeten Entwicklungsländern übertragen, um deren nicht tragfähige Schuldenlast zu verringern und ihnen damit wieder Zugang zu privaten Finanzmärkten und weiteren IMF Krediten) zu ermöglichen. Diese Diskussion ist derzeit noch nicht abgeschlossen, einige dieser Mittel sind in eine spezielle IMF-Fazilität geflossen.

Inwieweit die BRICS Plus ihrem Anspruch, die Stimme für alle Entwicklungsländer zu werden, gerecht werden können, ist abzuwarten. Gegeben diesen Anspruch ist die Zusammensetzung der neuen Länder etwas kurios, da zB keines der großen asiatischen Länder Mitglied ist, ebenso wenig Afrikas größte Volkswirtschaft Nigerien. Der kürzlichen Erweiterung sind lange interne Diskussion vorausgegangen. China war grundsätzlich dafür, um seinen und BRICS’ Einfluß in der Weltwirtschaft zu erhöhen, andere (Indien und Südafrika) genau aus diesem Grund dagegen, um den ohnehin großen Einfluss Chinas in dieser Organisation nicht noch weiter zu stärken.

G-20

Kurz nach der BRICS-Erweiterung und ihrem Anspruch, die Stimme für den Globalen Süden zu sein, hielten die G-20 Länder  (Australien, Saudi Arabien, Canada, United States, Indien, Russland, Türkei, Südafrika, Brasilien, Argentinien, Mexiko, Frankreich, Italen, Großbritannien, Deutschland, China, Indonesien, Japan, South Korea, Europäische Union and neu dazu Afrikanische Union) ihr Jahrestreffen in Indien ab. Trotz Differenzen zur Beurteilung des Russlandkrieges in der Ukraine schafften es die G-20, ein gemeinsames Kommuniqué zu veröffentlichen, in welchem die russische Aggression zwar nicht verurteilt wurde, aber doch das unveräußerliche Recht auf bestehende Grenzen bekräftigt wurde. Die Neuaufnahme der Afrikanischen Union zeigt auf, dass der Anspruch der G-20, in den globalen Diskussionen um eine Neuordnung der Weltwirtschaftlichen Steuerung eine wichtige Rolle spielen zu können, da sie sowohl Schwellenländer als auch Industrieländer als Mitglieder haben und durch die Afrikanische Union auch eine gewichtige Stimme für die afrikanischen und anderen Entwicklungsländern spielen könnten.  Die G-20 spielten vor allem im Anschluss an die 2008 Weltwirtschaftskrise eine wichtige koordinierende Rolle, versanken dann weitgehend in der Versenkung, tauchen aber jetzt verstärkt wieder auf. Allerdings zeigen die dortigen Verhandlungen, dass zwischen einzelnen Ländern gravierende Interessen- und Auffassungsunterschiede zu globalen Fragen bestehen, deren gemeinsame Lösung Voraussetzung für eine stärkere Rolle der G-20 wäre.

G-7

Dies lässt die lange herrschende Gruppe der G-7 Länder (USA, Vereinigtes Königreich, Japan, Kanada, Frankreich, Deutschland, Italien, Europäische Union) in neuem  Licht erscheinen. Die Herausbildung anderer Gruppen mit Universalanspruch auf regionaler oder globaler Ebene oder als „Fürsprecher“ von Ländergruppen, zusammen mit der Bürde der Finanzkrise, sowie dem wirtschaftlichen Aufschwung anderer Länder und den geopolitischen Verwerfungen führt zu einem Rückzugsgefecht der G-7. Nur etwas mehr als 30% des GDP, nur mehr 9% der Weltbevölkerung, schwächen die Legitimation, für die gesamte Welt zu sprechen. Die BRICS-Länder (inklusive der neuen) sind wirtschaftlich etwa gleich groß, haben jedoch 46%  der Weltbevölkerung. Die G-20-Länder vereinen 71% des Welt-BIP und 87% der Weltbevölkerung.

Die finanzielle Stärke einer Gruppierung, eines Landes, zeigt sich jedoch einerseits in dem Anteil der Welt-Währungsreserven, die in dieser Währung angelegt sind und im Anteil des Welthandels, der in dieser Währung fakturiert wird. Hier spielt der US-Dollar weiterhin eine überragende Rolle: 60% des Weltwährungsreserven sind (trotz Beschlagnahme der russischen Reserven) in US $ angelegt, 20% in Euro, 5% in Yen und nur 3% in Renminbi. An der Welthandelsfinanzierung ist der Dollar  mit knapp 40% beteiligt, der Euro mit 37%, Pfund und Yen mit je 5.5%, der Renminbi nur mit 3%, wobei jedoch letzterer Anteil deutlich steigt, da China mit seinen Nachbarn zunehmend Renminbi-Finanzierung vereinbart – auch um seine internationale Position zu stärken (SWIFT Data, https://www.statista.com/statistics/1189498/share-of-global-payments-by-currency/).

Faktum ist, dass diese Anteilsentwicklungen nicht das Resultat rein ökonomischer Verschiebungen im weltwirtschaftlichen Gefüge sind, sondern von allen Seiten stark politisch beeinflusst werden: seien es die dominierende Position des Westens in den Bretton Woods Institutionen IMF und Weltbank, seien es die teilweise präferenziellen Finanzierungen Chinas im Rahmen der Neuen Seidenstrasse, deren Konditionen für die Weltöffentlichkeit nicht offengelegt sind und deren Nachwirkungen durch die In-Besitznahme der finanzierten Gewerke (zB Häfen, Brücken, Eisenbahnen) bei Zahlungsunfähgkeit der Rezipientenländer (forcierte “debt-equity swaps”) große Auswirkungen auf die Wirtschaftspolitik dieser Länder haben.

Die Formierung neuer regionaler oder inhaltlicher Gruppen, die jeweils den Anspruch stellen, bei der globalen Steuerung der Weltwirtschaft eine wichtige Rolle zu spielen, dabei aber oftmals im Wettbewerb miteinander stehen, anstatt miteinander zu kooperieren oder eine sinnvolle Arbeitsteilung zu vereinbaren, fragmentiert dieses System noch weiter, anstatt ihm eine einheitliche Steuerung zu geben. 

Global Governance, wohin?

Es ist unbestritten, dass angesichts der vielen Krisen auf der Welt eine einheitliche Steuerung der Weltwirtschaft wünschenswert wäre. Vor allem bei globalen Problemen, wie der Bekämpfung des Klimawandels, der Verbreitung von Atomwaffen, der Migration, der Seuchenbekämpfung, der grenzüberschreitenden Kriminalität und Drogenhandels, der Steuervermeidung reicher Personen und großer Unternehmen gibt es großen Handlungs- und Koordinierungsbedarf. Das Pariser Klimaabkommen 2015 war, trotz all seiner Unvollkommenheiten, ein Schritt in diese Richtung, dem allerdings keine ähnlichen weiteren Schritte in anderen Gebieten folgten. Die Zersplitterung der Geopolitik, der Kampf um die wirtschaftliche und ideologische Vorherrschaft auf der Welt, die zunehmende Bereitschaft, Probleme mit Gewalt zu lösen statt durch Verhandlungen, all dies schreit nach mehr Kooperation. Kooperation bedeutet jedoch auch die Akzeptanz anderer Wertvorstellungen anstatt der Durchsetzung des je eigenen Gesellschafts- und Wirtschaftsmodells, sowie adäquate Stimmrechte und Einflussmöglichkeiten bei gemeinsamen Institutionen. All dies fehlt schmerzhaft.

Aufgrund der zunehmenden Fragmentierung der Einzelinteressen der Länder und Blöcke ist die vielfach vorgeschlagene Möglichkeit, mit „like-minded“ (heißt „befreundeten“) Ländern je nach Sachgebiet gemeinsame Sache zu machen, mit der Zusicherung, später auch andere Länder „mitzunehmen“ illusorisch. Da gehen die Wertvorstellungen, die strategischen Ziele, zu weit auseinander, wie kürzliche Ereignisse dokumentieren.

Statt dessen könnten partielle Kooperationen auf der Basis „like-interested“ Länder eine pragmatische Lösung darstellen, wo Länder mit ähnlichen Interessen in einem Sachgebiet (zB Klimawandel und Biodiversität) auf Zeit Kooperationen vereinbaren – ohne dies von einem gemeinsamen „Wertekatalog“, wie er den „like-minded“ Befürwortern vorschwebt, abhängig zu machen. Dies bedeutet nicht, den Anspruch an die etwa in der UN Charta verbrieften Menschenrechte aufzugeben, erfordert jedoch, andere Gewichtungen und Interpretationen zu akzeptieren, anstatt die je „eigenen“ Ziele zur Voraussetzung von Kooperationen zu machen. Die globalen Probleme sind zu groß, als dass Länder nur mit ihnen Zugetanen kooperieren. Die Krisen sind so bedeutend, dass man auch mit ideologischen Gegnern sprechen muss, um zumindest Mindeststandards für akzeptable Lösungen zu finden. In einer Zeit zunehmender Fragmentierung ist dies die einzige Möglichkeit, gemeinsame Interessen zu definieren und Lösungswege zu vereinbaren. Ob es dabei Sanktionsmöglichkeiten für Nichterfüllung von Vereinbarungen geben kann/muss, ist sekundär, auch wenn dies natürlich die Effektivität solcher Vereinbarungen deutlich erhöhen würde. Aber man sieht auch schon jetzt, dass die Bereitschaft von Ländern, sich von „anderen“ sanktionieren zu lassen, nicht gegeben ist. Zur Zeit der weitgehend uneingeschränkten Dominanz der Weltwirtschaft durch die USA, bzw. die Zweiteilung der Welt im Kalten Krieg, konnten die Hegemone ihre Vorstellungen auch gegenüber unwilligen „Partnern“ durchsetzen, kraft ihrer wirtschaftlichen Macht. In einer Zeit mehrerer wirtschaftlicher Zentren, die etwa gleich stark sind, besteht diese Möglichkeit nicht mehr. Dagegen würde auch eine stärker demokratische und politische Legitimtät fordernde Entwicklung sprechen. Nicht einmal die Europäische Union, eine Gruppe von „like-minded“ Ländern (mit Ausnahmen) schafft es, ihre Mitgliedsländer effektiv zu sanktionieren – wie die kürzliche Freigabe von 100 Mrd € an Ungarn beweist, oder auch die schädliche Geschichte des Europäischen Stabilitäts- und Wachstumspaktes, dessen drakonische Sanktionen auf dem Papier in 20 Jahren kein einziges Mal zur Anwendunge gekommen sind.

Die Verschiebung der Gewichte in der Weltproduktion spricht eine deutliche Sprache gegen die weitere fast uneingeschränkte Dominanz der westlichen Industriestaaten in der Weltwirtschaft. Die Bedeutung der Energiewirtschaft, sowohl der fossilen als auch der erneuerbaren, spricht zugunsten der Öl- und Gasproduzenten und der Vorreiter bei Erneuerbaren und erklärt die viel stärkere Stellung der Staaten im Nahen Osten, aber auch die überraschende Resilienz Russlands trotz weitreichender Sanktionen. Wenn es aber um die Weltfinanzen geht, bleibt der US-Dollar trotz einiger gegenläufigen Trends weiterhin das Maß aller Dinge, gefolgt vom Euro. Der chinesischen Währung gelingen zwar kleinere Anteilsverschiebungen in den grenzüberschreitenden Handelsströmen (zuletzt größerer Anteil als der Yen), doch gelten die USA weiterhin als „safe haven“ für internationale Reserven, und zwar trotz der kürzlichen Sanktionen gegen Russland, Iran, aber auch China. Hier spielt vor allem die langfristige Entwicklung des USA-Kapitalmarktes die entscheidende Rolle,  sowie die riesige Liquidität des Dollars und der US-Treasury Bonds, die auf mittlere Sicht von keinem anderen Land erreicht werden können. Auch wenn die BRICS-Staaten gerne eine eigene gemeinsame Währung hätten, die dem Dollar Paroli bieten könnte und sie von den Währungsschwankungen und politischen Einflüssen auf dessen Wechselkurs unabhängiger machten, zeigen die nur schleppende AAnteilsgewinne des chinesischen Renminbi,  dass dafür viel mehr notwendig ist als hohe (wenn auch derzeit schwächelnde) BIP-Wachstumsraten. Die Stärke des Dollar verfestigt auch dessen führende Position, weil die meisten internationalen Finanzregeln, vor allem im Basel-Komitee, weiterhin von westlichen Interessen dominiert sind. SWIFT bleibt das dominierende System für grenzüberschreitende Finanzströme; der Versuch Chinas, ein eigenes System aufzubauen, ist weitgehend stecken geblieben.

Dennoch: die Weigerung der reichen westlichen Staaten, in den von ihnen dominierten internationalen Finanzinstitutionen erstens den aufstrebenden und den Entwicklungsländern mehr Stimmrechte (auf ihre Kosten) zu geben und – wichtiger – andere Modelle der Wirtschaftsentwicklung als jene der westlichen Länder zu akzeptieren, wird ein passiver „Abwehrkampf“ bleiben. Das neoklassische Wirtschaftssystem ist nicht nur durch die Finanz- und Wirtschaftskrise von vor 15 Jahren desavouiert, sondern ist auch aufgrund der von ihm erzeugten Umwelt-, Klima- und politischen Krisen, obsolet geworden. Die zunehmende soziale Kluft innerhalb und zwischen den Ländern lässt den gesellschaftlichen Zusammenhalt schrumpfen, das Vertrauen in die politischen Systeme verlorengehen, und führt zu mehr mit Gewalt ausgetragenen Konflikten. Diese Entwicklungen machen die baldige Institutionalisierung einer neuen einheitlichen globalen Steuerung der Weltwirtschaft unwahrscheinlich, so sehr diese aufgrund der überall sichtbaren Entwicklungen wünschenswert wäre. Wichtig wäre die Einsicht des Westens, dass sein lange Jahre für ihn erfolgreiches System obsolet geworden ist, und die multiple Krisenbekämpfung neue Wege erfordert, die allen Stimmen gleiches Gewicht gibt.

Relative Größe unterschiedlicher Gruppierungen

Gruppe                Anteil am Welt-BIP      Anteil Weltbevölkerung

BRICS PLUS             30%                           46%

G-7                              31%                                 9%

G-20                            71%                               87%

Anteil an globalen Währungsreserven

US$: 59%      Euro: 20%      Renminbi: 3%       Yen: 5%

Anteil an Welthandelsfinanzierung

US$: 39%      Euro: 37%         Renminbi: 3%       Yen: 3%  

(Qu: SWIFT Data, https://www.statista.com/statistics/1189498/share-of-global-payments-by-currency/)

Leave a comment

Filed under Crisis Response, Global Governance, Socio-Economic Development

Wie die Ukraine finanzieren?

In der vorletzten Woche vor Weihnachten musste die Ukraine zwei schwere Finanzierungsniederlagen einstecken: sowohl in den USA wie in der EU konnten die Zusagen der jeweiligen Exekutiven (Präsident, bzw. EU-Kommision) von insgesamt etwa 115 Mrd $ nicht die notwendigen Zustimmungen (von Parlament und Rat) erhalten. Beide „Regierungen“ machen auf Optimismus, dass später die Zustimmung kommen wird. Dies bleibt abzuwarten.

Die Ukraine ist in schwierigster Finanzlage, sowohl ihre Bevölkerung als auch den Krieg zu finanzieren. Angeblich sind ihre Steuereinnahmen auf ein Drittel des Vorkriegseinnahmen gesunken aufgrund der Folgen des Krieges. Sowohl viele Unternehmungen produzieren nicht mehr (voll), viele Beschäftigte sind eingezogen, emigriert oder arbeitslos. Die Ukraine ist massiv auf die Finanzhilfen des „Westens“ angewiesen.

Jetzt poppt die Diskussion wieder auf, ob nicht die aufgrund der Sanktionen im Westen befindlichen (primär in der EU) Währungsreserven Russlands im Ausmass von etwa 300 Mrd $ auch zur Finanzierung der Ukraine herangezogen werden sollten. Bisher sind die westlichen Länder vor diesem Schritt zurückgeschreckt, da die Meinung vorherrscht, dass dies mit den international gültigen Regeln nicht vereinbar sei, und der Westen – als selbsternannter Hüter des Internationalen Rechts – sich nicht auf das Niveau Russlands begeben will. Als eine rechtlich akzeptable (?) Möglichkeit wurde bisher angesehen, zumindest die Veranlagungsgewinne der russischen Währungsreserven verwenden zu können, und das Kapital selbst unangetastet zu lassen. Die derzeitige Notsituation scheint jedoch diese rechtlichen Fronten etwas aufzuweichen. Es wird nach Möglichkeiten gesucht, rechtlich mögliche Auswege zufinden, um doch auf die russischen Reserven zugreifne zu können. Zyniker meinen, dass Juristen immer in der Lage wären, Schlupflöcher zu finden, wenn die Notwendigkeit es gebiete. Sicher ist jedoch, dass jeder Zugriff auf die russischen Reserven, sowohl auf die Zinsgewinne als auch auf die Reserven selbst, auf internationaler Ebene angegriffen werden wird: Rechtsanwälte könnten Jahre von den Honoraren leben.

Es geht jedoch nicht nur um die Legalität eines solchen Präzedenzfalles, auch um Politisches und Ökonomisches. Die Beschlagnahme der russischen Reserven hat bereits bei vielen Ländern, die gerne ihre Reserven in den USA oder Europa veranlagen, zu schweren Bedenken geführt, dass diese, sobald das Land „unliebsam“ würde, als polit-ökonomische Waffen eingesetzt werden könnten, also der Westen seinen lang erworbenen Ruf als “safe haven“ verlieren könnte. Die Zahlen der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich in Basel zeigen erste Verschiebungen in den Veranlagungen zu Ungunsten des noch immer weit dominierenden Dollars. Eine über die Beschlagnahme hinausgehende Verwendung ausländischer (russischer) Reserven würde zweifellos diese Verschiebungen beschleunigen.

Auch politisch lauern Gefahren. In der gegenwärtigen Situation, wo die USA und China um hegemonialen Einfluss ringen und jeweils Bundesgenossen um sich scharen, wo auch die Welt-Finanzkrise von 2008 und folgende den Ruf des westlichen Wirtschaftsmodells als „role model“ für die Welt schwer beschädigt hat, wo die allermeisten der Entwicklungs- und Schwellenländer in der UNO nicht für die Verurteilung Russlands gestimmt haben, wo auch innerhalb der USA und der EU und Europas der viel beschworene Zusammenhalt immer brüchiger wird, helfen solche „robusten“ Sanktionen keinesfalls, den Ruf der „liberalen, regelbasierten“ Weltordnung (früher vom Westen dominiert) in die Welt zuz tragen.

Moralisch ist klar, dass der Aggressor Russland zumindest für den Wiederaufbau der Ukraine mitzahlen muss, dass dies nicht allein dem Westen überlassen werden kann. Die Ukraine selbst – mit einer Vorkriegswirtschaft im Ausmass der Hälfte der österreichischen, etwa 200 Mrd €, wird dazu jedenfalls nicht in der Lage sein, zieht man die Zerstörungen der Infrastruktur, der Unternehmen, der sozialen Infrastruktur wie Schulen und Krankenhäuser, in Betracht. Und: der Krieg ist ja nocht nicht zu Ende, die Zerstörungen werden weitergehen, Soldaten und Zivilisten werden getötet. Dazu ist unsicher, wie viele der Millionen Emigrierten nach Kriegsende zurückkehren werden.

Die Diskussionen innerhalb der G-7 Gruppe über die mögliche Verwendung der konfiszierten russischen Währungsreserven sollten rasch vorangetrieben werden. In wenigen Monaten wird die Aggression Russlands zwei Jahre alt sein. Das Leid der ukrainischen und teilweise auch der russischen Bevölkerung ist enorm. Die neue Bereitschaft der EU, mit der Ukraine „Gespräche“ über die EU-Mitgliedschaft zu führen, hilft der Ukraien zwar symbolisch, jedoch nicht finanziell. Aber vielleicht kann die EU damit mehr Einfluss auf die Ukraine und Russland gewinnen, Verhandlungen über einen Waffenstillstand zu beginnen.

7 Comments

Filed under Crisis Response, European Union, Global Governance, Socio-Economic Development

The Global Governance Conundrum: G-7, G-20, BRICS

Global governance has deteriorated during the past decades. The leadership by G-7 countries has been challenged by the rise of China and India, and a number of other countries. Regional groupings, like the African Union, ASEAN, Mercosur, and BRICS – plus a multitude of other groupings so far have not been successful in making their interests and voices heard on the global scene. The hegemonial battle between „upstart“ China and the established United States, with other countries, like India (now with the largest population) also attempting to represent their own interests more strongly have led to a „multi-polar“ world which threatens to descend into „my country first“ attitudes on all sides and, possibly, into chaos with violent outcomes.

In this situation, it makes sense to look at the emergence of a small number of possible actors on the global scale, challenging the established power of the G-7.

At the recent BRICS Summit in South Africa, the original 5 BRICS countries (Brazil, Russia, India, China and South Africa) added 6 additional member states (Ethiopia, Egypt, Saudi Arabia, United Arab Emirates, Argentina and Iran) to their membership. Many more have joined the development bank of BRICS. BRICS plus claim to represent the Global South and aim to advance the South’s interests in global negotiations. The expansion was contested for a long time: some countries, like China, were in favor in order to represent a more potent power, some were against, mainly in order not to advance China, the by far largest economy, to its self-claim to speak for all emerging and developing countries. Membership does not follow any discernible pattern: for instance, none of the other important Asian countries is represented, in Africa Nigeria, the largest economy is left out. Still, the new BRICS + is, if they can agree among themselves, a more powerful voice of the non-industrialized countries. Whether this grouping sees itself as antagonistic to the „West’s“ global leadership, is also contested, as some of its members lean towards the US, some more towards China, and most aim to find a tightrope-thin role between these two antagonists for global leadership.

Soon afterwards, the G-20 group of the world’s largest economies (Australia, Saudi Arabia, Canada, United States, India, Russia, Turkey, South Africa, Brazil, Argentina, Mexico, France, Italy, Great Britain, Germany, China, Indonesia, Japan, South Korea, European Union and new African Union) held their meeting in India, where again Putin and Xi were not present in person. Still, a joint communique was agreed by all, while not dondemning Russia’s invasion of Ukraine outright, reiterated the invioalability of sovereign borders. The 19 individual G-20 countries plus the European and the African Union could, if they agreed on joint positions, play a significant role in gobal governance issues. In a book chapter on global governance in 2008 I had attributed, following in the footsteps of my friend Johannes Linn, hope that the G-20 could assume the leadership role in important governance issues. For better or worse, the importance of G-20 has waned, after giving hope to a forceful mechanism negotiating globally important decisions after their inception after the financial crisis. Its recent re-emergence might make it a formidable global governance institution, if it manages to overcome its inherently different interests.

As an important grouping this leaves the G-7 (United States, United Kingdom, Japan, Canada, France, Germany, Italy plus the European Union) which for a long time assumed the role of deciding global issues. While for a long time combining more than 50% of global GDP, it decided many important questions in the Bretton Woods Institutions and beyond. However, today its economic power, while still growing in absolute terms, has been reduced to a share in global GDP of little more than 30% (with less than 10% of world population); this is roughly the same share as that of the BRICS + (with arond 1/3 of world population). The G-20 comprises around 80% of global GDP and 2/3 of world population. However, the fact that the G-7 did not allow adequate voting share, and thus influence on the direction of the institutions, to emerging countries in the IMF, the World Bank, the WTO, in the eyes of the Global South it has disqualified itself as a credible global governance institution. Today, its exclusive membership of hihgly industrialized countries is no longer accepted, however grudgingly, by emerging and developing countries.

The fact that the G-20 has added the African Union to its members should give it more clout in international negotiations, if they manage joint positions. It could be even more „representative“ and possibly stronger, if the individual EU member states gave up their seats to a joint EU chair. At the present time of each country promoting its own interests, also at the expense of a larger grouping, this seems as unrealistic as having a single EU chair in the Bretton Woods Institutions.

The financial press has hailed the recent G-20 meeting and especially the fact that the members were able to agree a joint communiqué as a major success. However, as we say in German „one swallow alone does not make summer“, there are reasonable doubts that this „success“ will not be sustainable – as the past has proven. Still, the G-20 is the only „South-North“ grouping of any size which could potentially assume a global governance role, growing ever more urgent as the climate crisis, pandemic threats, wars of all kinds and the stability and future of the world economy creat ever more problems for the world.

In general, there is a lot of evidence that global governance institutions based on regional or common-interest-determined memberships can be more effective than those based on individual country memberships. While regional groupings are easy to define, common-interest-determined groupings would be more temporary and have different memberships, depending on the issue at hand. While we often speak of „like-minded“ groupings, presupposing a similar acceptance of basic citizens rights and „values“, a more realistic approach would accept that on issues like trade, like nature preservation and climate, like trafficking, like tax evasion – and others, countries have varying interests. This would determine the ad-hoc membership in „common interest groups“. Such groups could be started by some countries, with membership always open to newcomers, develop time-dependent governance structures and content and, hopefully, implementation and monitoring mechanisms. The difficult task of how compliance in such voluntary groups can be assured, needs to be answered by the members.

1 Comment

Filed under article in english, Crisis Response, Financial Market Regulation, Global Governance, Socio-Economic Development