Ine, Ane, U – drauss bist Du: Schlittert Großbritannien in einen EU-Austritt?


William Hague, der britische Außenminister, hat Berlin für seine erste EU-Rede als Außenminister gewählt. Er wird ankündigen, daß sein Ministerium einen tiefgehenden Überblick über sechs Bereiche bezüglich des Nutzens der EU-Mitgliedschaft bis Ende Juli 2013 durchführen wird: Binnenmarkt, Steuerpolitik, Gesundheitspolitik, Außenpolitik, Entwicklungszusammenarbeit und Tierschutz und Nahrungsmittelsicherheit. Dies sollen analytische Studien und keine Policy Papers werden, also “ergebnisoffen”.

Bei dieser Ankündigung beschleicht den Beobachter ein Deja-vue-Gefühl. Erinnert sich noch jemand an Gordon Brown’s „Five Tests“, analytische Studien die herausfinden sollten, ob die Wirtschaften Großbritanniens und der EU eng genug aufeinander abgestimmt wären, um einen Beitritt Großbritanniens zur Eurozone sinnvoll zu machen? Jeder wußte, daß es hier nicht um Analysen ging (die lagen sowieso vor), sondern um eine schlecht versteckte Ablehnung des Euro, verbrämt hinter „evidence-based policy making“, jaja. Wie sollen wir also diese neuen „Tests“ beurteilen, vor allem wenn Hague gleichzeitig sagt, es ginge nicht an, daß immer weitere Souveränitätsbereiche an die EU gehen sollen, daß es auch eine Repatriierung von Kompetenzen geben müsse? Und zu einem Zeitpunkt, wo der Premierminister droht, sein Veto gegen den EU Budgetrahmen 2014-20 einzulegen? Und in einer Umgebung, wo mehr als 80 konservative Hinterbänkler ein Referendum über den EU-Verbleib Großbritanniens gefordert haben?

Es ist bedeutsam, daß diese erste (von mehreren) Gruppe von Analysen nicht den Finanzsektor mit einschließt. Dort hat London seine stärksten Interessen. Die Regierung hat sich bisher nicht geäußert, wie konsistent ihre (Anti-)EU-Haltung ist, wenn sie London als primäres Finanzzentrum der EU und der Eurozone beibehalten sehen will. Cameron hat zwar letztes Jahr, als es um die Euro-Hilfe gibt, der er (und Tschechien) nicht beigetreten ist, versucht, Sondergarantien für den Finanzplatz London herauszuholen, bisher ohne Erfolg. Cameron und Hague wissen natürlich, daß das ihre Achillessehne ist, daß sie hiebei eine relativ schwache Verhandlungsposition gegenüber der EU haben. Deshalb schweigen sie vornehm.

Der liberaldemokratische Teil der Regierung ist zwar pro-europäisch, hat aber offenbar, wie in so vielen anderen Politikbereichen, nicht viel zu sagen. Es wird interessant sein zu sehen, wieviel Einfluß die LibDems auf diese Analysen geltend machen werden können – und ob die Frage, ob danach ein Referendum folgen soll (ein absolutes Tabu für die LibDems).

Dem außenstehenden Beobachter scheint dies Übung der Beginn hin zu einem EU-Austritt zu sein. Die derzeitige Konstellation in der EU geht ohnedies in die Richtung, daß immer mehr wichtige Entscheidungen innerhalb der Eurozone fallen und die „Outs“, vor allem jene, die keineswegs und niemals der Eurozone beitreten wollen, immer weniger Einfluß haben werden. Dies wird durch die britische Vorgangsweise noch verstärkt.

Britannien ist jedenfalls wieder einmal an einer Weggabelung angelangt. Im jetzigen Klima, wo die Regierung alle Verantwortung für die Wirtschaftsmisere der schwachen Eurozone zuschiebt, gibt es wahrscheinlich eine Mehrheit für einen Austritt aus der EU. Dies würde durch die Abspaltung des EU-freundlichen Schottland noch verstärkt. Der maßgebliche Teil der Regierung wirbt jedenfalls nicht für die EU, sondern will mehr Kompetenzen zurückführen. Die Stimme der LibDems wird kaum hörbar, Labour hält sich (unvornehm) zurück, da es sieht, daß damit keine Stimmen zu gewinnen sind. Die pro-europäischen Wirtschaftsinteressen sind auch merkwürdig leise.

Die britische Regierung hat sich in eine Ecke hineinmanövriert, aus der sie nur schwer herauskommen wird. Der Austritt Großbritanniens aus der EU, ebenso wie eine weitere signifikante Schwächung seiner Stimme im Falle des Verbleibs, schwächen sowohl Großbritannien wie die EU.

3 Comments

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3 responses to “Ine, Ane, U – drauss bist Du: Schlittert Großbritannien in einen EU-Austritt?

  1. Eva Nowotny

    Ich teile die Meinung von Kurt Bayer, dass in London derzeit die Möglichkeit eines Ausscheidens aus der EU politisch vorbereitet wird. Wie Christoph Vavrik bin ich allerdings der Meinung, dass ein solcher Schritt Großbritannien mehr schaden wird als der Europäischen Union, wofür auch die Besorgnis der britischen Industrie und der Londoner City spricht. Das vielbeschworene Sonderverhältnis zu den USA wird das nicht wettmachen – auch für die USA führt heute der erste Weg nach Europa nach Brüssel.

    • kurtbayer

      Ja, die negativen Effekte sind sicher für England größer als für die EU, dennoch wäre es auch für die EU ein primär politischer Schlag. Aber natürlich: wenn man die Obstruktion des UK der letzten Jahrzehnte ansieht, dann könnte es leichter werden. Allerdings wäre ein dritter großer Player für kleine Länder wie Österreich rein theoretisch nicht schlecht, da sich kein deutsch-französisches Bi-rektorium entwickeln könnte.

  2. Christoph Vavrik

    Würde der Austritt des Vereinigten Königsreichs (VK) wirklich die EU schwächen? Das Gegenteil könnte wohl der Fall sein… Die EU würde zwar einen “quantitativ” schweren Verlust erleiden, angesichts der Grösse der VK Volkswirtschaft und ihrer engen Verflechtung mit Kontinental Europa. Qualitativ sähe es aber ganz anders aus… Das VK hat die EU nie als als politisches Projekt betrachtet, sondern eher als Freihandelszone, und auch das streckenweise eher selektiv. Das VK war und ist eben weiterhin nur halbherzig dabei. Kontinental-Europa sollte einem Austritt des VK’s gelassen entgegenblicken: die EU wird viel an Bewegungsfreiheit gewinnen – die Verlierer werden langfristig die Briten sein, es sei denn sie binden sich als Folge noch enger an die USA.
    Dazu der Link zu einem kurzen Artikel zur Geschichte des Beitritts des VK zur EG und seiner Rolle als “enfant terrible” seitdem
    http://www.dieeuros.eu/Ist-immer-noch-Platz-fur-das,2307.html

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