Die Syriza-Gefahr / The Syriza Danger


Medienbeiträge zur aufkeimenden Hysterie in den Medien anläßlich eines möglichen Wahlsieges von Syriza.

Media exchanges on the Media hysterics in the face of a possible election victory by Syriza in Greece.

(Kommentar, weitgehend abgedruckt im Standard am 2.1.2015)

Rauscher “hemmungslos”!

In seiner Kolumne “Putin, Orban, Erdogan, Chavez, Tsipras, Renzi” im Der Standard vom 30./31. Dezember beschwört Hans Rauscher die Gefahren von Links- und Rechtspopulisten, die „Europa zielstrebig in eine autoritäre, nationalistisch-völkisch unterlegte Herrschaft steuern“. Gemach, gemach, Herr Rauscher, Ihre Liste setzt Äpfel mit Birnen gleich und verkennt mit Ihrem richtigen letzten Satz „Die gemäßigten, verantwortungsvollen Kräfte sind fast überall in der Defensive“ die Ursachen und die Verantwortung für die derzeitige politische Misere. Diese „gemäßigten“ Kräfte sind es, die Europa und die Eurozone in die jahrelange Rezession mit zunehmender Verarmung und Hoffnungslosigkeit getrieben haben, die aus ihrer verfehlten Krisenbewältigung nichts gelernt haben und weiter am Austeritätskurs als Hauptstrategie festhalten, obwohl dieser für Rezession, Deflationsgefahr und weiter steigende Schuldenquoten verantwortlich ist.

Ich möchte hier eine Lanze für Renzi und Tsipras brechen, die aber schon wirklich nicht in die obige Liste der „Übeltäter“ gehören. Wenn diese beiden sich von Brüssel und Deutschland „nichts vorschreiben“ lassen wollen, wenn diese eine neue Wirtschaftspolitik der EU verlangen und teilweise auch dafür Rezepte (wenn auch viel zu wenige und radikale) anbieten, wenn diese die Verantwortung von Deutschland (und anderen) für diese verfehlte Wirtschaftspolitik einfordern, dann bietet dies die ersten Sonnenstrahlen einer Umkehr dieser Politik. Und ein bißchen mehr journalistische Recherche wäre auch angebracht. Herr Tsipras hat ja nie, wie derzeit allerorten verkündet wird, mit der Einstellung aller griechischen Zahlungen (Staatsbankrott) gedroht, sondern Verhandlungen mit den Gläubigern vorgeschlagen, die darauf abzielen, den riesigen Schuldenberg Griechenlands bewältigbar zu machen. Griechenland hat seit Krisenbeginn mehr als ein Viertel seiner Wirtschaftsleistung verloren, die für die vorige Mißwirtschaft verantwortlichen Parteien (laut Rauscher offenbar „gemäßigt und verantwortungsvoll“) bilden die jetzige Regierung. Ist es da nicht verständlich, und auch wünschenswert, wenn angesichts dieses vollkommen Vertrauensverlustes der verarmten Bevölkerung konstruktive Alternativen von Syriza angeboten werden? Es nützt nichts, diese Bewegung zu verteufeln und wie Ministerpräsident Samaras mit einer Angst- und Panikkampagne die Menschen in der nächsten Wahl von Syriza abhalten zu wollen. Es sind ja nicht die Finanzmärkte, denen die griechische und die europäische Politik dienen sollen, sondern die Menschen.

Rauscher ist also am Holzweg, wenn er den die Augen vor ihrer eigenen Unfähigkeit verschließenden herrschenden Kräften die Stange hält – und dabei den wachsenden Rechts- und Linkspopulismus beklagt. Man muß in Europa endlich das Steuer der Wirtschaftspolitik massiv herumreißen, will man die Europäerinnen und Europäer von der Sinnhaftigkeit der EU (wieder) überzeugen: machen wir alle so weiter wie bisher, spielen wir den fürchterlichen Vereinfachern und Angstmachern in die Hände.

(Auf eine weitere Rauscher-Antwort brachte de Standard am 5.1.2015 folgende Kurzzeilen von mirJ

“Lernen Sie Wirtschaftsgeschichte, Herr Redakteur!

Tsipras versteht oekonomisch wahrscheinlich deutlich mehr von der griechischen Wirtschaft als Hans Rauscher: er sieht die taegliche Verarmung, das Nicht-Vorhandensein von lebensnotwendigen Medikamenten, die 30%-Senkung der Pensionen, die 26% Arbeitslosigkeit, die Hoffnungslosigkeit der Jugend, die keine Arbeit und kein Einkommen hat – mit einem Wort: die tiefe Not der Bevoelkerung. Daher schlaegt er eine Politik vor, die als Grundlage jener aehnelt, die die Alliierten, vor allem die USA, Deutschland angedeihen liessen, indem sie diesem weitestgehend die Kriegsschulden (Reparationen) strichen, damit die Investitionsoffensive des Marshall-Plane ohne konfiskatorischen Schuldenberg greifen konnte. Eigenartigerweise will sich das heutige Deutschland daran nicht mehr erinnern.

Es ist nicht nur falsch, sondern perfide, wenn Rauscher, um seine Verurteilung Tsipras’ zu retten, dessen Politik alle Fehler  der letzten griechischen Regierungen andichtet: “Die griechische Katastrophe geht genau auf jene jahrzehntelange Misswirtschaft zurück, die Tsipras nun fortführen und potenzieren will: Aufblähung des Staatsapparates, um Parteifreunde zu versorgen, Vernachlässigung des (kleinen) produktiven Sektors zugunsten des trägen Staatsapparates, Klientelismus zum Exzess, nicht vorhandene Steuermoral, sowohl bei den Reichen wie beim gewöhnlichen Bürger, Mangel an Bürgersinn überhaupt. Die Solidarität gilt dem eigenen Clan, der Staat ist zum Betrügen da. Das endet in regelmäßigen Abständen im Beinahe-Staatsbankrott.”

Woher will Rauscher dies wissen? Lasst Tsipras und sein Team arbeiten, wenn er die Wahl gewinnt. Rauscher hat recht, dass Griechenland einen Neuanfang braucht: ich traue diesen Syriza mit Tsipras viel eher zu als den Protagonisten der griechischen Misere. ”

(On Dec. 31, 2014 I sent the following Letter to the Financial Times editor, also concerning the FT warning of a Syriza election victory.)

Gideon Rachman titles his comment in the FT on Dec.30, 2014 “Voters are the eurozone’s weakest link” and goes on to say in some horror that populations in Europe may “cast their ballots for “anti-system” parties that reject the European consensus on how to keep the single currency together”.

This very provocatively begs the question of who is the carrier of this supposed consensus, the EU heads of state or their populations? And further: who actually is the subject of EU and Eurozone policy making: as Rachman and many others unwittingly believe, the financial markets, or the people? More and more we hear that countries have to regain “credibility” by getting their budgets in order and engage in undefined “structural change”. And again, I would ask: Credibility with whom do governments, especially those in crisis countries, have to gain? That of financial market actors or that of their populations?

Most commentators agree that populations have lost trust in their elected politicians, that social consensus is eroding, that more and more people abstain from voting or vote for non-government populist parties, in one word that people want change. Politicians in power do not seem to get it: to humor or cozy up to the interest-driven financial markets, to make deals behind closed doors, to put burden after burden on taxpayers and private households, to shrug their shoulders at the fact that seven years after the beginning of the crisis in many countries incomes are still below 2007, that real poverty is the daily fate of more and more children and adults in one of the richest parts of the world, that the absolute failure in fighting the crisis warrants deep reversals of policy – of all these and much more populations are really fed-up. But it is not just a superficial frustration which besets most countries in the EU, it is a deep-seated dissatisfaction with the way policy is made for the rich, for the financial markets, for those who already have.

And then when the Greek population, having lost one quarter of its GDP, and many households significantly more than that, when basic social and health services have collapsed, shows support for a party and its leader who at least show the possibility of alternative ways, mainstream pundits cry “wolf” and paint the picture of not only collapse of Greece, but also of that of the Eurozone, if Syriza should win the election. Horror: Tsipras might want to negotiate with Greece’s creditors to restructure its non-affordable debt! Tsipras is asking, together with Italy’s Renzi, to change Eurozone policies towards a real growth strategy, instead of the deleterious austerity policy whose negative effects his compatriots, at least those who are not shipowners or other tycoons, feel every day. Financial markets, to the surprise of many pundits, seem to take the Syriza threat more in stride. So far they have not punished Greece.

I think it is highest time to really deeply think of an alternative growth-enhancing EU and Eurozone economic policy which gives people hope that there might be light at the end of the tunnel, after seven lean years caused by wrong policies. Why should the Greek population fall once more for the scare-mongering of Mr. Samaras? All he has to show is a 0.6% growth rate, after GDP falling by 25%. Why should the policy of “eyes shut and forward” with more austerity and further staggering and non-affordable sovereign debt levels, as required by the infamous Troika and implemented by the present government convince Greeks that from wrong prescriptions a rosy future might result? It is high time form mainstream journals and electronic media to begin (belatedly) to question mainstream EU policy. Their role as the “fourth estate” should induce them to give increased attention and take seriously alternative economic policies for the EU.

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5 responses to “Die Syriza-Gefahr / The Syriza Danger

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  2. Helmut Höpflinger

    Lieber Kurt,

    es ist wirklich ein Labsal, daß der Standard bereit ist, kritischen Antworten zu den oft enervierenden Äußerungen von Herrn Rauscher Raum zu geben. Du formulierst in der Debatte eine wichtiges Urteil: “Es sind ja nicht die Finanzmärkte, denen die griechische und die europäische Politik dienen sollen, sondern die Menschen”. Wie dies in der Politik bewerkstelligt werden kann, wird vieleicht zu wenig thematisiert. Ich meine dazu folgendes: 1) Es bräuchte einen Schuldenerlaß, aber einen, den nicht die Steuerzahler der Gläubigerländer finanzieren, sondern die Gläuiger der Banken/Finanzinstitutionen, die bisher immer (außer im Fall Cyperns) ihr Geld bekommen haben und das Riskio ihres Investments nicht tragen mußten. 2) Die Wirtschaftsstrukturen der Schuldnerländer sollten so entwickelt werden, daß ihr Wohlstand, nicht wie vor 2008, von übermäßiger Auslandsverschuldung abhängig ist.
    Siehst Du das auch so oder liege ich falsch ?
    Liebe Grüße Helmut

    • kurtbayer

      Lieber Helmut, das sehe ich weitgehend genau so. Die Frage mit der Verschuldung ist natürlich zweischneidig: jedem Schuldner steht ein Gläubiger gegenüber, der auch ein wirtschaftliches Interesse an den zinszahlungen etc. hat, vor allem, wenn er das Risiko der Nichtbegleichung jemandem anderen aufbürden kann. Es ist ja interessant, daß jene, die sonst immer nach der Marktwirtschaft schreien, im Moment, wo sie selbst tatsächlich Risiken übernehmen sollten, plötzlich den Steuerzahler als Risikoträger erfinden. Irgendwie ist ja Deutsch in diesem Fall eine ganz besondere Sprache, da Schulden (also eine Finanztransaktion) mit moralischer Schuld was zu tun haben (englisch: debt und guilt), daher also auch diese Insistenz, daß Schuldner grundsätzlich verwerflich sind, Gläubiger (hängt das mit “Glaube” zusammen????) aber die Guten. Das hat sich so auch in der deutschen Psyche eingeprägt, die eben auch vergessen, daß ihnen, den Deutschen selbst nach WK II ein Großteil ihrer Schulden von den Alliierten erlassen wurde. Damit konnten sie, wie ich geschrieben habe, mit einem “clean slate” die Benefizien des Marshallplanes genießen: hätten sie, wie die derzeitigen Schuldnerländer, mehr als 10% ihres BIP nur für die Zinsen bezalt, wäre das Wirtschaftswunder ein wirkliches Wunder gewesen.

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  4. Danke für die längst überfällige Rauscher-Schelte! Man muss ja nachgerade “froh” sein, dass der Standard die Replik auch gedruckt hat. Leider nimmt die Zahl der “Staberln” in dieser Zeitung unübersehbar zu.
    Peter Moser

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