Lernen sie es Nie?


Wirtschaftswachstum Forever?

In den letzten Tagen wurde über die „schlechten“ Ergebnisse der neuen Konjunkturprognosen in Europa und Österreich lamentiert: von der OECD, IMF, Europäische Kommission, Forschungsinstitute bis zu den Medien, von Financial Times, Corriere della Sera, Süddeutsche Zeitung, Standard und Presse wurden die Herabsetzungen der Zuwachsraten des BIP beklagt und alte Rezepte für eine Belebung der Konjunktur angepriesen (Österreich hat dies soeben mit seinem Baupaket versucht). Man tut so, als ob es keine Klima- und Umweltkrise gäbe. Offenbar gilt die oft geäußerte Notwendigkeit zu einem grundlegenden Umbau unserer Wirtschaften in Richtung Nachhaltigkeit nur in Sonntagsreden. Sobald das Wirtschaftswachstum einbricht, ist das vergessen. Mit Neid wird auf die viel stärker wachsende US-amerikanische Wirtschaft geblickt.

Natürlich stimmt es, dass innerhalb des bestehenden Wirtschaftssystems weniger Wachstum zu mehr Arbeitslosigkeit führt, die Armutsgefährdung steigt, die Sozialsysteme und öffentlichen Haushalte überfordert werden – aber das wissen wir schon lange. Ebenso wie dass die Fertilitätsraten sinken, die eigene Bevölkerung zurückgeht und damit Produktivität, Finanzierung von Gesundheits- und Pensionssystem großen Herausforderungen unterworfen sind.

Das Rezept der europäischen und österreichischen Regierung? Mehr vom selben: Standort-Gequassel, Lohn-Preis-Spirale, mehr Geld in alte Strukturen – je nach Lobbykraft des Sektors. Und gleichzeitig Jammern über die hohen Kosten des Umbaus, über das Nicht-Erreichen der selbst mit-festgelegten Klimaziele und weitgehendes Schweigen über die damit verbundenen Pönalzahlungen, „die ja erst in der Zukunft schlagend werden“. Nach kurzfristiger gehypter „Klimaeuphorie“ jetzt wieder bestenfalls Greenwashing und Jammern über die hohen Kosten.

Zeit für Umbau

Wann sonst, wenn nicht jetzt – wo die Verwerfungen des bestehenden Wirtschaftssystems immer klarer zu Tage treten – ist es an der Zeit, tatsächlich mit dem Umbau beginnen. Von einigen Politikern – wenn sie überhaupt etwas zum Umbau sagen – hören wir: Systemwechsel nein, Systemreform ja. Damit scheinen sie zu meinen, dass am grundlegenden vom irrationalen Finanzsektor dominierten Wirtschaftssystem, festgehalten werden muss, höchstens an „kleinen Schrauben“, wie dem Ausbau der Erneuerbaren Energiequellen, Investitionen in Digitalisierung, dem Anwerben von qualifizierten Arbeitskräften aus den Ausland, etc. gedreht werden soll und dass damit offenbar „Nachhaltigkeit“ erzielt wird. Das Tabuthema „Wirtschaftswachstum“ als Fetisch der Wirtschaftspolitik darf nicht angegriffen werden, höchstens verkleidet als „Grünes Wachstum“. Dass der endliche Planet Erde nicht permanentes Wachstum und Verbrauch an Umwelt, an Ressourcen vertragen kann, wird ignoriert. Dass Wirtschaftswachstum, sei es ingesamt oder pro Kopf sich als allgemeiner Wohlstandsindikator überlebt hat, und durch neue Indikatoren zur Lebenszufriedenheit, welche auch eine gesunde Umwelt, mehr öffentliche statt private Güter, mehr Gesundheit, weniger Stress, weniger mentale Belastungen umfassend als Leitlinie für Wirtschaften abgelöst werden muss, wird ignoriert. Statt dessen werden in den Medien „erfolgreiche“ Tycoons gefeiert (bis sie fallen), sollen aus Konsumenten „Investoren“ werden, die ihr Geld in Spekulations“produkte“ wie Bitcoins oder zumindest Aktien anlegen sollen, werden die vierteljährlichen Bilanzen der Unternehmen zum Standard für Führungsqualität und exorbitanten Managergehältern, wird Lohndrücken und „Kosteneffizienz“ zum Goldstandard für Unternehmensführung, während den Finanzinvestoren durch Aktienrückkäufe und hohe Dividendenzahlungen die Taschen gefüllt werden, anstatt den Arbeitnehmern höhere Löhne zu zahlen. Es ist schon absurd: im Standort- und Investitionswettbewerb gelten niedrige Löhne der Arbeitnehmer und gleichzeitig hohe Managergehälter als positiv. Man muss sich ja im „Kampf um Talente“ behaupten.

Die Wirtschaftspolitik und die Medien sollten endlich erkennen, dass das bestehended „System“, sei es als neoliberal verunglimpft, sei es als neoklassisch ökonomisiert, uns genau jene Verwerfungen im Sozialen und Umwelt/Klimabereich gebracht hat, die wir jetzt als „Krisen“ spüren. Dass dessen Aufrechterhaltung, nur an den Rändern verändert, uns weiter in diese Krisen stößt. Die exorbitanten Gewinne der Finanzindustrie und Plattformen, aber auch der Pharmaindustrie und anderen, die als 15%-Mindestrenditen von den „Investoren“, eigentlich Spekulanten, gefordert werden können nur durch Ausbeutung der Realwirtschaft, also der Arbeitnehmer, der Umwelt und der produzierenden Wirtschaft „erwirtschaftet“ werden. Sie zerstören Klima, Biodiversität und Umwelt, sie laugen ArbeitnehmerInnen aus, sie höhlen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Zusammenhalt, auf Community-Ebene aus, sie werden – wie im kommerzialisierten Fußball anschaulich zu beobachten – „footloose“, also der Bindung an die lokale Community entbunden, mit allen negativen Auswirkungen auf den gesellschaftlichen Zusammenhalt.

Systemwechsel: ja unbedingt

Wir brauchen daher einen „Systemwechsel“, einen grundlegenden Umbau der Wirtschaft, wenn wir und der Planet überleben sollen, und zwar über die nächste Legislaturperiode hinaus. Dazu gehört vor allem die Zurückdrängung der dominanten Rolle des Finanzsektors; die Orientierung der Wirtschaftspolitik am Wohlbefinden der Menschen und der Umwelt; die Entwicklung (viele gibt es schon) und Propagierung von neuen Indikatoren des Wohlbefindens anstatt von Wirtschaftswachstum; die Zurückdrängung des durch Lobbymacht und Anzeigenflut überbordenden privaten Konsums; die Forcierung der Investitionen in Öffentliche Güter wie Umwelt, Bildung/Ausbildung, Volksgesundheit, innere und äußere Sicherheit; die Stärkung interner Kreisläufe und Resilienz durch Anerkennung und Remunerierung von bisher unentgeltlicher Arbeit; das Verbot sozial- und umweltschädlicher Aktivitäten; die Arbeit an internationaler Kooperation zur gemeinsamen Nutzung der beschränkten Ressourcen zu fairen Preisen – und vieles andere mehr.

Wie internationale und nationale Wahlergebnisse der letzten Jahre zeigen, kann das Mißtrauen der Bevölkerung in die „Politik“ durch viel mehr BügerInnen-Nähe, durch neue Mitwirkungsmodelle der Bevölkerung an sie betreffenden politischen Entscheidungen, durch an den Menschen orientierten Politikprozesse verringert werden. Damit kann auch Populisten das Wasser abgegraben werden, da die viel stärkere Einbindung der Bevölkerung den „einfachen“ Rezepten der Populisten das Wasser abgraben und Verständnis für die unterschiedlichen Interessen und die dadurch notwendigen schwierigen Aushandlungsprozesse schaffen kann.

1 Comment

Filed under Climate Change, Crisis Response, European Union, Financial Market Regulation, Socio-Economic Development

One response to “Lernen sie es Nie?

  1. Helmut Höpflinger

    Lieber Kurt,

    ich finde Deine Zustandsbeschreibung sehr treffend – traurig aber wohl wahr. Ebenso traurig fällt meine Befürchtung bezüglich der Eingangsfrage “Lernen sie es nie ?” aus: Leider unwahrscheinlich !? Nicht nur die sogenannten westlichen Gesellschaften können sich kaum substanziell verändern, es ist ja eine Transformation auf dem gesamten Globus erforderlich - da hab´ ich noch mehr Skepsis. Aber, vielleicht geschehen noch Wunder…(an die wir ja auch nicht glauben)….LG Helmut

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