George Osborne: Schlächter der Konjunktur oder “hart aber fair”?


 Im englischen Parlament herrschte am 22.6.2010 mittags ungläubiges Staunen nachdem der neue Finanzminister, George Osborne, seine erste Budgetrede beendet hatte. Osborne, der in der britischen Öffentlichkeit als Weichei und reiches Bubi verschrien war, hatte ein weit rigoroseres Spar- und Steuerprogramm verkündet als ihm zugetraut worden war: die öffentliche Nettoschuldaufnahme soll in der Legislaturperiode bis 2015 um 113 Mrd GBP stärker reduziert werden als bisher vorgeschlagen, und zwar von 11% des BIP heuer auf 1.1% 2015, das laufende Defizit von 7.5% auf 0. Schon die verabschiedete Labour-Regierung hatte starke Konsolidierungsmaßnahmen angekündigt, doch im Osborne-Programm geht es um 2 Prozentpunkte des BIP gegen Ende der Legislaturperiode härter zu. Jeder Haushalt soll jährlich mit 4.300 GBP durch Steuererhöhungen und Ausgabenkürzungen belastet werden.

¾ der Defizitreduktion sollen von Kürzungen der Ausgabenseite kommen, ¼ von Steuererhöhungen. Inwieweit da das Versprechen einer „harten, aber fairen Konsolidierung“ eingehalten werden kann, bzw. die Fairness dem britischen Publikum vermittelt werden kann, ist äußerst unsicher – und wird jedenfalls eines riesigen Verkaufsaufwandes der Koalitionspartner bedürfen. Es ist eine Tatsache, daß auch in Großbritannien ein Großteil der Ausgaben auf den Sozialbereich fallen, der überwiegend den Ärmeren zugute kommt, bzw. in deren Haushaltsbudgets eine weitaus größere Rolle spielt als bei den Finanzmanagern und hohen Angestellten. Die massiven Kürzungen fallen daher bei den Ärmeren stärker ins Gewicht.

Schon die frühere Labour-Regierung hatte angekündigt, bei der Konsolidierung zwei Bereiche von den Kürzungen auszusparen: das Gesundheitswesen und die Mittel für die Entwicklungszusammenarbeit (Österreich: hört, hört!!). Das hat auch die jetzige Regierung übernommen – und kürzt dafür die diskretionären Ausgaben aller anderen Ministerien und Bereiche um satte 25%!. Für öffentlich Bedienstete gibt es 2 Jahre lang keine Gehaltserhöhung.

Gemildert wird der (negative) Umverteilungseffekt durch die Erhöhung der Einkommensgrenze für den Eingangssteuersatz, wodurch 850.000 Steuerzahlerinnen einkommensteuerfrei gestellt werden. Andererseits wird die Körperschaftsteuer auf 24% gesenkt, die Gewinnsteuer für kleine Unternehmen von 21% auf 20%, die Arbeitgeberbeiträge reduziert, wodurch es insgesamt 13 Mrd GBP an Steuererleichterungen gibt. Die werden allerdings – sehr regressiv wirkend – durch die Anhebung der Mehrwertsteuer auf 20%, eine Bankenabgabe, das Streichen des Investitionsfreibetrages, die Erhöhung des Kapitalertragssteuersatzes für Gutverdienende von 18% auf 28% und andere mehr als kompensiert, sodaß 8 Mrd Steuererhöungen netto übrigbleiben (die MWST-Erhöhung bringt 13.5 Mrd GBP).

Die genauen Ausgabenkürzungen werden erst im Herbst vereinbart, doch überschlagen die Beobachter und Medien bereits jetzt einander mit Bewunderung für „Georgie-Boy“ ob seines Mutes und Angriffen wegen Abwürgens des schwachen Konjunkturpflänzchens. In einer netten Anspielung hat Harriet Harman, die interimistische Parteivorsitzende von Labour, Vince Cable, den vorher bewunderten Schatten-Finanzminister der Liberalen und derzeitigen Wirtschaftsminister, „Osborne’s Pudel“ genannt. Die Liberalen werden jedenfalls ihr Versprechen nach „Fairness“ der Konsolidierung ihren Wählerinnen erst noch erklären müssen.

Nach den Angaben des neuen Budget-Watchdogs, einer neuen Institution, soll das Paket nicht wachstumsdämpfend wirken, sondern durch die Vertrauensherstellung auf den Finanzmärkten sogar stimulierend: heur soll das BIP um 1.2% wachsen (0.1 Punkte weniger als ohne Paket!), danach um 2.3% 2011 – und in den nächsten Jahren um durchschnittlich 2.8%. Ebenso fällt die Arbeitslosigkeit von 8% heuer auf 6.1% 2015.

 Mit diesem Paket schließt sich Großbritannien dem nunmehr in Europa Fuß fassenden Sparwettlauf an. Hatten vor einigen Monaten noch sogar die sehr traditionellen Institutionen IMF und OECD vor zu raschen und starken Budgetkürzungen gewarnt, da dadurch die ohnedies schwache Nachfrage zusammenbrechen könnte, so haben die kürzlich von den Finanzmärkten gestarteten Panikattacken auf die Südländer die Wirtschaftspolitiker Deutschlands, Spaniens, Griechenlands und anderer bewogen, möglichst große und rasche Sparpakete zu beschließen. Damit könnte ein großer Teil des Lernprozesses aus der Großen Wirtschaftskrise der 1930er Jahre, als eben auch durch Sparen die Krise massiv verschärft wurde, verlorengegangen sein. Aus einer Bankenkrise hat sich nach deren Rettung durch die Steuerzahler und Notenbanken eine Staatsschuldenkrise gebildet, deren „Bewältigung“ durch Sparen eine weitere Rezession hervorzurufen geeignet ist.

Klar ist, daß aufgrund der extrem hohen Staatsverschuldungen und extrem hoher Privatsektorverschuldungen in vielen Ländern viele traditionelle wirtschaftspolitische Instrumente nicht mehr funktionieren. Es wäre Aufgabe der selbst ernannten „Weltwirtschaftsregierung“ G-20, darauf ernsthafte Antworten zu finden.

Der kommende G-20 Gipfel in Kanada sollte sich auch mit der Frage beschäftigen, wie die Macht der hypernervösen Finanzmärkte, die zuerst Bankenrettung verlangen, dann die dafür aufgebrachten Kosten verurteilen, gebrochen werden kann, bzw. auf das für die Finanzierung der Realwirtschaft und der Staatsschuld adäquate Maß zurückgeführt werden kann. Es ist dringend notwendig, auf internationaler Ebene gemeinsame oder zumindest abgestimmte Strategien zu entwickeln, damit die Weltwirtschaft mit einem tragfähigen Modell, das Finanzierung um ihrer selbst willen (und zum ausschließlichen Nutzen ihrer Akteure und zum Schaden der Realwirtschaft) ausschließt, herauskommt.

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