Stimmungsmache oder Information? Das Dilemma heutiger Politikverantwortlicher


(Eine Kurzform dieses Postings erschien im FALTER vom 5.9.20129

Die Realität wird zunehmend zugunsten der Formung von Erwartungen zurückgedrängt. Die viel geschmähten Finanzmärkte und ihre Lakaien/grauen Eminenzen, die Rating Agenturen, interpretieren jeden Furz eines/r Politikverantwortlichen mit Zinsaufschlägen, Renditenveränderungen, Kursgewinnen und –verlusten. Jede Sprechblase wird zum Menetekel oder Heilsbringer. Ob das, was gesagt wird, evidenzbasiert ist, also auf Tatsachen beruht, oder einer kurzfristigen Stimmenmaximierung dienen, bzw. die Umfragewerte beeinflussen soll, spielt dabei kaum eine Rolle.

Das führt dazu, daß Politikverantwortliche, also Politiker, Zentralbankgouverneure, Finanzministerinnen, etc. ihr Wahlvolk nicht mehr aufklären, es nicht auf kommende Veränderungen vorbereiten, ihm jedenfalls nicht mehr reinen Wein einschenken, sondern nur oder überwiegend auf die (hoffentlich positive) Wirkung ihrer Aussagen (auf ihre eigene Popularität, auf das Wahlvolk, viel mehr aber noch auf die Finanzmärkte und Investoren) schielen. Und: solange diese Hypersensibilität der Finanzakteure, der Investorinnen, der Unternehmensleiter und der Konsumenten anhält, solange also Politikeraussagen riesige Auswirkungen auf die tatsächliche Wirtschaftsentwicklung haben (können), kann ihnen dies auch niemand verdenken. Nicht um die Wahrheit geht es, sondern um Stimmungerzeugen!

Der EZB-Präsident muß beschwichtigen, die deutsche Kanzlerin muß ihre aufmüpfigen Koalitionspartner im Zaume halten, wenn diese die Eurozone sprengen wollen, der griechische Regierungschef darf das Wort Arbeitslosigkeit und Verelendung seiner Landsleute nicht in den Mund nehmen, in Österreich wird die Krise weitgehend totgeschwiegen – alles nur, um Stimmung zu machen. Die Medien bringen dann vielfach diese Stimmungsweichmacher, ohne sie jedoch zu analysieren, ohne die mögliche Diskrepanz zwischen Fakten und Aussage klarzumachen, ohne die Leserin, den Hörer, auf die Motivation zur Aussage hinzuweisen.

Daß diese Art der Kommunikation mit der Öffentlichkeit das Wahlvolk den Politikern und ihren Aussagen immer mehr mißtrauen läßt, wird als Kollateralschaden offenbar hingenommen. Erinnerlich ist mir selbst eine Briefing-Session bei einem österreichischen Bundeskanzler mit Spitzenbeamten vieler Ressorts, wenige Tage vor einem Europäischen Rat. Während über eine wichtige Frage diskutiert wurde, stürmte der Pressereferent mit einer Boulevardzeitung vom nächsten Tag in das Sitzungszimmer, flüsterte dem Kanzler ins Ohr, worauf dieser wutentbrannt ohne ein Wort zu sagen aufstand, die Beamten sitzen ließ und sich mit dem Pressereferenten zur Konzipierung einer passenden Antwort zurückzog. Wirkung in der Presse geht vor Vorbereitung.

Mit Verwunderung nimmt man als heutiger Medienkonsument historische Aussagen wie jene von Leopold Figl („ich kann Euch kein Glas zum Einschneiden geben“), oder Winston Churchill („Blood, Toil, Tears and Sweat“) oder sogar Jack Kennedy („don’t ask what the country can do for you, ask what you can do for your country“) zur Kenntnis. Welcher Politikverantwortliche traut sich heute noch, in direkter Rede von den Wahlbürgerinnen etwas zu verlangen? Wer traut sich, Klartext über den Zustand des Landes, der Welt zu reden? Wer traut sich, die Gewinner und Verliererinnen von Politikmaßnahmen zu nennen? Wenn, dann fordert und verlangt man etwas von „den anderen“, den Bürgern anderer Länder, oder der Klientel der „anderen“ Parteien – aber sicher niemals von „den eigenen“.

Es bleiben dann letztlich die Vertreter der zivilgesellschaftlichen Institutionen, der Universitäten, die Experten und andere Bürgerinnen und Bürger, die Wahrheiten aussprechen, die man eigentlich von den politisch Verantwortlichen hören sollte. Letztere scheinen den Löffel der Verantwortung abgegeben zu haben und sich mit Stimmungsmache zu begnügen. Vielleicht sollten wir die Konsequenz daraus ziehen und denen, die wir gewählt haben, damit sie Entscheidungen für das Land treffen, diese Aufgabe entziehen; der Verantwortung dafür scheinen sie sich bereits entledigt zu haben.

 

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