Good, Bad and/or Ugly?: “Ethische” Investitionen als neues Geschäftsfeld


(Dieser Artikel erscheint in Kürze in der Zeitschrift INTERNATIONAL)

Zur Finanzierung der Grünen Wende sind private Investitionen unerläßlich. Im Interessenkonflikt zwischen finanzieller Rentabilität und übergeordnetem Ziel („Impact“) hat bisher erstere gewonnen.

Mit den Green Deals als Reaktion auf die UNO-vereinbarte Agenda 2030 tut sich ein riesiges neues Geschäftsfeld für Investoren und die Finanzindustrie auf. Es ist Konsens, dass privates Kapital zur Bekämpfung der Klima- und Umwelt-, sowie der sozialen Krisen zusätzlich zu öffentlichen Investitionen notwendig sein wird. Viele Investoren, von „kleinen Sparern“ bis zu großen Pensionsfonds, wollen zur Finanzierung und damit zur Krisenlösung beitragen. Alle großen und kleineren Banken und Fonds bieten heute verschiedene „ethische“ Investitionsmöglichkeiten an. Schon zuvor haben einige kleine Nischenanbieter „Impact Investing“, also anderes als finanzielle Renditen als Hauptzweck der Investition verfolgend, angeboten.

Dieser Trend läuft unter den Titeln „Green Investing“, „Responsible Investing“, „Ethical Investing“, „SDG (Sustainable Development Goals1) Investing“, „Impact Investing“ und bezeichnet einen weiteren inhaltlichen Zweck als den reinen Finanzertrag als Anlageziel. Es gibt Hinweise, dass solche Investitionsvehikel (Mutual Funds, Bankenportfeuilles, Genossenschaften, Einzelbanken) nicht weniger Finanzertrag abwerfen als die üblichen reinen Renditevehikel2.

Grüne Fonds (ich verwende im weiteren diese Bezeichnung als Kürzel für alle diese Zielsetzungen) sind also Mutual funds oder andere Finanzinstrumente, welche soziale und ökologische, aber auch andere positiv besetzte Corporate Governance-Ziele verfolgen. Sie können in Unternehmen investieren, die zB im Grünen Transportbereich, in Alternativenergien, für sozial- und umweltgerechtes Wohnen tätig sind, sowie besondere Arbeitsbedingungen3 und Diversitäts- und Transparenzkriterien in ihren Geschäftspraktiken einhalten4. Unter diesem Titel (oft auch als Impact Investment bezeichnet) steigt das Anlagevolumen in den letzten Jahren ganz gewaltig (siehe weiter unten). Die hier untersuchte Frage ist, ob in diesen Fonds auch immer das drin ist, was in den Prospekten angekündigt wird.

Gute Nischenanbieter

Einzelne dieser Institutionen, wie zB Oikocredit International, haben diesen besonderen Investitionszweck, also ethisches Investieren, bereits vor den aktuellen Green Deals und den klimarelevanten Vorgaben seit den Pariser Klimazielen 2015, angeboten. Sie investieren in Entwicklungsländern mit dem Hauptziel, den Kampf gegen Hunger und Armut, aber auch die anderen Sustainable Development Goals (siehe FN 1) voranzutreiben. Oikocredit ist ein Nischenanbieter, der mit den großen Fonds nicht in Marktanteilskonkurrenz kommt5. Es sammelt Geld von Social Impact bewußten Sparern ein, leitet diese Gelder an die “Zentrale” in Holland weiter, die diese dann nach vereinbarten “ethischen” Kriterien an ihre mehr als 500 internationalen Partner vor Ort als Darlehen vergibt. Die Partner ihrerseits, vergeben diese Gelder als Mikrokredite “mit Sinn”6, also mit einem sozialen Zweck, der über die Einkommenserzielung hinausgeht, vor allem Zugang zu “inclusive finance”, aber auch Bildung, Gesundheit, etc. verbunden ist. Die steigenden Mitgliederzahlen (in Österreich sind es derzeit ca. 6.500 Mitglieder, die insgesamt etwa 130 Mio € Kapital eingebracht haben) zeigen die hohe und zunehmende Nachfrage nach ethischem Investment auf der Kleinanlegerseite auf. Hohe Transparenz über die Aufbringung und Verwendung der Mittel, eine Vielzahl von Informations- und Schulungsaktivitäten, sowie die permanente Weiterentwicklung von Meßmethoden, wie man Social Impact7 über die Zeit als Erfolgsindikator für die eingebrachten Mittel darstellen kann, sowie die niedrige Ausfallquote bei Krediten, die durch professionelles Management und breite Streuung der Portefeuilles erreicht wird8. Lange Zeit wurde eine jährliche Dividende von 2% ausbezahlt, im Jahr 2020 diese allerdings, aus Vorsichtsgründen aufgrund der durch die Corona Pandemie verursachten Turbulenzen, ausgesetzt. Jedes einzelne finanzierte Projekt kann von den Vereinsmitgliedern eingesehen werden, in jährlichen Jahresberichten9 und Social Impact Reports werden Zielsetzungen und Ergebnisse leicht verständlich präsentiert.

Volumen statt Inhalt: Bad

In den letzten Jahren hat sich die Zahl solcher Grüner Fonds (diese Bezeichnung dient pars pro toto für alle einschlägigen Investitionsvehikel) ebenso erhöht wie das in sie investierte Volumen. Laut Financial Times10 waren 2020 in den 5 größten Ländern/Regionen (USA, Kanada, Japan, Australasien, EU) mehr als 35 Billionen $ in solche SDG Fonds investiert, das sind 36% aller Investitionsanlagen .

Befördert werden alle diese Aktivitäten, die wie erwähnt bereits mehr als ein Drittel des Marktes „erobert“ haben, durch die international und national initiierten Politiken, die sich aus den von den UNO Mitgliedern vereinbarten Zielen der Agenda 2030 (Sustainable Development Goals) und des Pariser Klimaabkommens 2015 ergeben. Unter letzterem haben sich die Länder entschlossen, ihre Wirtschafts- und Umweltpolitiken darauf auszurichten, den weltweiten Temperaturanstieg auf 2 Grad, bzw. 1,5 Grad zu begrenzen. Das Folgeabkommen COP26, welches Ende Oktober/Anfang November in Glasgow stattfand, sollte dazu führen, die Anstrengungen der Mitgliedstaaten, die laut Bericht des UNPCC noch weit weg von der Erreichung dieses Ziels sind, zu verstärken und verbindliche Zeitpfade sowie „Meilensteine“ zur Erreichung der Ziele festzulegen. Dies ist nur sehr unzureichend gelungen, wenn auch eine Reihe von Ländern beeindruckende Zielpfade vorgelegt hat. Im Vorfeld der Verhandlungen wurde bekannt, dass Länder mit großen Fossilenergie-Vorkommen (zB Russland, Saudiarabien, Emirate) massiv gegen allzu strenge weitere Zielvorgaben und vor allem gegen Moratorien weiterer fossiler Energieexploration, wie sie von der Internationalen Energieagentur vorgeschlagen wurde11, lobbyiert hatten.

Es ist klar, dass zur Erreichung dieser ehrgeizigen Ziele viel privates Kapital, neben öffentlichen Investitionen, notwendig sein wird. Damit wird der private Finanzsektor eine wichtige Rolle bei der Mobilisierung dieser notwendigen Ressourcen spielen müssen. Nick Stern, der britische Ökonom, der 2006 die bahnbrechenden ersten Berechnungen zu den notwendigen Investitionskosten einer Klimawende vorgelegt hat, hat mit 2% des globalen GDP jährlich erste Zielvorgaben definiert12. Bei einem Welt-GDP von etwa 90 Bill. $ im Jahr 2021 wären das weniger als 2 Bill. $ pro Jahr. Eine neuere Schätzung der OECD13 beziffert das weltweite Investitionserfordernis für die notwendige Infrastruktur bereits mit 6.9 Bill $ pro Jahr bis 2030. Mark Carney, der UNO-Beauftragte für Klimaaktivität und Finanzierung schätzt eingangs des COP26 Treffens einen globalen Aufwand von 100 Bill $ (etwas mehr als ein Jahr globales Nationalprodukt) für die nächsten drei Jahrzehnte. Für die Europäische Union werden jährliche Infrastrukturkosten von mindestens 500 Mrd € prognostiziert Die derzeitigen Ausgaben liegen weit darunter.

Der US-amerikanische „Green Deal“, sowie der „European Green Deal“ setzen beide ambitionierte Ziele für die Erreichung der Pariser Klimaziele. Der EU Sustainable Finance Action Plan, das im EU Wiederaufbauplan definierte Ziel, dass 37% für Klimaziele von den Mitgliedsländern auszugeben sind, sowie die EU Sustainable Finance Disclosure Regulation14zeigen die Anstrengungen der EU, die Finanzierung der Klima- und Umweltziele auf eine überprüfbare Basis zu stellen. Auch die Anstrengungen der Europäischen Zentralbank, von den zu überwachenden Banken und anderen Finanzinstitutionen belastbare Informationen über ihre entsprechenden Portfolios zu erhalten, gipfeln in der so genannten EU „Taxonomy“ Verordnung vom Juni 2020, die Kriterien dafür festlegt, was als „grün“ zu bezeichnen ist und was nicht15. Mit der Verordnung werden Finanzmarktteilnehmer, z. B. Investmentfonds, die ein Finanzprodukt als ökologisch positiv vermarkten wollen, verpflichtet, über den Anteil an ökologisch nachhaltigen Investitionen im Sinne der Verordnung zu berichten. Unternehmen, die zur nicht-finanziellen Berichterstattung unter der (sog. CSR-Richtlinie16) verpflichtet sind, müssen künftig in ihren einschlägigen Erklärungen Angaben darüber aufnehmen, wie und in welchem Umfang die Tätigkeiten des Unternehmens mit ökologisch nachhaltigen Wirtschaftstätigkeiten verbunden sind. Mit dieser Verordnung wird auch der Inhalt der verpflichtenden Berichterstattung über den Klima- und Umweltaspekt hinaus in Richtung Erfüllung der Sustainable Development Goals erweitert.

Die EU-Kommission hat im Oktober 2021 erstmals selbst einen GreenBond im Ausmass von 12 Mrd € emittiert (das Vereinigte Königreich hat bereits vorher ein etwas geringeres Volumen platziert), um damit einen Teil ihres Wiederaufbauplans im Ausmass von etwa 780 Mrd € zu finanzieren. Die EU plant, zum Weltmarktführer für GreenBonds zu werden und in den nächsten Jahren etwa 250 Mrd € an solchen Green Bonds auf die Märkte zu bringen. Der angesprochene EU Green Bond war etwa 13-fach überzeichnet und hatte einen Koupon von 0.45%. Damit lagen die Finanzierungskosten leicht unter denen nicht-dedizierter Anleihen. Auch Deutschland, Frankreich, Spanien, Italien und Polen haben bisher Grüne Staatsanleihen aufgelegt, die sich alle gut verkauften. Die Nachfrage nach solchen Fonds ist offensichtlich gegeben. Fraglich jedoch ist, ob alle diese Anleihen und Fonds den proklamierten Ansprüchen genügen.

Zu erwähnen ist in diesem Zusammenhang auch die besondere Rolle des weltgrößten norwegischen Staatsfonds, der mit 1.4 Bill $ Anlagevolumen ca. 2% aller weltweit gelisteten Aktien hält, und damit großen Einfluss hat: gespeist wird er aus den Einnahmen aus dem Öl- und Gasgeschäft Norwegens, brüstet sich jedoch damit, „ethisch“ zu investieren, indem er statutengemäß keine Anteile an Tabak-, Alkohol- und Waffenproduzenten, sowie neuerdings auch Kohlegruben halten darf. Er sieht sich in seinem Selbstverständnis als Pionier und positives Beispiel für ethisches Investment. Auf die Frage, ob ein aus Öl- und Gaseinnahmen gespeister Fonds die Ziele des Pariser Abkommens nicht konterkarierte und diese Quellen daher eingestellt werden sollten, sagt der neugewälte Premierminister, dass ein „sofortiger Förderstopp den Übergang zu einer ökologischen Wirtschaft mit erneuerbarer Energie verhindern würde, da norwegisches Gas eine unverzichtbare Übergangsenergieform hin zu einer tragfähigen Wirtschaft“ sei17.

„Greenwashing“: Ugly

Allerdings meldet auch die nicht unbedingt investitionsfeindliche Financial Times Zweifel an, ob wirklich alle so bezeichneten und als solche verkauften Fonds den potenziell hohen inhaltlichen Ansprüchen entsprechen, die ihr Name suggeriert. Offenbar beginnen auch Anleger an der Seriosität einiger dieser Angebote zu zweifeln. Derzeit entstehen erst weltweit erste Versuche, einheitliche Definitionen und Standards für solche Fonds zu entwickeln. Es ist zu erwarten, dass erst nach stärkerer Vereinheitlichung und besserer Durchsetzung und Durchführung durch die Aufsichtsbehörden belastbarere Zahlen entstehen werden.

Medieninformationen und Aufschreie von Nicht-Regerungsinstitutionen über „Greenwashing“, also das ungerechtfertigte Sich-Schmücken mit hochtrabenden Zielsetzungen zeigen, dass der derzeitige Wildwuchs an unterschiedlichen, oft selbst gewählten Definitionen eher nicht zur Vertrauensbildung der Anleger beiträgt.

Laut Auskunft des Rain Forest Network18 haben seit desm Beschluss des Pariser Klimaabkommens 2015 die 35 größten Banken der Welt, von denen viele sich mit Nachhaltigkeitsansagen schmücken, 2.2 Billionen $ in fossile Produkte (Öl, Gas, Kohle) herstellende Unternehmen gesteckt19. Die Financial Times berichtet, dass globale Banken und Vermögensverwalter, die alle „no-deforestation“ policies in ihren Statuten haben, in den letzten 5 Jahren 119 Mrd $ in Agrokonzerne investiert haben, die mit Entwaldungen des Regenwaldes in Beziehung gebracht werden20, viele davon indirekt durch Nahrungsmittelproduktionen, wie Sojaanbau, Palmöl und Rinderzucht, also auch durch die Aktivitäten ihrer Wertschöpfungsketten. Ein EU Lieferkettengesetz war für Oktober 2021 geplant, der Entwurf wurde heftig kritisiert21. Ebenso liegt ein österreichische Entwurf vertagt im zuständigen Ausschuss22. Deutschland hat im Herbst 2021 ein solches Gesetz, das den Endfertiger für die ökologischen, arbeitsrechtlichen und sonstigen CSR-Bedingungen seiner Lieferanten haftbar machen soll, beschlossen.

Der Londoner Klima-Think Tank InfluenceMap hat 723 Eigenkapitalfonds mit mehr als 330 Mrd $ Vermögen untersucht, die sich mit Schlagworten wie umweltfreundlich, soziale und Governance Ziele (ESG) verfolgend vermarkten und festgestellt, dass mehr als die Hälfte dieser Fonds ihren selbstvermarkteten Ansprüchen nicht gerecht wird23. Bei jenen Fonds, die zusätzlich zu den Umwelt/Klimaziele auch Governance-Ziele wie zB Arbeitsbedingungen, Diversität etc. vermarkten, entsprechen sogar 70% nicht den selbstgestellten Ansprüchen.

Dieser Bericht weist auch auf einige der größten Vermögensverwalter, hin zB UBS, Black Rock und State Street Corporation, die allesamt irreführende Angaben machen. So zB hat State Street einen Fonds aufgelegt, der sich als „frei von fossilen Reserven“ bezeichnet, jedoch Anteile von Marathon Petroleum und Phillips 66 enthält, zwei der laut Influence Map lautstärksten Lobbyisten gegen effektive Klimapolitik. Der britische Economist hat im Mai 2021 festgestellt, dass einige der größten ESG Fonds der Welt (insgesamt sind dort 1.7 Billionen $ investiert) „stuffed full of polluters and sin stocks“ seien. Einige Fonds haben sich zwar aufgrund massiver Wünsche von Investoren einiger Fossilaktien entledigt, doch haben sie sie an andere Fonds verkauft – wodurch zwar Fonds A sauberer, Fonds B jedoch „schmutziger“ ist, und sich für das Klima insgesamt nichts geändert hat. Dies würde nur durch die Stilllegung der fossilen Aktivitäten passieren. Der Autor dieses Zeilen hat hiefür die Schaffung einer „Klima Bad Bank“ vorgeschlagen, die betroffenen Unternehmen (unter strengen Auflagen) helfen könnte, solche Vermögenswerte stillzulegen24 und damit ihre klimazerstörende Wirkung einzustellen.

Neben der Förderung fossiler Energieerzeuger, listen Kritiker als Beispiele für Greenwashing etwa Plastikverpackungen in Supermärkten, die Rettung des Regenwaldes, Grüne Sklavenarbeit, Delfin-freundlichen Thunfischfang, Grüne Kreuzschifffahrt und viele andere, einzelnen Unternehmen zugeordnete Aktivitäten auf, die schleunigst abgestellt gehörten25. Auch Aufsichtsbehörden nehmen zunehmend einschlägige Mißbrauchsaktivitäten ins Visier, so zB hat die US Börsenaufsicht kürzlich eine Klage gegen die Deutsche Bank eingebracht26.

Wenn man gnädig sein will, kann man dieser Verwerfungen auf die relative Neuheit „grüner Investitionsziele“ zurückführen, für die das entsprechende Regelungswerk noch nicht auf den Weg gebracht ist. Realistischer ist allerdings die Einschätzung, dass hier clevere Vermarkter den in den Bevölkerungen weit verbreiteten Eindruck, dass die bestehenden Umwelt-, Klima und sozialen Krisen bekämpft werden müssen, ausnützen, um dieses neue Geschäftsfeld auch mit vielen ethisch äußerst fraglichen Mitteln zu vermarkten. Zivilgesellschaft und Aufsichtsbehörden haben hier ein weites Betätigungsfeld.

Schlussbemerkung

In seinem „Spaghetti“ Western „The Good, the Bad and the Ugly“, von 1966 zeigt Sergio Leone die konfliktreiche gegenseitige Beziehung der drei mit diesen Eigenschaften bezeichneten Protagonisten in ihrem Wettstreit um einen Goldschatz der US-Südstaaten (1862) auf. Wie in einem Western üblich, siegt das/der Gute, wenn auch die „Kollateralschäden“ hoch sind. Bei Grünen und SDG Fonds lassen sich diese drei Charakterisierungen allesamt leicht feststellen. Sie stehen jedoch eher parallel nebeneinander als in Konkurrenz.

Zweifellos kann und muss der Finanzsektor bei der Bekämpfung der Klimakrise (und auch anderer Krisen) eine wichtige Rolle spielen. Erste Ansätze hiezu wurden auch beim kürzlichen COP26 Treffen in Glasgow angekündigt, siehe zB die Mark Carneys Initiative Glasgow Financial Alliance for Net Zero (GFANZ)27, mit der er 130 Bill $ schwere Finanzmarktakteure zum Mitmachen überredet haben soll. Diese Ankündigung wird in den nächsten Jahren auf Umsetzung zu überprüfen sein. Auch die in Glasgow angekündigte Gründung eines International Sustainability Standard Boards (ISSB) in Frankfurt, welches gemeinsame Standards für Finanzberichte erarbeiten und implementieren soll, ist ein Schritt in die richtige Richtung.

Dennoch: in einer kapitalistischen Wirtschaft, in welcher Gewinnerzielung der alles überragende Treiber von Wirtschaft und Finanzierung ist, geht es den Finanzakteuren bei Grünem Investieren primär um die Eröffnung und Ausbeutung eines neuen, weiteren Geschäftsfeldes, welches Profit verspricht. Kleininvestoren, besser einzelne Sparer, die in „ethische“ Fonds investieren, können sich teilweise dieser Profitlogik entziehen, indem sie andere als finanzielle Renditen zum Hauptzweck ihrer Investition machen. Sie und damit diese Banken/Fonds stellen aber nur eine quantitativ kleine Nische im gesamten Finanzmarkt dar, die für die großen Fonds keine Marktanteilsbedrohung darstellen. Im besten Fall können sie als Beispielwirkung allerdings die Keimzelle für weitere positive Entwicklungen darstellen. Diese „kleinen“ Fonds entheben jedoch die Finanzmarkt-Aufsichtsbehörden keineswegs der Verpflichtung, bei den „großen“ Fonds die vielfach auftauchenden Mißstände groß angelegten „Greenwashings“ und damit verbundenen Mis-Sellings in einem rasch gewachsenen neuen Marktsegment effektiv zu bekämpfen. Dies benötigt einerseits möglichst weltweit einheitliche Kriterien und Standards, was denn tatsächlich „Grüne Investition“ auszeichnet28, andererseits die effektive strikte Ahndung der Irreführung von Anlegern.

Derzeit trägt das Finanzsystem insgesamt zweifellos, trotz gegenteiliger Behauptungen, wie in der Vergangenheit weiterhin zur Verschärfung des Klimawandels und der Umwelt- und Sozialkrise bei. Erst eine grundlegende Transformation des Finanzsystems, welches der Erreichung eines „Guten Lebens für alle“ und dem Schutz von Umwelt und Klima statt privater Renditeerzielung den obersten Zweck des Finanzierungsgeschehens, also letztlich die Erreichung von gesamtgesellschafltichen Zielen einräumt, wird diese schädliche Rolle des Finanzsystems beenden29. Kleinere regulatorische Maßnahmen innerhalb der bestehenden Profitlogik können bestensfalls etwas mildernde Wirkung ausüben. Der überbordenden Lobbykraft der Finanzindustrie, die sich zum ökonomisch und politisch bedeutendsten Wirtschaftssektor entwickelt hat, ist bisher nur wenig Politikrelevantes entgegengesetzt worden. Der Weg zu einem Finanzsystem, das sich als Anbieter eines „öffentlichen Gutes“ sieht und entsprechend agiert, ist noch weit.

1Sustainable Development Goals sind die 17 von den UNO-Mitgliedern verabschiedeten Entwicklungsziele für alle Länder der Welt, die 2015 in der Strategie 2030 beschlossen wurden, https://sdgs.un.org/goals

2Die jüngst von der EU Kommission aufgelegte Grüne Anleihe hat einen Koupon von 0.45% und liegt damit über dem derzeitigen Anleiheniveau; siehe auch die Masterarbeit von H- Kienbacher, Nachhaltiges Investieren in Österreich unter Berücksichtigung des Private Banking Sektors, Kepler Universität, Linz 2019, S. 87, in welcher sieben internationale Metastudien ausgewertet werden; https://epub.jku.at/obvulihs/download/pdf/3559501?originalFilename=true

3z.B. explizit die Vorgaben und Verbote der Internationalen Arbeitsorganisation ILO

4 https://www.investopedia.com/articles/stocks/07/green-industries.asp

5Diese und die weiteren Aussagen beruhen auf einem Gespräch mit Friedhelm Boschert, dem Vorsitzenden des österreichischen Fördervereins Oikocredit Austria.

6Slogan entlehnt der von der Wiener Tafel initiierten Weihnachtsaktion „Suppe mit Sinn“, wo eine Vielzahl von teilnehmenden Restaurants jeweils 1€ von jeder verkauften Suppe an die Wiener Tafel abgibt, welche damit die Verteilung von Lebensmitteln an Sozialinstitutionen finanziert.

7https://www.oikocredit.coop/en/impact-report

8Die langfristige Ausfallquote liegt mit 1%-2% der Kredite unter jener von Fonds und Kommerzbanken

9https://www.oikocredit.at/k/n7937/news/view/341520/120370/der-jahresbericht-2020-von-oikocredit-austria-ist-da.html

10 Sarah Murray, Investor scepticism on ESG points to a maturing market“,FT, 18.10.21

11 https://www.iea.org/reports/net-zero-by-2050

12https://www.lse.ac.uk/granthaminstitute/publication/the-economics-of-climate-change-the-stern-review/

13https://www.oecd.org/environment/cc/g20-climate/kurzfassung-investing-in-climate-investing-in-growth.pdf

14 https://www.sustainalytics.com/esg-research/resource/investors-esg-blog/eu-sustainable-finance-disclosure-regulation-an-update?Update – 3 March, 2021

15 https://de.wikipedia.org/wiki/Verordnung_(EU)_2020/852_Taxonomie-Verordnung

16 EU-Richtlinie 2014/95/EU

17„Drilling shutdown would mean end of green transition, Norwegian PM warns, FT 25.10.2021, https://www.ft.com/content/cbf5bc66-660f-46da-a4f7-4f26eb752298

18https://www.ran.org/

19Zitiert nach Gäckle Gäckle T., Litofcenko J., Mittendrein L., Schmid L., Taschwer M. „Finanzsystem: Warum grüne Geldanlagen das Klima nicht retten werden“. In: Armutskonferenz, Attac, Beigewum (Hg.). Klimasoziale Politik, bahoe Wien 2021, S. 237

20„Banks lend hand to deforestation-linked groups“, Financial Times, 22.10.2021

21https://awblog.at/eu-lieferkettengesetz-meilenstein-oder-etikettenschwindel/; https://www.handelsblatt.com/politik/international/menschenrechte-gesamteinschaetzungnegativ-eu-fachleute-kritisieren-lieferkettengesetz-der-kommission/27309932.html?ticket=ST-6787696-Qyfh5OLgxnMIRrOcBNET-cas01.example.org

22https://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXVII/A/A_01454/index.shtml

23 Amy Gunia, (https://time.com/6095472/green-esg-investment-funds-greenwashing/, September 20, 2021

24Bayer K., Hagen L. Eine „Klima Bad Bank“, 11. Juni 2021, https://wordpress.com/post/kurtbayer.wordpress.com/3123

25 Greenwashing Beispiele: https://nachhaltige-deals.de/nachhaltiger-leben/greenwashing-beispiele/

26https://www.zeit.de/wirtschaft/unternehmen/2021-08/deutsche-bank-tocher-dws-url-dws-fondsanbieter-deutsche-bank-tochter-us-boersenaufsicht-ermittlungen-nachhaltigkeitsangaben?utm_referrer=https%3A%2F%2Fwww.google.com%2F

27https://ifamagazine.com/article/cop26-mark-carney-and-gfanz-announce-130trillion-commitment-to-net-zero-by-financial-sector/

28Eine Reihe von entsprechenden Initiativen (zB die EU Green Taxonomy) ist im Entstehen, doch sind diese noch weit weg von allgemein verbindlichen Regeln.

29Gäckle et al., op.cit

1 Comment

Filed under Crisis Response, European Union

One response to “Good, Bad and/or Ugly?: “Ethische” Investitionen als neues Geschäftsfeld

  1. Spitzen Artikel, vielen Dank für die ausführlichen Zusammenhänge. Da wird die Arbeit an der Umsetzung der Taxonomie Verordnung in der Bauwirtschaft gleich nochmal spannender…

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