Wirtschaftlicher Selbstmord Katalaniens?


(wurde unter dem Titel “Katalonien: Geht’s noch?” als Kommentar in Der Standard am 11.10.2017 veröffentlicht)

Der STANDARD bringt am 9.10. ein Interview mit der katalanischen Ökonomin Elisenda Paluzie („Spanien wird der Hauptgeschädigte sein“), in welchem sie behauptet, dass eine Unabhängigkeitserklärung Kataloniens kaum Auswirkungen auf Kataloniens Wirtschaft haben werde, ja, dass die spanische Wirtschaft über höhere Refinanzierungskosten und über die volle Übernahme der Staatsschulden der Verlierer sein würde.

Ja geht es denn noch? Wenn Unabhängigkeit die Loslösung von Spanien bedeutet, dann wir der Staat Katalonien nicht mehr EU-Mitglied sein und natürlich auch nicht mehr Mitglied der Eurozone. Konkret bedeutet dies, dass es eine eigene Währung einführen müsste (Wechselkurseffekte?), dass es bestehende Kontrakte in die neue Währung überführen müsste, dass es eine eigene Zentralbank gründen müsste (wo gibt es da Vorarbeiten) und dass es Jahre dauern würde, bis ein neues Verhältnis zur EU verhandelt wäre ( der Brexit wäre viel leichter, da das Vereinigte Königreich nicht in der Eurozone ist und als bestehendes Land viele der institutionellen Voraussetzungen für solche Verhandlungen hat). Dass Spanien und seine EU-Freunde ein freies Katalonien nicht gerade freundlich aufnehmen würden, versteht sich von selbst. Die Grenze zwischen Katalonien und Spanien müsste mit Zollschranken gesichert werden, Katalonien könnte als Nicht-WTO-Mitglied nicht einmal die günstigen WTO-Zollsätze (wie das UK) beanspruchen. Sein Finanzsektor müsste Regulierungsinstitutionen aufbauen und – auf eigenen Beinen stehend – sich seine Finanzierungsquellen suchen.

Es ist erstaunlich, dass eine Universitätsprofessorin für Ökonomie wegen ihres vielleicht verständlichen politischen Wunsches nach Unabhängigkeit in einem Interview über die wirtschaftlichen Folgen jegliches ökonomische Verständnis vermissen lässt – und dass der STANDARD dies ohne kritische Gegenfragen so abdruckt.

Diese Vorgangsweise erinnert an die unkritischen Fragen des ORF im österreichischen Wahlkampf, wo den Dampfblasen ohne inhaltliche Tiefe einiger Kandidaten Raum gegeben wird, ohne dass sie durch tiefergehende Fragen etwas herausgefordert werden, und so den ZuhörerInnen Substanz für ihre Wahlentscheidung bieten können.

In dieser Situation ist es kein Wunder, dass auch Politiker „Expertenwissen“ für entbehrlich deklarieren. Diese tun dies natürlich, um emotionalen Tendenzen, die sie selbst schüren, Raum zu geben. Der Demokratie, dem immer wieder als Lippenbekenntnis geforderten ruhigen Dialog, schadet dies. Es kommt den „fürchterlichen Vereinfachern“ und Populisten entgegen.

4 Comments

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4 responses to “Wirtschaftlicher Selbstmord Katalaniens?

  1. Dr. Peter Neumann

    Eine Loslösung Katalaniens aus Spanien und Gestaltung als souveräner Staat wäre nur durch vorausgehende Verhandlungen und Übereinkommen zu gestalten. Eine unilaterale Unabhängigkeitserklärung würde sofort die im Artikel aufgelisteten Hürden hervorrufen, die wohl kaum bewältigbar wären. Aber für eine Verhandlungslösung müssten alle Akteure am selben Strang ziehen: Spanische Zentralregierung, EU (Rat und Kommission), EZB, IWF, die Welthandelsorganisation, Katalanien selbst und Andere. Fertige Verträge müsssen vorliegen, die simultan mit Inkrafttreten der Unabhängigkeit wirksam werden. Denkbar ist es aus rechtlicher Sicht, aber kaum zu erreichen, wegen des vorhersehbaren politischen Wiederstands.

    • Ich denke, dass das primär eine bilaterale, innerspanische Angelegenheit ist, bei der EU, IMF, WTO usw. zum jetzigen Zeitpunkt nichts verloren haben. Sollten die beiden sich auf eine Loslösung – sagen wir mit Termin in einem Jahr – einigen, dann könnten in der Zwischenzeit die anderen tätig werden. Aber eben: Mitgliedschaft in internationalen Institutionen ist nur für Staaten, bzw. deren Regierungen möglich, also zuerst müßte die UNO, bzw. deren Mitglieder den neuen Staat anerkennen, dann kann man die anderen Schritte gehen: ganz besonders unwahrscheinlich. Für Katalonien kann es höchstens um einige weitere Autonomiebereiche innerhalb des spanischen Staates gehen, alles andere ist Illusion. Aber: natürlich muss auch Spanien dem Teil der katalanischen Bevölkerung entgegenkommen, die mehr Unabhängigkeit wollen, da sich sonst die Fronten viel stärker verhärten. Andererseits haben sich die Separatisten und deren Führungspersonen bisher auch nicht um jene gekümmert, die bei Spanien bleiben wollen: alles Starrköpfe und Egoisten. Politik ist nur möglich, wenn zwischen allen Interessen vermittelt wird.

  2. Danke Kurt! Auch für den Seitenhieb auf “unsere” Medien. Ich hätte nur den “Selbstmord” in der Überschrift vor dem Hintergrund des Verhaltens der madrilenischen Zentralgewalt nicht genommen. Und verlegt nicht als erstes schon die Finanzwirtschaft ihre Standorte hinaus aus Catalunya? Nichts ist so flüchtig wie das Kapital … wer sagte das noch ?
    Peter

    • Peter, Du hast recht, ich habe das auch in einem späteren Kommentar (für das wiiw) geändert. Ja, das Kapital ist ein scheues Reh, ohne Zweifel: bei der ersten Vermutung einer für es negativen Entwicklung sucht es das Weite….

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