Category Archives: Fiscal Policy

Ceterum Censit Lingens: Lohnzurückhaltung und Saldenmechanik

Ceterum censit Lingens: Saldenmechanik

Wolfgang Försters Leserbrief (Falter 18/24), dass Lingens „gefühlte 100 Wiederholungen, (dass) Deutschlands Lohnzurückhaltung“ die Wurzel alles Übels Europas sei, trifft den Punkt genau. Und, wie das Amen im Gebet, ist das schon wieder Lingens’ Credo in der letzten Kolumne „Die Zählebigkeit ökonomischer Irrtümer“ (Falter 18/24), wo er sich als Watschenmann den Harvard-Ökonomen Kenneth Rogoff herholt, der dafür verantwortlich wäre, dass die EU Wachstum eingebüßt hätte. Also: Rogoff hat zusammen mit der ebenfalls renommierten Ökonomin Carmen Reinhard im Zuge der Welt-Finanzkrise nach 2008 im New York Times Besteller „This Time is Different. Eight Centuries of Financial Folly“ (Princeton University Press 2009) nach einer gründlichen Untersuchung von 200 Jahren Schuldenkrisen über viele Länder festgestellt, dass – ebenso wie in der Finanzkrise 2008 ff.- die Wirtschaftspolitik jedes Mal meine, dass die aktuelle Krise „anders“ als alle vorigen sei, und daher jetzt besser bewältigt und künftige verhindert werden könnten. Der Autoren Fazit ist, dass man sehr wohl aus „alten“ Krisen lernen könne, dass das Finanzsystem, trotz immer neuer und anderer, manchmal weniger, Regulierungen weiterhin sehr fragil sei, dass also solche Krisen immer wieder drohen würden. Mithilfe einer empirischen Zusatz-Analyse, die als mit einem Fehler behaftet kritisiert wurde, stellen sie fest, dass eine Staatsverschuldung von mehr als 90% des BIP über den gesamten Zeitraum und die analysierten Länder hinweg die Wahrscheinlichkeit einer Finanzkrise erhöht hätte. Rogoff-Reinhart haben den Fehler in einer Excel-Tabelle zugegeben, haben jedoch – unwidersprochen gemeint – dass zwar die 90%-Schwelle nicht zu halten sei, aber die grundsätzliche Schlußfolgerung weiter aufrecht bleibe: hohe Staatsverschuldung erhöhe die Krisenwahrscheinlichkeit, der Finanzsektor nütze die Anreize, dass die Wirtschaftspolitik beim Fallen von Vermögenspreisen gegensteuere, dies aber bei Steigen der Preise nicht täte, zu erhöhter Risikobereitschaft und bleibe daher fragil. Einige (berechtigte) Kritiker der 90%-Schwelle zitiert Lingens zustimmend für seine immer wieder wiederholte These, dass Rogoff damit für die deutsche Austeritätspolitik verantwortlich sei und bringt als „Gegenbeispiel“ für die Sinnlosigkeit der Rogoff-Reinhart-Analyse die hohe Verschuldung der USA, die totzdem stark gewachsen seien.

Rogoff-Reinharts Studie (463 Seiten!) befaßt sich, im Gegensatz zu Lingens’ Meinung, nicht mit der konjunkturellen Erhöhung von Staatsverschuldung, sondern mit den dadurch ausgelösten „Asset Bubbles“, mit interner versus externer Verschuldung, mit Wechselkurs- und Bankenkrisen, mit den Entstehungsgründen und dem Verlauf von Finanzkrisen, mit wirtschaftspolitischen Gegensteuerungsmaßnahmen, und vielem anderen mehr. Zielaussage der Studie ist die Fragilität des Finanzsystems über die Jahrhunderte und die Kurzsichtigkeit und Planlosigkeit der Wirtschaftspolitik, die daraus nichts lernen will. Diese Studie – so kritikwürdig sie in vieler Hinsicht sein mag – für die deutsche Austeritätspolitik, die Griechenlandkrise und die Wachstumsschwäche Europas verantwortlich zu machen, ist einfach unseriös.

Lingens spannt dann den Bogen zum nunmehr neu formulierten Stabilitäts- und Wachstumspakt, den er zurecht kritisiert, um dann wieder auf seine „Ökonomie-Weltformel Saldenmechanik“ als Erlöser zu kommen, die als einzige „ein gültiges ökonomisches Gesetz“ formuliere. Er spielt damit auf die makroökonomische Gleichung an, nach der alle Ausgaben einer Volkswirtschaft deren Einnahmen enstprechen müssen. Ja, das stimmt natürlich, aber es ist eben eine Bilanzgleichung, die die Beweggründe für die Verhalten der einzelnen Akteure und deren Auswirkungen auf die einzelnen Aggregate außer Acht läßt, was die Aufgabe ökonomischer Theorien ist. Zurecht meint Lingens, dass die Steigerung der Budgetdefizite in der Krise durch die Zurückhaltung der Konsumenten und Investoren zwangsläufig gewesen sei (er läßt dabei das neben Konsum, Investitionen und Staatsverschuuldung vierte wesenltiche Aggregat der Nachfrage, nämlich Nettoexporte aus), er „vergißt“ aber die säkuläre Steigerung der Schuldenquoten, die eben nicht nur auf die notwendige kurzfristige Stabilisierung der Gesamtnachfrage zurückgehen, sondern in der Macht der Finanzmärkte, „ihre Geschäftsmodelle und Gewinne“ zu stabilisieren bzw. zu erhöhen, sowie den asymmetrischen Politikantworten liegen. Er hat recht, wenn der die Staatsschuldenbremse Deutschlands und die Versessenheit der EU, öffentliche Haushalte zu „konsolidieren“ als gegenproduktiv in der Krise anprangert. Er macht es sich jedoch zu leicht, mit dem Schlegel „Saldenmechanik“ alle komplexen Vorgänge der Ökonomie erklären zu wollen. Und er tut Rogoff (der beileibe kein Ökonomie-Engel ist) Unrecht, wenn er ihn kurzerhand zum Meister der Budgetkonsolidierung und Veranwortlichen der EU-Wachstumsschwäche erklärt.

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Strategische Vision für UK und Österreich?

Heraus aus der britischen Misere

Am 15.4. publizierte der Starökonom der Financial Times einen Kommentar, wie eine notwendige Wirtschaftsstrategie für das Vereinigte Königreich aussehen könnte. (Wie Österreich steht dem UK im Herbst eine Nationalratswahl bevor). Dabei geht Wolf vom Hintergrund der schlechten Performance der britischen Wirtschaft aus, die umzukehren wäre: würde man den Wachstumstrend 1995-2008 bis heute verlängern, wäre das pro-Kopf-Einkommen um ganze 39% (!!) höher als heute. Wolf nennt besonders vier essenzielle Bereiche für eine solche Strategie:

– Erstens braucht es eine strategische Vision, aufbauend auf einer 5-10 jährigen rollierenden Vision, wie aufgrund angenommener weltwirtschaftlicher Entwicklungen die britische Wirtschaft sich entfalten sollte, in Bezug auf Investitionen, erforderlichen Qualifikationen am Arbeitsmarkt, wie Innovation gefördert werden kann, um die Herausforderungen von Alterung, Klimawandel/Umwelt, etc. zu meistern. Das müßte natürlich auch eine Einwanderungspolitik und Bildungspolitik umfassen. Nur auf Grundlage einer solchen Vision könnten aktuelle Politikvorhaben evaluiert werden.

– Zweitens braucht es institutionelle Reform, und zwar auf der Bundesebene, wo vor allem die übermächtige Position des Finanzministeriums zurückgedrängt werden müsse zugunsten einer Stärkung der Fachministerien (das ist ein spezifisch britisches Problem, oder?). Weiters gehe es darum, den Regionen, besonders den Städten viel mehr politische Macht zu übetragen und die zentralisierte Stellung Londons zu schwächen.

Drittens muss es darum gehen, die immer größere werdende Lücke zwischen Staatsausgaben und -einnahmen in den Griff zu bekommen. Heute hat das UK die höchste Steuerlast seit dem 2. Weltkrieg, obwohl im internationalen Vergleich noch immer im unteren Drittel der Industrieländer. Konkret schlägt Wolf die Evaluierung der einzelnen Steuern auf ihre Effizienz (bezüglich Wachstum? Verteilung? Oder was sonst?) vor, den Ersatz der Immobiliensteuer durch eine Bodenwertabgabe, den Ersatz der Benzinsteuer durch eine CO2Abgabe, deren Erträge zur Kompensation der Verlierer sowie zu Investition in Klimastrategien verwendet werden sollte.

– Und viertens sollte eine Regierung eine Stragie für volkswirtschaftliches Sparen und Investieren entwickeln, da sowohl die Spar- wie die Investitonsquote im internationalen Vergleich nachhinkt. ZB (sehr UK-spezifisch) die empfohlene Obergrenze für Pensionssparen über die derzeitigen 8% des Einkommens anheben. Die übermäßig hohen Kosten von Infrastrukturbauten im UK sollten durch Vereinfachung der Planungsprozesse, besseres Procurement, etc. angegangen werden. Für Investitionen, die Marktwert ermöglichen, wäre auch Schuldenfinanzierung angebracht (Goldene Regel!). Als Beispiel nennt Wolf öffentliche Investitionen in Wohnraum (hier muss man wissen, dass unter Thatcher den Mietern von Sozialwohnungen ermöglicht wurde, zu sehr günstigen Konditionen diese privat zu erwerben, was zu einer massiven Erosion von „leistbarem Wohnen“ geführt hat).

Kann Österreich daraus lernen?

Als Hintergrund muss man verstehen, dass Österreichs Wirtschaft sich zwar besser als die britische entwickelt, aber dennoch gravierende Schwächen aufweist. Dennoch kann man einiges aus den britischen Überlegungen lernen.

Erstens: vorrangig ist die Entwicklung einer Gesamtstrategie, die sich über eine Legislaturperiode hinaus erstreckt und an der die jeweilige aktuelle Situation gemessen und gegebenenfalls korrigiert werden kann.

Zweitens: die Aufteilung der Steuereinnahmen zwischen Bund, Ländern und Gemeinden/Städten, also der immert wieder endlos verhandelte, aber nie zu signifikanten Änderungen führende „Finanzausgleich“ muss endlich nach vollziehbaren Kriterien restrukturiert werden, um den künftigen Erfordernissen zu entsprechen. Dies ist politischer Bauchaufschwung sondergleichen, da die Interessen von 3000 Gemeinden, vielen Städten, neun Bundesländern und dem Bund äußerst vielfältig sind. In der derzeitigen Struktur ist der Finanzminister allein hilflos, auch bei bestem Willen mehr als die Kommastellen der Aufteilung der Einnahmen zu verändern, sind die Finanzflüsse zwischen den Gebietgskörperschaften zu undurchsichtig. Hier braucht es – a la Verfassungskonvent – eine übergeordnete Willensbildung.

Drittens: eine grundlegende Steuerreform, die Klima/Uwelt-, Einkommensverteilungs-, Finanzierungs- und Effizienzkriterien unter verschiedene Hüte bringt – und nicht nur weitgehend bestehende Muster fortschreibt, ist unerläßlich.

Viertens: eine grundlegende Reform des Bildungssystems ist für die Erfüllung der strategischen Ziele wichtig: die bestehende Blockage durch das Erfordernis der 2/3 Mehrheit im Nationalrat hat Österreich den beschämenden Platz in den internationalen Rankings beschert und schädigt die Zukunftsaussichten unserer Jugend.

Fünftens: institutionelle Reformen müssen die isolierte Wahrnehmung ihrer Aufgaben durch einzelne Ministerien (meist zusätzlich durch koalitionsinterne Abgrenzungen) zugunsten der Verfolgung gemeinsamer Strategien ermöglichen. Ministerien sind nicht dazu da, ihre je eigene Klientel zu befriedigen, sondern zugunsten der gesamten Bevölkerung zu arbeiten. Die bestehende Fragmentierung, die einzelnen Abtäusche und Blockierungen schaden dem Gemeinsamen Ganzen.

Die Herausforderungen der Zukunft im Klima-Umweltbereich, der Digitalisierung, der Alterung der Gesellschaft, der Immigration, der Öffentlichen Gesundheit und vor allem des gesellschaftlichen Zusammenhalts (ohne Armut) können effektiv nur gemeinsam bewältigt werden.

Martin Wolfs Kolumne ist sicherlich nur kursorisch, natürlich sehr auf die besonderen Probleme des Vereinigten Köngreichs ausgerichtet. Dennoch gilt auch für Österreich das Einstein fälschlich zugeschriebene, auch von Wolf verwendete Zitat: „Irrsinn ist es, dasselbe immer wieder zu tun, aber jeweils unterschiedliche Resultate zu erwarten“. Die auf Beharrung aufgebaute Politik Österreichs macht für ein Weiterwurschteln mit Betonung auf dem Bestehenden die Anwendung dieses Zitats nicht unplausibel. Es ist Zeit für die Entwicklung einer strategischen Vision!

Bisher haben die österrreichischen politischen Parteien kein gesamthaftes Konzept für die Wirtschaftspolitik vorgelegt: von wolkigem „Österreichplan“, zu einem „Grunderbe“ bis zu einem „Transformationsfonds“ liegen bestenfalls einzelne Versatzstücke vor. Eine makroökonomische Vorschau über mehrere Jahre sucht man vergeblich (der der EU vorgelegte mehrjährige Budgetplan ist – und hier spricht der für dessen Erstellung mehrere Jahre Mit-Verantwortliche – für die einzelnen Ministerien unverbindlich, eine reine Finanzministeriums-Angelegenheit). Und noch viel ergebnisloser ist eine Suche nach einer konsistenten, auf einzelne Sektoren heruntergebrochene, den übergeordneten Zielen dienende Finanzplanung.

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Abdankung der Wirtschaftspolitik zugunsten der Finanzmärkte?

Die Machtfrage ist leider längst entschieden: anonyme Finanzmärkte und deren Begehrlichkeiten sind zum Fokus der menschgemachten Geld- und Fiskalpolitik geworden und beeinflussen auch die Strukturpolitik (Angebotspolitik). Man lese nur die Financial Times, die Neue Zürcher Zeitung oder Il Sole 24 ore, die primär über Geschehnisse auf den „Märkten“ berichten, denen die Realwirtschaft, das Wohlergehen der Bürgerinnen und Bürger, die Unternehmen zu dienen haben, und die auch die Ausrichtung der Wirtschaftspolitik bestimmen.

Jüngstes heimisches Beispiel sind die Aussagen auf einer Diskussionsveranstaltung auf der Wirtschaftsuniversität am 13. März 2024, bei der die italienische Ökonomin Cinzia Alcidi sehr kompetent, wenn auch nicht vollständig, über die Eigenheiten des nunmehr wieder in Gang gesetzten „Stabilitäts- und Wachstumspaktes“ (SWP) berichtete. Es geht beim SWP um das zentrale fiskalpolitische Instrument innerhalb der Eurozone, das Gegenstück zur zentralisierten Geldpolitik in der Europäischen Zentralbank, notwendig, weil die Mitgliedstaaten sich ihre Steuer- und Budgetpolitik als Souveränitätsanker nicht nehmen lassen wollten. Seit Einführung des Euro ist die auf den Prämissen des SWP aufbauende Austeritätspolitik zu dem bestimmenden Element der Wirtschaftspolitik der EU geworden.

Seine – willkommene – Aussetzung im März 2020 führte zu der Hoffnung, dass die für danach vereinbarte Neufassung „einfacher, transparenter und effektiver“ sein werde.

Die Europäische Kommission machte mehrfach Vorschläge, die vor allem durch Deutschland und Frankreich strenger gemacht wurden. Die derzeitige Version ist weder einfacher, noch transparenter. Sie gibt jedoch den einzelnen Mitgliedstaaten mehr Mitsprache bei der Formulierung ihrer mittelfristigen Budgetpolitik, setzt auf die Kontrolle der Ausgaben als Hauptinstrument und stellt nicht das Budgetdefizit, sondern die langfristige Tragfähigkeit der Staatsschulden in den Mittelpunkt als Ziel.

Was hat das mit den Finanzmärkten zuz tun? Bei der WU-Veranstaltung gab es nach dem Vortrag eine Panel-Diskussion, die vom WIFO-Chef moderiert wurde. Teilnehmer waren die ÖNB-Direktorin für Wirtschaftspolitik, ein Vertreter der hiesigen EU-Mission und ein WIFO/WU-Angehöriger. Berichtenswert ist, dass die ÖNB-Direktorin relevante Kritik am neuen SWP vorbrachte und am Schluss meinte: inwieweit diese neue Version funktioniert, werden „die Märkte“ beurteilen. Diesen Schluss teilt der Moderator.

Interessant daran ist, wie die Hörigkeit den Finanzmärkten gegenüber bereits im österreichischen Mainstream angekommen ist. Man könnte ja meinen, dass der Vertreter des größten österreichischen Wirtschaftsforschungsinstituts die Beurteilung des SWP mit traditionell ökonomischen oder alternativ-ökonomischen, auch polit-ökonomischen Begründungen vornimmt, dass die ÖNB-Vertreterin eine bankeigene Beurteilung wagt und dies nicht den vielfach irrational agierenden Finanzmärkten als Schiedsrichter überläßt. Offenbar meinen auch diese beiden (stellvertretend für viele andere), dass das Wohl und Wehe der Finanzmärkte exklusiv ausschlaggebend für die Beurteilung wirtschaftspolitischer Aktivitäten ist. Die Irrationalität der Finanzmärkte wurde kürzlich wieder etwa durch Bankenzusammenbrüche, den horrenden Kursgipfel von 70.000$ der nicht werthaltigen Crypto“währung“ Bitcoin, die Verurteilung des Crypto-Jongleurs Bankman-Fried und anderes offengelegt. Und nun werden diese „Märkte“ auch von den an sich dazu Berufenen benutzt, um sich selbst mit geeigneten Analysen die Beurteilung der Wirtschaftspolitik von Staaten zu ersparen.

Es geht den genannten ÖkonomInnen also nicht darum, wie der neue SWP auf Wachstum, Beschäftigung und Investitionen in die Zukunft wirkt, sondern darum, wie die Finanzmärkte darauf reagieren werden. Eine perverse Welt: Wie schon der Knieriem bei Nestroy singt „Die Welt steht auf kan Fall mehr lang“, dank dem Gewährenlassen der Finanzmärkte. Wo ist die Gegenmacht? Die massive Geldausschüttung der österreichischen Bundesregierung an Unternehmen und Haushalte seit der Coronakrise (etwa 10% eines Jahres-BIP) gehen nicht auf Abgehen der Regierung von den Prämissen des SWP zurück (das ist durch die wiederholten Aufforderungen des Finanzministers der letzten Monate, dass “wir wieder zu einer nachhaltigen Budgetpolitik zurückkehren müssen” belegt), sondern sind eher stimmenmaximierung, populistisch zu interpretieren.

Dazu noch ein österreichisches Kuriosum: Die Regierung hat bereits im März 2024 beschlossen, jetzt noch die Neubesetzung des ÖNB-Direktoriums vorzunehmen, obwohl dessen Mandate erst im Juni 2025 auslaufen. In anderen Ländern (zB UK) gibt es die Vorgabe, knapp vor einer Wahl, keine personellen Änderungen mehr vorzunehmen, die die künftige Regierung präjudizieren könnten. Kolportiert wird nun, dass in dem künftigen 4-köpfigen ÖNB-Direktorium 2 Mitglieder von der ÖVP, eines von den Grünen und eines von der SPÖ nominiert werden sollen. Hier geht Österreich offenbar einen „eigenen“ Weg, zeigt aber damit auch den Europäischen Institutionen, dass die geforderte (politische) Unabhängigkeit der Nationalbank die österreichische Regierung nicht unbedingt juckt.

Andererseits: hinter dieser Entscheidung liegt offenbar nicht die Sorge um die bestmögliche Besetzung des Gremiums, damit man in der EZB endlich wieder „bella figura“ machen kann, sondern wieder einmal eine parteipolitische. Die Regierungsparteien dürften fürchten, dass, wie die Umfragen vorhersagen, die FPÖ bei den Wahlen die relative Mehrheit gewinnt und dann wieder bei der Direktoriumsbestellung mitreden kann. Bisher nominierte die FPÖ zwei Direktoriumsmitglieder, darunter den Gouverneur, die ÖVP ebenfalls zwei. Der kolportierte Vorschlag zeigt nicht nur, dass „man“ die FPÖ draußen haben will, sondern auch die Möglichkeit, mit der SPÖ in einer Koalition zu regieren, deren Goodwill man sich durch diese frühzeitige Entscheidung versichert.

Wenn diese frühe Entscheidung letztendlich dazu führt, dass sich Österreich im EZB-Direktorium nicht länger als Appendix Deutschlands und als lautstarkes Mitglied der „Frugal Four“, der „Sparsamen Vier“ sieht, sondern einer rationaleren Geldpolitik zugunsten des gesamten Euroraumes und seiner Herausforderungen zuneigt, dann könnte man sogar diesen demokratiepolitischen Lapsus (unter Bauchweh) akzeptieren. Die Chancen für einen inhaltlichen Positionswechsel Österreichs sind allerdings gering.

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It is short-term business interests, stupid!

Die Paraphrase über Bill Clinton’s Sager „It’s the economy, stupid!“ passt gut zur derzeitigen Regierungspolitik: den kurzfristigen Interessen der „Wirtschaft“ wird der langfristig notwendige Umbau der Wirtschaft in tragfähige Strukturen geopfert.

Dazu zwei rezente Beispiele:

1. Das Wohnbaupaket: wie in meinem kürzlichen Blog „Wohnbaupaket: Wo bleibt die Klimapolitik?“ (https://wordpress.com/post/kurtbayer.wordpress.com/3823) ausgeführt, verabsäumt dieses Programm es, die mehr als 2 Mrd € für einen grundlegenden Systemwechsel der Bauwirtschaft in Richtung Klimaschutz und Umwelterhaltung einzusetzen. Zwar gibt es einige kleinere Zuckerln für die Grüne Klientel, doch insgesamt handelt es sich um „Mehr vom Gleichen“, um weitere Betonbauten, um weitere Verhüttelung der Landschaft, um weiteren Bodenverbrauch. Eine riesige vertane Chance, argumentiert, wie schon bei den ebenso versemmelten Corona-, Energie- und Inflationshilfen damit, dass es „rasch gehen müsse“. Ja, Österreichs Regierung opfert die Zukunft des Landes kurzfristigen Interessen. Natürlich brauchen wir Wohnraum, natürlich (?) brauchen wir Arbeitsplätze im Bausektor, aber warum werden mit einem solchen Programm – immerhin im Ausmaß von 5% eines Jahres-BIP – nicht die notwendigen Weichen für eine bessere Zukunft gestellt?

2. Österreich Enthaltung (sprich Nein) zum EU-Lieferkettengesetz. Nicht nur, dass Österreich (wie auch Deutschland und Italien, die sich am 28.2. ebenfalls enthalten haben) sich in den bisher zweijährigen Verhandlungen konstruktiv an den bisherigen Kompromißlösungen beteiligt hat und erst jetzt umspringt, ist es auch inhaltlich eine vergebene Chance, Umwelt-, Klima- und Menschenrechtsverletzungen bei den Zulieferern österreichischer und EU-Unternehmen zu unterbinden. Wirtschaftskammer und Industriellenvereinigung haben hier massiv lobbyiert und „ihr“ Wirtschaftsministerium zum Nein vergattert. Die Chance, dass dieses Gesetz in der derzeitigen Legislaturperiode des EU-Parlaments noch – in weiter abgespeckter Form – positiv entschieden wird, ist damit fast Null. Das Argument, dass dieses Gesetz vor allem Klein- und Mittelunternehmen zu große Lasten auferlege, ist nicht ganz von der Hand zu weisen. Allerdings hätte sich Österreich dafür einsetzen können, dass die Wirtschaftskammer als Serviceorganisation hier wichtige Beratungs- und Informationsleistungen für ihre Mitgleider einbringen und damit es den KMU erleichtern könnte. Auch eine Reihe anderer konstruktiver Vorschläge stand im Raum, denen Österreich jedoch nicht nähertreten will.

3. In der globalen Diskussion über „Nachhaltigkeit“ geht es primär um den Umbau der Wirtschaft in Richtung Ökologie und Digitalisierung. Der EU Wiederaufbaufonds RRF „Neue Generation“ hat diese beiden Richtungen zum Ziel. Österreich erhält aus diesem 800 Mrd € schweren Fonds zwar nur knapp 3 Mrd (etwa 0.9% des 2021 BIP, im Gegensatz zu Italien, welches 200 Mrd €, 11% des BIP lukriert), setzt aber seine eigenen Budgetmittel nur zu einem geringen Grad für solche Zukunftsorientierung ein: statt dessen wurden in den letzten Jahren 50 Mrd € als Corona-, Energie- und Inflationshilfen ausgegeben, davon fast nichts investitionswirksam, nichts davon „umbauwirksam“, und derzeit noch einmal 2 Mrd € für ein gestriges Bauprogramm. Österreichische Forschungseinrichtungen darben, der Bildungs- und Ausbildungssektor stöhnt, das Gesundheitssystem und besonders das Pflegesystem zeigen Anzeichen von Ausrinnen – und die Modernisierung von Wirtschaft und Gesellschaft in Richtung CO2-Neutralität, Umwelterhaltung und Digitalisierung bleibt auf der Strecke. Österreichs Regierung schafft es nicht – oder will es nicht – den Umbau ernsthaft zu beginnen. Wenn er nicht „here and now“ in Angriff genommen wird, bleibt Österreichs Gesellschaft auf der Strecke. Wahlzuckerln zu verteilen, kann sich das Land nicht länger leisten. Die Zukunft hat schon lange begonnen. Der Bundeskanzler hat in einem Fernsehinterview von der Gefahr gesprochen, dass Österreich Erfahrung hätte, in einen Krieg „hineinzuschlittern“. Was er hier richtig (in Hinblick auf den 1. Weltkrieg) angesprochen hat, hätte er und sollte er auf die Erhaltung der Nachhaltigkeit anwenden. Er tut es nicht, die „Wirtschaft“ will es nicht.

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Angebot und Nachfrage als Inflationstreiber

Ben Bernanke und Olivier Blanchard, zwei der renommiertesten Mainstream-Ökonomen zerlegen in einem neuen CEPR e-Paper „Monetary Policy Responses to the Post-Pandemic Inflation“ (https://cepr.org/system/files/publication-files/197150-monetary_policy_responses_to_the_post_pandemic_inflation.pdf) im Kapitel über die Inflationsursachen seit der Pandemie diese in Angebots- und Nachfragekomponenten für die USA, die Eurozone, das Vereinigte Königreich und Japan.

Konkret zerlegen sie die headline-Inflation in folgende Komponenten: Startbedingungen (im Grunde die Inflationsraten vor der Pandemie); Arbeitsmarktfaktoren (offene Stellen zu Arbeitslosen); Energiepreise; Nahrungsmittelpreise; Produktivität und „Knappheiten“ (was sie als Indikator für greedflation nehmen, da Unternehmen Knappheiten als Argument

für Preissteigerungen nehmen können). Damit bekommen sie ein ziemlich komplettes Bild von Angebotsfaktoren (Energie- und Nahrungsmittelpreise; Produktivität und Gewinnaufschläge) und Nachfragefaktoren (Arbeitsmarkt und Gewinnaufschläge).

Nicht überraschend zeigt sich, dass in der Eurozone 2022 und 2023 die Energie- und in deren Gefolge Nahrungsmittelpreise zur fast 10-prozentigen Inflationsrate zwischen 7 und 3 Punkte (abnehmend) beitrugen, Arbeitskräfteknappheiten etwa 2-3 Punkte; höhere Gewinnaufschläge etwa 1 Punkt, Produktivitätssteigerungen dämpften die Inflation Ende 2022/anfangs 2023 um etwa einen Prozentpunkt. In den USA waren die Energiepreissteigerungen anfangs 2022 massiv, danach weniger relevant (kein Ukraine-Effekt), während Gewinnsteigerungen kaum sichtbar wurden.

Die Autoren meinen, dass aufgrund der weiter herrschenden Arbeitskräfteknappheiten trotz deutlich gesunkener Inflationsraten die Zentralbanken weiterhin mit Zinssteigerungen reagieren müßten. Dies widerspricht ihrem Befund, dass die benannten Inflationsursachen weitgehend kurzfristig, bzw. einmalig seien. In der Eurozone hätte die EZB jedoch Lohnsteigerungen befürwortet, daher könnte die weiter bestehende Inflation nur durch das ohnedies schwache Wirtschafgswachstum weiter senmkende Zinserhöhungen bekämpft werden. Die Angebotsfaktoren, der enge Arbeitsmarkt, wirkten weiter, die höheren Lohnsteigerungen jedoch trieben von der Nachfrageseite die Inflation weiter an.

Österreich, dessen Inflationsrate weiterhin um fast 2 Punkte über jener des Durchschnitts der Eurozone liegt – und auch nur langsamer sinkt – wird von den Autoren nicht extra analysiert. Hier ist anzunehmen (und das wurde vom Momentum Institut hinreichend belegt), dass einerseits der Wettbewerb (vor allem bei Energie und Nahrungsmitteln) deutlich schwächer ist, was höheren Gewinnmargen den Boden bereitet. Andererseits wirken hier die deutlich großzügigeren Unternehmens- und Haushaltssubventionen als Reaktion auf die Pandemie und die Energiekrise nachfrage- und inflationstreibend – beides also „hausgemachte“ Faktoren. Dies ist ein ziemlich vernichtendes Urteil über die heimische Wirtschaftspolitik der derzeitigen Regierung, die einerseits Koalitionsdifferenzen, andererseits Klientelinteressen mit hohen Steuermitteln zudeckt. Die derzeit langsam sichtbar werdenden Wahlkampf-„Geschenke“ an einzelne Interessengruppen werden dazu führen, dass die Inflation in Österreich weiterhin hoch bleibt – mit den bereits jetzt stark sichtbaren negativen Verteilungseffekten: MieterInnen, Energiekunden, SupermarktkundInnen müssen die höheren Inflationsraten zahlen, viele Unternehmen können weiterhin höhere als durch ihre Vorprodukte erklärbare Preise verlangen. Bezieher hoher Einkommen und Sparer („Anleger“) verlieren zwar Realvermögen, können aber höhere Preise leichter verkraften. Der Ruf der Unternehmen nach weiteren Hilfen durch die Steuerzahler sollte höchstens sektorspezifisch udnd nur für Investitionen erhört, dann aber jedenfalls ganz massiv durch Klima- und soziale Bedingungen in eine nachhaltige Richtung gelenkt werden. Der in den Medien verbreitete 100.000 € Zuschuß für Einfamilienhausbauer erfüllt keines dieser Kriterien: müssen wir wirklich Österreich weiter „verhütteln“? Muss es ein Bürgerrecht auf Wohnungseigentum geben? Wem nützt das? Wie kann ein akzeptables Bauprogramm sowohl die Engpässe bei „leistbarem“ Wohnen reduzieren als auch Klimazielen dienen? Solche Klimabedingungen hätten bereits – wie von mir öfters gefordert – bereits bei den generösen Coronahilfen und den Energiehilfen eingesetzt werden müssen.

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