Industriestrategie in Zeiten der Coronakrise


Umbau statt Wiederaufbau

Die wirtschaftliche Krise im Gefolge von Covid-19 ist die tiefste seit dem 2. Weltkrieg. Dennoch sind alle Vergleiche mit diesem vollkommen falsch. Damals war nach 6 Jahren Krieg ein Großteil der Produktionsanlagen zerstört, ein großer Teil der männlichen Arbeitskräfte tot oder verwundet oder in Kriegsgefangenschaft, das Land verwüstet. Das alles trifft heute nicht zu, aber dennoch: Wollen wir nach der Krise eine „nachhaltigere“ Wirtschaft und Gesellschaft in den Bereichen Soziales-Umwelt-Wirtschaft, dann wird auch hier ein Teil des Produktivkapitals obsolet und abzuschreiben sein, zB viele der Flugzeuge, Teile der Autozulieferindustrie, viele der die Krise nicht überlebt habenden Unternehmen, vor allem im Tourismus- und Gastronomiebereich.

Die Regierungen haben viele der „alten“ Regeln außer Kraft gesetzt und zuvor unvorstellbar hohe Summen („whatever it takes“) versprochen und teilweise bereits ausbezahlt (Von den EU-Mitgliedstaaten wurden bisher ca 2 Billionen € zugesagt). So schwierig und langwierig der Wiederaufbau, bzw. Umbau der Wirtschaft sein wird, so groß ist auch die Chance, diese Krise zu nutzen und schon lange notwendige Änderungen, vor allem im Sozialbereich und im Klima- und Umweltschutz zügig gemeinsam mit dem Wiederaufbau anzugehen.

Konjunkturpaket in Richtung Nachhaltiger Umbau

Derzeit steckt Österreich in der (zeitlichen und konzeptuellen) Corona-Trias Nothilfe-Konjunkturpaket-Wiederauf-/Umbau noch im Nothilfe-Modus. Härtefallfonds, Corona-Hilfsfonds, Fixkostenzuschüsse, Steuer- und Abgabenstundungen, Kredithilfen, Kurzarbeit, Gastronomiepaket und Landwirtschaftshilfe versuchen, die ärgsten materiellen Schäden des Lockdown abzumildern.

Doch muss bereits jetzt die ab Sommer notwendige Konjunkturstützung und vor allem die längerfristige Ausrichtung der österreichischen Wirtschaft geplant werden. Dabei wird die kurzfristige Konjunkturstützung zeitlich und inhaltlich mit den längerfristigen Wiederaufbau-Agenden zusammenfließen. Es wäre teuer und sinnlos, mit einem Konjunkturpaket die alten, obsoleten Strukturen wiederherzustellen und dann – später – den Umbau der Wirtschaft in Richtung Nachhaltigkeit zu finanzieren. Die Weichenstellungen beginnen jetzt.

Rekapitulieren wir kurz: bereits vor der Corona-Krise gab es massive, mittelfristige Verwerfungen der Finanzmärkte (extreme Steigerung und Volatilität der Aktienkurse), eine immer weiter auseinanderklaffende Einkommens- und vor allem Vermögensverteilung mit gravierenden Auswirkungen auf den Zusammenhalt der Gesellschaft (Verarmung, Zurückbleiben migrantischer Gruppen bei Ausbildung, exorbitante Einkommensansammlung bei Unternehmensleitungen, Unternehmensrückkäufe statt Investitionen in Anlagen und Personal), und die immer virulenter werdende Klima- und Umweltkrise. Dazu kommt dann der abrupte Stillstand der Wirtschaft durch den Lockdown mit 500.000 Arbeitslosen und 1,3 Millionen Kurzarbeitern, Umsatzverlusten bei Tourismus-, Dienstleistungs- und Gastronomiebetrieben, besonders bei KMU, Kahlschlag bei Kulturschaffenden und NGO, Wegfall großer Teile der heimischen und Exportnachfrage, Ausfall bei vielen Wertschöpfungsketten, u.a.m.

Die notwendige Größe eines Konjunktur/Umbaupakets kann nur grob abgeschätzt werden: die EU geht für ihren Recovery Fund, der die nationalen Programme ergänzen soll, von ca. 1.5 Billionen € aus, das sind etwa 10% des EU-BIP. Nehmen wir das als Richtschnur, dann sollte das Österreich-Volumen etwa 40 Mrd € betragen (darin können kleinere Teile des bereits existierenden Programm von ursprünglich 38 Mrd € enthalten sein).

Es ist klar, dass für den nachhaltigen Wiederaufbau neben dem fortschrittlichen Dienstleistungsbereich (besonders Digitalisierung und Automatisierung) der Manufacturing-Bereich, Industrie und Gewerbe, eine tragende Rolle spielen wird. Die Bedeutung der Industrie für die Modernisierung der Wirtschaften, für die Bereitstellung hochqualifiziertee Arbeitskräfte, für die Umsetzung von gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Innovationen hat durch die Coronakrise neue Geltung erlangt. Sie wird einerseits durch die notwendige Modernisierung bestehender Anlagen und Produktionsprozesse, andererseits durch neu zu gründende Bereiche, die die Dekarbonisierung unterstützen, neue Bereiche gesellschaftlicher Nachfrage erschließen. Dies erfordert die Formulierung einer Nachhaltigen Industriestrategie, die auch den industrienahen Dienstleistungssektor (Wirtschafts- und Rechtsdienste, Beratung, Digitalisierung, Künstliche Intelligenz, Forschung und Entwicklung, Ausbildung) , aber auch Teile der Finanzdienste umfasst1. Spätestens die Coronakrise hat die Bedeutung eines „starken Staates“ gezeigt, welcher Verantwortung für Gesellschaft und Wirtschaft hat und den Privatsektor sowohl regulatorisch als auch finanziell überwacht. Ein erfolgreicher Privatsektor, der nachhaltigen Kriterien nachkommt, den Klimawandel begrenzt und das soziale Wohlergehen garantiert, benötigt einen klaren, von der öffentlichen Hand in Konsultation mit der Zivilgesellschaft erarbeiteten Rahmen.

Grundzüge einer Nachhaltigen Industriestrategie

Eine Neue Industriestrategie muss sowohl Abbau-/Umbausektoren ansprechen, als auch den Aufbau neuer Sektoren. Sie muss vorrangig folgende Bereiche umfassen:

– Sicherstellung entsprechender Vorhalte-Kapazitäten im Spitals- und Gesundheitsbereich, sowohl was Bettenanzahl, Personalausstattung, Geräteausstattung, sowie Schutzkleidung und weitere Notwendigkeit betrifft.

– „Grünes“ Infrastruktur-Investitionsprogramm in den Bereichen Energiepolitik (Erneuerbare Energie, dezentrale Netze), Verkehrspolitik (Ausbau des Öffentlichen Nah- und Fernverkehrs inklusive Luftfahrt/AUA), Thermische Sanierung im Wohnbau, Öffentliche Parkflächen als Teil einer nachhaltigen Raumplanung, Wiedergewinnung des Öffentlichen Raumes in den Städten

– Ausbau der Infrastruktur für Digitalisierung

– Inhaltliche und finanzielle Hilfestellung für den Umbau bestehender Produktionsanlagen und -verläufe in Hinblick auf soziale und ökologische Nachhaltigkeit (Dekarbonisierung, Produktumstellungen, Prozessoptimierungen): konkret braucht dies eine Strategie für den Stahl- und Nichteisen-Metallbereich, die Autozulieferindustrie, die Zementindustrie und die chemische und die Papier-Industrie als Sektoren.

– Förderung der kleinteiligen bäuerlichen Landwirtschaft, sowie von landwirtschaftlichen umwelt- und wasserschonenden Produktionsmethoden; Stärkung der regionalen Versorgung mit landwirtschaftlichen Produkten

– Forcierung von Forschung und Entwicklung in den Bereichen De-Karbonisierung, Digitalisierung, Gesundheitsvorsorge, Sozialstaatsanforderungen

– Erneuerung und Modernisierung im Kinderbetreuungs-, Ausbildungs- und Bildungsbereich aller Stufen mit besonderem Schwerpunkt für soziale Problembereiche; Forcierung von Facharbeiterausbildung durch Betriebe und überbetriebliche Werkstätten

– Modernisierung des Gewerberechts in Hinblick auf größere Flexibilität, Abbau hemmender Regularien, stärkerem Fokus auf Lehrlingsausbildung

– Zurückdrängung der Gängelung der Wirtschaft durch die Finanzmärkte: Einschränkung des Finanzmarktvolumens, Neubewertung und Lizenzierung einzelner Finanzprodukte in Hinblick auf ihre gesamtgesellschaftliche Funktion; Reduzierung des Handels mit Staatsanleihen durch langfristige, nicht handelbare Anleihen; Aufwertung von Bankkrediten für Haushalte und Unternehmen gegenüber Kapitalmarktprodukten; Einschränkung der meist spekulativen Börseaktivitäten

– Forcierung von regionalpolitischen Initiativen, die die größer werdenden Unterschiede zwischen einzelnen österreichischen Regionen zu verringern in der Lage sind. Förderung des Aufbaus regionaler Lieferketten (vertikale Cluster) durch kommunikative Beratungs- und Vernetzungsförderung

– Gezielter Abbau von umweltschädlichen Subventionen als Lenkungs- und Finanzierungsinstrument

– Flächendeckende Einführung eines die Lebenshaltungskosten deckenden Mindestlohns, zuerst im öffentlichen und Öffentlichkeits-nahen Bereich (Sozialbereich) mit zunehmender steigernder Wirkung auf die unteren Gehaltsstufen in den Kollektivverträgen

– Stärkere Kontrolle bei Unternehmensübernahmen bei Unternehmen der Daseinsvorsorge, der österreichischen Technologieführerschaft mit Möglichkeit des Einstiegs der Öffentlichen Hand (siehe ÖGBUN weiter unten).

– Die industriestrategischen Anliegen müssen mit einer ganzen Reihe von Maßnahmen im Bereich der Aktiven Arbeitsmarktpolitik, der Sozialpolitik, der Steuerpolitik, der Kulturpolitik und der Umweltpolitik unterstützt werden, um wirksam zu werden.

Die Erarbeitung dieses Umbauprogramms soll unter aktiver Mitwirkung des Parlaments (inklusive Opposition), der Bundesländer, der Gemeinden, sowie vor allem der organisierten (Sozialpartner) und nicht organisierten Zivilgesellschaft erfolgen. Für letzteres sind neue, elektronisch unterstützte Plattformen („Bürgerinnenfora“) zu nutzen, die bereits erfolgreich in einzelnen Bundesländern erprobt wurden.

Instrumente

Für die massiven finanziellen Mittel, die ein solches Programm erfordert, bestehen mit den Forschungsfonds bereits funktionierende Instrumente. Für durch die Krise notleidend gewordene, aber grundsätzlich erfolgreiche Unternehmen wäre eine „Gesellschaft des Bundes für Nachhaltige Unternehmensbeteiligungen (ÖGBUN) als Sanierungsgesellschaft einzusetzen, die diese mithilfe von Sanierungsspezialisten saniert und in Richtung Nachhaltigkeit umbaut und dann wieder in die Privatwirtschaft entlässt (siehe https://wordpress.com/post/kurtbayer.wordpress.com/2759). Die derzeit bestehende ÖBAG (Österreichische Beteiligungs-AG) könnte in diese hinein integriert werden. Dazu sollte eine Österreichische Investitionsbank, Österreichische Bank für Nachhaltigen Wiederaufbau, ÖBNW (siehe den oben genannten Blog vom 3.4.2020) kommen, welche Funktionen der früheren InvestitionskreditAG und der KommunalkreditAG im Bereich des Privatsektors und der kommunalen Infrastruktur mithilfe staatlicher Garantien übernimmt, aber im Eigentum des Staates steht2. In diese könnte die Förderbank des Bundes (AWS) integriert werden, die bereits jetzt einen Großteil der Covid-Hilfen auszahlt. Mithilfe eines ausgebauten Kriterienkatalogs soll diese ÖBNW geförderte Darlehen, im Einzelfall auch rückzahlungsfreie Zuschüsse, vergeben. In den Aufsichtsräten der ÖGBUN und der ÖBNW wären zur strategischen Führung die zuständigen Ministerien, aber auch externe Spezialisten vertreten. Die Mission beider Institutionen wäre an der sozialen, wirtschaftlichen und ökologischen Nachhaltigkeit auszurichten.

Finanzierung

In Österreich beträgt derzeit (2019) die Staatsschuldenquote 70.4%. Sie wird aufgrund der bereits derzeit zugesagten Mittel in den nächsten Jahren um mindestens 10 Prozentpunkte steigen. Es besteht die reale Gefahr, dass aufgrund der massiven internationalen Hilfsprogramme die verlangten Renditen für weitere Staatsverschuldung von derzeit Null deutlich steigen könnten. Auch die österreichischen Unternehmen sind relativ hoch verschuldet und könnten ihre Sanierung und ihren Umbau kaum mit weiteren Krediten finanzieren. Dies trifft vor allem auf die Klein- und Mittelunternehmen zu.

Aus diesem Grund ist sowohl für die Refinanzierung der staatlichen Mittel, als auch für jene, die den Unternehmen zugute kommen, Kreditfinanzierung möglichst zu vermeiden. Für die Unternehmen bedeutet dies, dass über die oben genannten Gesellschaften, dort wo sinnvoll, der Staat (zeitweise) Eigentum erwerben sollte. Damit wäre die laufende Mitsprache bei Umbau Richtung Nachhaltigkeit gewährleistet, ohne dass die Verschuldung der Unternehmen weiter steigt.

Für die Staatsfinanzierung wären langfristige (mindestens 30 Jahre) Anleihen, die nicht handelbar sind, auszugeben, bzw. für die über die EU laufenden Mittel, falls diese nicht Zuschüsse sind, Notenbankfinanzierung in einer EU-Vertragskonformen Weise anzustreben.

Aufgrund des massiven Wirtschaftseinbruchs ist es nicht vorstellbar, dass die schwer getroffenen Arbeitnehmer und die Einpersonen-, Klein- und Mittelunternehmen den Staatshaushalt durch höhere Steuern (konkret Einkommen- und Mehrwertsteuern) finanzieren. Dies würde die Konsumneigung wie auch die Investitionsneigung der KMU negativ treffen und die Steuerlast weiter in Richtung Kleinverdiener verschieben. Höchste Einkommen, sowie in nicht-produktiven Bereichen „gebunkerte“ Vermögenswerte, bzw. Erbschaften sind jedoch sehr wohl für die Finanzierung heranzuziehen3. Grundsätzlich sollten auch Steuerverhalten, Gewinnverwendung und Remunerationspolitiken der Unternehmen in die Kriterien für staatliche Hilfe einbezogen werden. Der Preis einer solchen stringenten Strategie wäre die erfolgreiche Weichenstellung in Richtung einer sozial, ökologisch und wirtschaftlich nachhaltigen Wirtschaft.

1Hier sei auch an die aktuelle Stellungnahme des Climate Center Austria sowie den Offenen Brief der Klimaforscherinnen der Österreichischen Akademie der Wissenschaften vom 30.4.2020 erinnert, die beide die Notwendigkeit der raschen Verbindung der Covid-19 Maßnahmen mit den dringenden Maßnahmen zur Bekämpfung des Klimawandels ansprechen.

2 Die Struktur der früheren InvestitionsKreditAG, sowie der heutigen Österreichischen Entwicklungsbank, beide im Eigentum von Privatbanken, schaffen hemmende und Interessenkonflikte schaffende Strukturen, die kaum auflösbar sind. Als Staatskommissär, bzw. Aufsichtsrat dieser Banken habe ich diesbezügliche eigene Erfahrungen.

3Hier erinnere ich an das kürzlich von ATTAC vorgestellte Modell eines „Lastenausgleichs“, konkret einer Vermögensabgabe hoher und nicht betrieblich notwendiger Vermögen. https://www.attac.at/fileadmin/user_upload/dateien/kampagnen/Corona/Der_Corona-Lastenausgleich.pdf

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