Wirtschaftspolitische Diskussionspunkte für die Europawahl.


Für das Wohlbefinden der europäischen, natürlich auch der österreichischen, Bürgerinnen und Bürger (und all der anderen, die hier wohnen), ist die kommende Europawahl, also Wahl zum Europäischen Parlament, wichtiger als Nationalratswahlen. In der österreichischen politischen Debatte wird dies bislang fast ausschließlich durch den Fokus auf die Namen der „Spitzenkandidaten“ der Parlamentsparteien für die Europawahl bestritten. Zu den von diesen KandidatInnen (bisher sind nur Männer bekannt) vertretenen Positionen zu den Inhalten der künftigen Europapolitik ist bisher fast nichts durchgedrungen. Die Position der FPÖ, gegen fast alles zu sein, was über den Rückbau der EU auf eine Zollunion hinausgeht, ist bekannt. Der neu ernannte ÖVP-Kandidat Lopatka hat die üblichen Schlagworte von der Migration (Asylverfahren an der Außengrenze), gegen „Schuldenunion“ und gegen „Diktat der Straße“, sprich Klimakleber als Verhinderer einer Industriepolitik verkündet. Darüber hinaus hat er die deplatzierte Aussage gemacht, „möglichst viel für Österreich herausholen“ zu wollen. Wirklich? Ist die EU ein externer Lottotopf, aus dem die einzelnen Mitgliedstaaten möglichst viel herausholen wollen? Sind wir nicht alle selbst die EU, die dort für mehr als 450 Millionen Menschen künftige Wirtschaft und Gesellschaft gestaltet? Wenn jeder nur „möglichst viel herausholen will“, wo bleibt dann der Sinn der Veranstaltung, der Sinn fürs Ganze, die Verantwortung der einzelnen ParlamentarierInnen für das Wohl und Wehe Europas?

Die Positionen von SPÖ, Grünen und Neos für die Europawahl bleiben bisher im Dunkeln.

Dabei stünde es den Wahlkämpfern gut an, sich mit den brennenden Probleme der EU auseinander zu setzen. Dazu gehört zB die Frage, wie es mit dem EU-Budget weitergeht: zwar ist der Rahmen bis 2027 vereinbart, doch zeigt zumindest die Ukraine-Krise und deren Finanzierung sowie die Zusage zum EU-Beitritt auf, dass das Budget nicht reichen wird und anläßlich der Midterm Review neu zu verhandeln ist. Dies wirft auch die grundsätzliche Frage der Neustrukturierung des EU-Budgets auf, die Frage zusätzlicher Eigenmittel, die Frage wer in Zukunft Nettozahler und Nettoempfänger sein wird, die Frage der sektoralen Aufteilung der zu verteilenden Mittel, und vieles andere mehr, wie auch die EU-gemeinsame Aufnahme von Mitteln („Schuldenunion“).

Die Frage, wie das Lieferkettengesetz, welches die großen EU-Unternehmen verpflichtet, in ihren gesamten Lieferketten für die Einhaltung von arbeits- und umwelt/klimabedingten Standards zu sorgen, umzusetzen sein wird, wird eben noch zwischen Kommission, Rat und Parlament verhandelt. Dies steht ebenso an, wie die Frage wie die geplanten neuen EU-Außenzölle, die garantieren sollen, dass die EU-Industrie nicht durch Importe aus weniger umweltbewußten Ländern unterlaufen wird, implementiert werden kann: derzeit gibt es eine Pilotphase, offen ist noch, ab wann dies allgemein anwendbar sein wird (2026?). Als erste Branchen werden Stahl, Zement, Aluminium, Dünger, Wasserstoff und Energie betroffen sein; aber: welche Meßwerte werden herangezogen – und vor allem die politische Frage ist offen, wie das mit den potenziellen Exportländern und der Welthandelsorganisation möglichst glatt (dh ohne riesige Rechtsstreitigkeiten) abgestimmt werden kann. Sich auf einen „Protektionismuskrieg“ einzulassen, wie er vor hundert Jahren als Weisheit letzter Schluß der Wirtschaftspolitik zur größten Krise geführt hat, kann nicht sinnvoll sein, so lobenswert diese Maßnahmen sind.

Die Frage, ob die von Kommission und Rat genehmigte Neu-Inkraftsetzung des Stabilitäts- und Wachstumspaktes, die dem eigentlichen Reformziel, diesen einfacher und investitionsfreundlicher zu machen, nicht gerecht wird, und ob dies so vom Parlament so akzeptiert werden soll, ist offen. Dabei geht es um ganz wichtige wirtschaftspolitische Weichenstellungen, die die EU-Wirtschaft gegenüber ihren Konkurrenten benachteiligt, die notwendigen Klima- und anderen Investitionen behindert und intern durch wieder drohende „Austerität“ weitere Verwerfungen im gesellschaftlichen Zusammenhalt hervorruft. Das mit „ich gegen Schuldenunion“ abzutun, ist hanebüchen und ökonomisch gegenproduktiv.

Nichts Genaues hört man von den Kandidaten zum EU-Dauerthema „Herstellung der Finanzmarktunion“. Angesichts der Verheerungen, die die ungebremste Expansion der Finanzmärkte weltweit angerichtet hat, klingt dies eher wie eine Drohung. Schon besser wäre die Verwirklichung der noch immer unvollständigen „Bankenunion“, weil man mit den Banken eine stärkere Verbindung zwischen Kreditnehmer und -geber hat, und deren Kontrolle durch die Finanzmarktaufsichtsbehörden (trotz starker Gegenwehr der Banken) jedenfalls leichter und effektiver ist als jene von anonymen Finanzmarktakteuren (als Beispiel siehe die unsägliche Diskussion um private Kryptowährungen, deren gesellschaftlicher Nutzen negativ ist).

Die Frage der Beschleunigung des Green Deal, und wie es mit dem innovativ finanzierten Recovery and Reconstructions Fund nach dessen Auslaufen 2026 weitergehen soll (“Schuldenunion”?) gehört ebenfalls diskutiert, die einzelnen Positionen erklärt.

Zu all diesen – und einer Reihe anderer – wirtschaftspolitischen Fragen braucht es eine öffentliche Diskussion, um der Bevölkerung die Positionen der einzelnen Parteien vor der Wahl klar zu machen.

Eine solche öffentliche Diskussion wäre nicht nur für die Parlamentswahl, sondern auch für die Positionen der Regierung im Europäischen Rat notwendig. Diese werden bisher im Stillen Kämmerlein erarbeitet, ohne Mitwirkung von Parlament und Bevölkerung. Mehr Diskussion über Europa statt Konzentration auf einzelne Personen würde auch die traurig niedrigen Zustimmungsraten der österreichischen Bevölkerung zur EU (letztes Eurobarometer 42%) erhöhen. Die Europäische Union ist unser aller Schicksal. Sie zu gestalten ist die Aufgabe von Parlament, Rat und Kommission. Diese Gestaltungsaufgabe in allen Institutionen wahrzunehmen, dort die unterschiedlichen Interessenstandpunkte zu vertreten, um die für die Europäische Gesellschaft besten Lösungenzu erreichen, muss das Anliegen aller dorthin von Österreich entsandten Politiker sein. Dazu benötigen sie als Legitimation die Zustimmung (nach intensiver Diskussion) des österreichischen Wahlvolks.

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Filed under Climate Change, Crisis Response, European Union, Financial Market Regulation, Fiscal Policy, Socio-Economic Development

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